Die natuerliche Tochter | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
der König uns beglückt.
Herzog. Genieße rein so ungehoffte Gaben.
Eugenie. Er scheint nicht glücklich, ach! Und ist so gut.
Herzog. Die Güte selbst erregt oft Widerstand.
Eugenie. Wer ist so hart, sich ihm zu widersetzen?
Herzog. Der Heil des Ganzen von der Strenge hofft.
Eugenie. Des Königs Milde sollte Milde zeugen.
Herzog. Des Königs Milde zeugt Verwegenheit.
Eugenie. Wie edel hat ihn die Natur gebildet.
Herzog. Doch auf zu hohen Platz hinaufgestellt.
Eugenie. Und ihn mit so viel Tugend ausgestattet.
Herzog. Zur Häuslichkeit, zum Regimente nicht.
Eugenie. Von altem Heldenstamme grünt er auf.
Herzog. Die Kraft entgeht vielleicht dem späten Zweige.
Eugenie. Die Schwäche zu vertreten, sind wir da.
Herzog. Sobald er unsre Stärke nicht verkennt.
Eugenie (nachdenklich). Mich leiten seine Reden zum Verdacht.
Herzog. Was sinnest du? Enthülle mir dein Herz.
Eugenie (nach einer Pause). Auch du bist unter denen, die er fürchtet.
Herzog. Er fürchte jene, die zu fürchten sind.
Eugenie. Und sollten ihm geheime Feinde drohen?
Herzog. Wer die Gefahr verheimlicht, ist ein Feind. Wo sind wir
hingeraten! Meine Tochter! Wie hat der sonderbarste Zufall uns Auf
einmal weggerissen nach dem Ziel. Unvorbereitet red' ich, übereilt
Verwirr' ich dich, anstatt dich aufzuklären. So musste dir der Jugend
heitres Glück Beim ersten Eintritt in die Welt verschwinden. Du
konntest nicht in süßer Trunkenheit Der blendenden Befriedigung
genießen. Das Ziel erreichst du; doch des falschen Kranzes Verborgne
Dornen ritzen deine Hand. Geliebtes Kind! So sollt' es nicht geschehn!
Erst nach und nach, so hofft' ich, würdest du Dich aus Beschränkung an
die Welt gewöhnen, Erst nach und nach den liebsten Hoffnungen
Entsagen lernen, manchem holden Wunsch. Und nun auf einmal, wie
der jähe Sturz Dir vorbedeutet, bist du in den Kreis Der Sorgen, der
Gefahr herabgestürzt. Misstrauen atmet man in dieser Luft, Der Neid

verhetzt ein fieberhaftes Blut Und übergibt dem Kummer seine
Kranken. Ach, soll ich nun nicht mehr ins Paradies, Das dich umgab,
am Abend wieder kehren, Zu deiner Unschuld heil'gen Vorgefühl Mich
von der Welt gedrängter Posse retten! Du wirst fortan, mit mir ins Netz
verstrickt, Gelähmt, verworren, dich und mich betrauern.
Eugenie. Nicht so, mein Vater! Konnt' ich schon bisher, Untätig,
abgesondert, eingeschlossen, Ein kindlich Nichts, die reinste Wonne dir,
Schon in des Daseins Unbedeutenheit Erholung, Trost und Lebenslust
gewähren: Wie soll die Tochter erst, in dein Geschick Verflochten, im
Gewebe deines Lebens Als heitrer bunter Faden künftig glänzen! Ich
nehme teil an jeder edlen Tat, An jeder großen Handlung, die den Vater
Dem König und dem Reiche werter macht. Mein frischer Sinn, die
jugendliche Lust, Die mich belebt, sie teilen dir sich mit, Verscheuchen
jene Träume, die der Welt Unüberwindlich ungeheure Last Auf eine
Menschenbrust zerknirschend wälzen. Wenn ich dir sonst in trüben
Augenblicken Ohnmächt'gen guten Willen, arme Liebe, Dir leere
Tändeleien kindlich bot; Nun hoff' ich, eingeweiht in deine Pläne,
Bekannt mit deinen Wünschen, mir das Recht Vollbürt'ger Kindschaft
rühmlich zu erwerben.
Herzog. Was du bei diesem wicht'gen Schritt verlierst, Erscheint dir
ohne Wert und ohne Würde; Was du erwartest, schätzest du zu sehr.
Eugenie. Mit hoch erhabnen, hoch beglückten Männern Gewalt'ges
Ansehn, würd'gen Einfluss teilen, Für edle Seelen reizender Gewinn!
Herzog. Gewiss! Vergib, wenn du in dieser Stunde Mich schwächer
findest, als dem Manne ziemt. Wir tauschten sonderbar die Pflichten
um: Ich soll dich leiten, und du leitest mich.
Eugenie. Wohl denn, mein Vater, tritt mit mir herauf In diese Regionen,
wo mir eben Die neue, heitre Sonne sich erhebt! In diesen muntren
Stunden lächle nur, Wenn ich den Inbegriff von meinen Sorgen Dir
auch eröffne.
Herzog. Sage, was es ist.
Eugenie. Der wichtigen Momente gibt's im Leben Gar manche, die mit
Freude, die mit Trauer Des Menschen Herz bestürmen. Wenn der Mann
Sein Äußeres in solchem Fall vergisst, Nachlässig oft sich vor die
Menge stellt, So wünscht ein Weib noch, jedem zu gefallen, Durch
ausgesuchte Tracht, vollkommnen Schmuck Beneidenswert vor andern
zu erscheinen. Das hab' ich oft gehört und oft bemerkt, Und nun

empfind' ich im bedeutendsten Momente meines Lebens, dass auch ich
Der mädchenhaften Schwachheit schuldig bin.
Herzog. Was kannst du wünschen, das du nicht erlangst?
Eugenie. Du bist geneigt, mir alles zu gewähren, Ich weiß es. Doch der
große Tag ist nah, Zu nah, um alles würdig zu bereiten; Und was von
Stoffen, Stickerei und Spitzen, Was von Juwelen mich umgeben soll,
Wie kann's geschafft, wie kann's vollendet werden?
Herzog. Uns überrascht längst gewünschtes Glück; Doch vorbereitet
können wir's empfangen. Was du bedarfst, ist alles angeschafft, Und
heute noch, verwahrt im edlen Schrein, Erhältst du Gaben, die du nicht
erwartet. Doch leichte Prüfung leg' ich dir dabei Zum Vorbild mancher
künftig schweren auf. Hier ist der Schlüssel! Den verwahre wohl!
Bezähme deine Neugier! Öffne nicht, Eh' ich dich wieder sehe, jenen
Schatz. Vertraue niemand, sei es, wer es sei. Die Klugheit rät's, der
König selbst gebeut's.
Eugenie. Dem Mädchen sinnst
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