Die schönsten Geschichten der Lagerlöf | Page 4

Selma Lagerlöf

verpflichtet, daheim zu bleiben, weil er nun Weib und Kind hatte.
Vor allem war es die Frau, die ihn überredet hatte, von dieser Reise
abzustehen. Sie glaubte, daß es ihm nicht besser glücken werde als das
erstemal. Sie meinte, sie seien so glücklich, daß er nichts andres zu
erstreben brauche. Damit beging sie sicher einen Fehler, aber sie mußte
ihn auch schwer genug büßen; denn von der Zeit an kam der zweite
Familienzug bei dem Manne zum Vorschein. Da er seine Sehnsucht
nach Ruhm und Erfolg nicht stillen konnte, suchte er sich mit dem
Trinken zu trösten.
Und es ging ihm nun so, wie es den Menschen aus seiner Familie zu
gehen pflegte: er trank ohne Besinnung und ohne Maß und kam binnen
kurzem ganz herunter. Er wurde allmählich ein ganz andrer Mensch als
zuvor. Er war nicht mehr liebenswürdig und einnehmend, sondern böse
und hart. Und das größte Unglück war, daß er einen furchtbaren Haß
gegen seine Frau faßte und sie in jeder möglichen Weise quälte, wenn
er betrunken war -- und auch sonst.
Die Knaben hatten also kein gutes Heim gehabt, und ihre Kindheit
wäre sehr unglücklich gewesen, hätten sie sich nicht eine kleine Welt
für sich selbst geschaffen, voll von Maschinenmodellen,
Entdeckungsplänen und Abenteuerbüchern. Die einzige, die zuweilen
einen Blick in diese Welt werfen durfte, war Mutter. Vater hatte nicht
einmal eine Ahnung, daß sie existierte; und auch jetzt vermag er mit
den Knaben über nichts zu sprechen, was sie interessiert. Er stört sie
einmal ums andre, wenn er fragt, ob es nicht schön wäre, Stockholm
kennenzulernen, und ob sie sich nicht freuten, mit Vater zu reisen, und
dergleichen mehr. Sie antworten sehr kurz, um sich augenblicklich
wieder in das Buch zu vertiefen. Vater jedoch fragt weiter. Er glaubt,
daß die Knaben von seiner Liebenswürdigkeit sehr entzückt sein
müßten und nur zu schüchtern wären, es zu zeigen.
»Die haben zu lange an Mutters Schürzenband gehangen,« denkt er.
»Sie sind ängstlich und zimperlich geworden. Das wird jetzt anders
werden, wenn sie in meine Hand kommen.«

Aber Vater täuscht sich. Daß die Knaben ihm so kurze Antworten
geben, kommt nicht von der Schüchternheit, sondern bedeutet nur, daß
sie wohlerzogen sind und ihn nicht verletzen wollen. Wenn es nicht so
wäre, würden sie ganz anders antworten. »Warum sollten wir es schön
finden, mit Vater zu reisen?« würden sie dann sagen. »Vater glaubt
freilich, etwas ganz Besondres zu sein, aber wir sehen ja, daß er nur ein
verkommner Schwächling ist. Und warum sollten wir uns darauf freuen,
Stockholm kennenzulernen? Wir wissen sehr gut, daß Vater uns nicht
mitgenommen hat, um uns eine Freude zu machen, sondern nur, um
Mutter zu kränken.«
Es wäre klüger, wenn Vater die Knaben lesen ließe, ohne sie zu stören.
Sie sind niedergeschlagen und ängstlich, und es reizt sie, daß er so
guter Laune ist. »Nur weil er weiß, daß Mutter daheim sitzt und weint,
ist er heute so vergnügt,« flüstern sie einander zu.
Vaters Fragen bringen es schließlich dahin, daß die Knaben nicht mehr
lesen, obgleich sie noch immer über das Buch gebeugt dasitzen. Anstatt
dessen beginnen ihre Gedanken mit großer Bitterkeit um alles zu
kreisen, was sie um Vaters willen haben leiden müssen.
Sie erinnern sich, wie sich Vater einmal am hellichten Tage betrunken
hatte und über die Straße getorkelt kam, von einer Menge Schuljungen
verfolgt, die ihn ausspotteten. Sie rufen sich zurück, wie die andern
Jungen sie gehänselt und ihnen Spitznamen gegeben haben, weil sie
einen Vater hatten, der trank.
Sie haben sich für Vater schämen müssen, sie mußten seinetwegen in
beständiger Angst leben; und sowie sie irgendeinen Spaß hatten, ist er
dazwischen gekommen und hat ihnen das Vergnügen verdorben. Es ist
kein kleines Sündenregister, das sie da aufstellen. Die Knaben sind sehr
sanftmütig und geduldig, aber sie fühlen einen Groll in sich aufsteigen,
der stärker und stärker wird.
Er hätte doch begreifen müssen, daß sie ihm die große Enttäuschung
nicht verzeihen konnten, die er ihnen gestern bereitet hatte. Das war
doch das Ärgste, was er ihnen noch angetan hatte.

Die Sache war nämlich die, daß die Mutter der Knaben sich im vorigen
Frühling entschlossen hatte, sich von deren Vater zu trennen. Mehrere
Jahre lang hatte der Mann sie auf jede erdenkliche Art verfolgt und
gepeinigt, doch sie hatte sich nicht von ihm trennen wollen, sondern
war bei ihm geblieben, damit er nicht völlig verkomme. Aber jetzt
endlich wollte sie es um der Knaben willen tun. Sie hatte beobachtet,
daß der Vater sie unglücklich machte; und sie meinte, sie müsse sie
diesem Elend entziehen und ihnen ein gutes, friedliches Heim schaffen.
Als das Frühlingssemester zu Ende war, hatte sie die Knaben aufs Land
zu ihren Eltern geschickt und war selbst ins Ausland gereist, um so aufs
einfachste die Scheidung zu erlangen. Es war ihr freilich nicht recht
gewesen, daß es dadurch den Anschein gewann, als ob
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