Die natuerliche Tochter | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
du harte Prüfung aus; Doch will ich sie
bestehn, ich schwör' es dir!
Herzog. Mein eigner wüster Sohn umlauert ja Die stillen Wege, die ich
dich geführt. Der Güter kleinen Teil, den ich bisher Dir schuldig
zugewandt, missgönnt er schon. Erführ' er, dass du, höher nun empor
Durch unsres Königs Gunst gehoben, bald In manchem Recht ihm
gleich dich stellen könntest, Wie müsst' er wüten! Würd' er tückisch
nicht, Den schönen Schritt zu hindern, alles tun?
Eugenie. Lass uns im Stillen jenen Tag erharren. Und wenn geschehn
ist, was mich seine Schwester Zu nennen mich berechtigt, soll's an mir,
Soll's an gefälligem Betragen, guten Worten, Nachgiebigkeit und
Neigung nicht gebrechen. Er ist dein Sohn; und sollt' er nicht nach dir
Zur Liebe, zur Vernunft gebildet sein?
Herzog. Ich traue dir ein jedes Wunder zu, Verrichte sie zu meines
Hauses Bestem Und lebe wohl. Doch ach! Indem ich scheide, Befällt
mich grausend jäher Furcht Gewalt. Hier lagst du tot in meinen Armen!
Hier Bezwang mich der Verzweiflung Tigerklaue. Wer nimmt das Bild
vor meinen Augen weg! Dich hab' ich tot gesehn! So wirst du mir An
manchem Tag, in mancher Nacht erscheinen. War ich entfernt von dir
nicht stets besorgt? Nun ist's nicht mehr ein kranker Grillentraum, Es
ist ein wahres, unauslöschlichs Bild: Eugenie, das Leben meines
Lebens, Bleich, hingesunken, atemlos, entseelt.

Eugenie. Erneue nicht, was du entfernen solltest, Lass diesen Sturz, lass
diese Rettung dir Als wertes Pfand erscheinen meines Glücks.
Lebendig siehst du sie vor deinen Augen
(Indem sie ihn umarmt.)
Und fühlst lebendig sie an deiner Brust. So lass mich immer, immer
wieder kehren! Und vor dem glühnden, liebevollen Leben Entweiche
des verhassten Todes Bild.
Herzog. Kann wohl ein Kind empfinden, wie den Vater Die Sorge
möglichen Verlustes quält? Gesteh' ich's nur! Wie öfters hat mich
schon Dein überkühner Mut, mit dem du dich, Als wie ans Pferd
gewachsen, voll Gefühl Der doppelten, zentaurischen Gewalt, Durch
Tal und Berg, durch Fluss und Graben schleuderst, Wie sich ein Vogel
durch die Lüfte wirft, Ach! Öfters mehr geängstigt als entzückt. Dass
doch gemäßigter dein Trieb fortan Der ritterlichen Übung sich erfreue!
Eugenie. Dem Ungemessnen beugt sich die Gefahr, Beschlichen wird
das Mäßige von ihr. O fühle jetzt wie damals, da du mich, Ein kleines
Kind, in ritterliche Weise Mit heitrer Kühnheit fröhlich eingeweiht.
Herzog. Ich hatte damals unrecht; soll mich nun Ein langes Leben
sorgenvoll bestrafen? Und locket Übung des Gefährlichen Nicht die
Gefahr an uns heran?
Eugenie. Das Glück, Und nicht die Sorge bändigt die Gefahr. Leb' wohl,
mein Vater, folge deinem König, Und sei nun auch um deiner Tochter
willen Sein redlicher Vasall, sein treuer Freund. Leb' wohl!
Herzog. O bleib! Und steh an diesem Platz Lebendig, aufrecht, noch
einmal, wie du Ins Leben wieder aufsprangst, wo mit Wonne Du mein
zerrissen Herz erfüllend heiltest. Unfruchtbar bleibe diese Freude nicht!
Zum ew'gen Denkmal weih' ich diesen Ort. Hier soll ein Tempel
aufstehn, der Genesung, Der glücklichsten, gewidmet. Rings umher
Soll deine Hand ein Feenreich erschaffen. Den wilden Wald, das
struppige Gebüsch Soll sanfter Gänge Labyrinth verknüpfen. Der steile
Fels wird gangbar, dieser Bach, In reinen Spiegeln fällt er hier und dort.
Der überraschte Wandrer fühlt sich hier Ins Paradies versetzt. Hier soll
kein Schuss, Solang ich lebe, fallen, hier kein Vogel Von seinem Zweig,
kein Wild in seinem Busch Geschreckt, verwundet, hingeschmettert
werden. Hier will ich her, wenn mir der Augen Licht, Wenn mir der
Füße Kraft zuletzt versagt, Auf dich gelehnt, wallfahrten; immer soll
Des gleichen Danks Empfindung mich beleben. Nun aber lebe wohl!

Und wie?--Du weinst?
Eugenie. O! Wenn mein Vater ängstlich fürchten darf, Die Tochter zu
verlieren, soll in mir Sich keine Sorge regen, ihn vielleicht-- Wie kann
ich's denken, sagen--ihn zu missen? Verwaiste Väter sind
beklagenswert; Allein verwaiste Kinder sind es mehr. Und ich, die
Ärmste, stünde ganz allein Auf dieser weiten, fremden, wilden Welt,
Müsst' ich von ihm, dem Einzigen, mich trennen.
Herzog. Wie du mich stärktest, geb' ich dir's zurück. Lass uns getrost,
wie immer, vorwärts gehen! Das Leben ist des Lebens Pfand; es ruht
Nur auf sich selbst und muss sich selbst verbürgen. Drum lass uns
eilige auseinander scheiden! Von diesem allzu weichen Lebewohl Soll
ein erfreulich wieder Sehn uns heilen!
(Sie trennen sich schnell; aus der Entfernung werfen sie sich mit
ausgebreiteten Armen ein Lebewohl zu und gehen eilig ab.)

Zweiter Aufzug (Zimmer Eugenies, im gotischen Stil.)

Erster Auftritt Hofmeisterin. Sekretär.
Sekretär. Verdien' ich, dass du mich, im Augenblick, Da ich
erwünschte Nachricht bringe, fliehst? Vernimm nur erst, was ich zu
sagen habe!
Hofmeisterin. Wohin es deutet, fühl' ich nur zu sehr. O lass mein Auge
vom bekannten Blick, Mein Ohr sich von bekannter Stimme wenden!
Entfliehen lass mich der Gewalt, die, sonst Durch Lieb' und
Freundschaft wirksam, fürchterlich Wie ein Gespenst mir nun zur Seite
steht.
Sekretär. Wenn ich
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