Die natuerliche Tochter | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
des Glückes Füllhorn dir auf einmal Nach langem
Hoffen vor die Füße schütte, Wenn sich die Morgenröte jenes Tags,
Der unsern Bund auf ewig gründen soll, Am Horizonte feierlich erhebt,
So scheinst du nun verlegen, widerwillig Den Antrag eines Bräutigams
zu fliehn.
Hofmeisterin. Du zeigst mir nur die eine Seite dar, Sie glänzt und
leuchtet, wie im Sonnenschein Die Welt erfreulich daliegt; aber hinten
Droht schwarzer Nächte Graus, ich ahn' ihn schon.
Sekretär. So lass uns erst die schöne Seite sehn! Verlangst du Wohnung,
mitten in der Stadt, Geräumig, heiter, trefflich ausgestattet, Wie man's
für sich, so wie für Gäste wünscht? Sie ist bereit, der nächste Winter

findet Uns festlich dort umgeben, wenn du willst. Sehnst du im
Frühling dich aufs Land, auch dort Ist uns ein Haus, ein Garten uns
bestimmt, Ein reiches Feld. Und was Erfreuliches An Waldung, Busch,
an Wiesen, Bach und Seen Sich Phantasie zusammendrängen mag,
Genießen wir, zum Teil als unser eignes, Zum Teil als allgemeines Gut.
Wobei Noch manche Rente gar bequem vergönnt, Durch Sparsamkeit
ein sichres Glück zu steigern.
Hofmeisterin. In trübe Wolken hüllt sich jenes Bild, So heiter du es
malst, vor meinen Augen. Nicht wünschenswert, abscheulich naht sich
mir Der Gott der Welt im Überfluss heran. Was für ein Opfer fordert er?
Das Glück Des holden Zöglings müsst' ich morden helfen! Und was ein
solch Verbrechen mir erwarb, Ich sollt' es je mit freier Brust genießen?
Eugenie! Du, deren holdes Wesen In meiner Nähe sich von Jugend auf
Aus reicher Fülle rein entwickeln sollte, Kann ich noch unterscheiden,
was an dir Dein eigen ist, und was du mir verdankst? Dich, die ich als
mein selbst gebildet Werk Im Herzen trage, sollt' ich nun zerstören?
Von welchem Stoffe seid ihr denn geformt, Ihr Grausamen, dass eine
solche Tat Ihr fordern dürft und zu belohnen glaubt?
Sekretär. Gar manchen Schatz bewahrt von Jugend auf Ein edles, gutes
Herz und bildet ihn Nur immer schöner, liebenswürd'ger aus Zur
holden Gottheit des geheimen Tempels; Doch wenn das Mächtige, das
uns regiert, Ein großes Opfer heischt, wir bringen's doch Mit blutendem
Gefühl der Not zuletzt. Zwei Welten sind es, meine Liebe, die,
Gewaltsam sich bekämpfend, uns bedrängen,
Hofmeisterin. In völlig fremder Welt für mein Gefühl Scheinst du zu
wandeln, da du deinem Herrn, Dem edlen Herzog, solche Jammertage
Verräterisch bereitest, zur Partei Des Sohns dich fügest--Wenn das
Waltende Verbrechen zu begünst'gen scheinen mag, So nennen wir es
Zufall; doch der Mensch, Der ganz besonnen solche Tat erwählt, Er ist
ein Rätsel.--Doch--und bin ich nicht Mir auch ein Rätsel, dass ich noch
an dir Mit solcher Neigung hänge, da du mich Zum jähen Abgrund
hinzureißen strebst? Warum o! Schuf dich die Natur von außen
Gefällig, liebenswert, unwiderstehlich, Wenn sie ein kaltes Herz in
deinen Busen, Ein Glück zerstörendes, zu pflanzen dachte?
Sekretär. An meiner Neigung Wärme zweifelst du?
Hofmeisterin. Ich würde mich vernichten, wenn ich's könnte. Doch ach!
Warum, und mit verhasstem Plan, Aufs Neue mich bestürmen?

Schwurst du nicht, In ew'ge Nacht das Schrecknis zu begraben?
Sekretär. Ach leider drängt sich's mächtiger hervor. Den jungen Fürsten
zwingt man zum Entschluss. Erst blieb Eugenie so manches Jahr Ein
unbedeutend unbekanntes Kind. Du hast sie selbst von ihren ersten
Tagen In diesen alten Sälen auferzogen, Von wenigen besucht und
heimlich nur. Doch wie verheimlichte sich Vaterliebe! Der Herzog,
stolz auf seiner Tochter Wert, Lässt nach und nach sie öffentlich
erscheinen; Sie zeigt sich reitend, fahrend. Jeder fragt Und jeder weiß
zuletzt, woher sie sei. Nun ist die Mutter tot. Der stolzen Frau War
dieses Kind ein Gräuel, das ihr nur Der Neigung Schwäche
vorzuwerfen schien. Nie hat sie's anerkannt und kaum gesehn. Durch
ihren Tod fühlt sich der Herzog frei, Entwirft geheime Pläne, nähert
sich Dem Hofe wieder und entsagt zuletzt Dem alten Groll, versöhnt
sich mit dem König Und macht sich's zur Bedingung, dieses Kind Als
Fürstin seines Stamms erklärt zu sehn.
Hofmeisterin. Und gönnt ihr dieser köstlichen Natur Vom Fürstenblute
nicht das Glück des Rechts?
Sekretär. Geliebte, Teure! Sprichst du doch so leicht, Durch diese
Mauern von der Welt geschieden, In klösterlichem sinne von dem Wert
Der Erdengüter. Blicke nur hinaus! Dort wägt man besser solchen edlen
Schatz. Der Vater neidet ihn dem Sohn, der Sohn Berechnet seines
Vaters Jahre, Brüder Entzweit ein ungewisses Recht auf Tod Und
Leben. Selbst der Geistliche vergisst, Wohin er streben soll, und strebt
nach Gold. Verdächte man's dem Prinzen, der sich stets Als einz'gen
Sohn gefühlt, wenn er sich nun Die Schwester nicht gefallen lassen will,
Die, eingedrungen, ihm das Erbteil schmälert? Man stelle sich an
seinen Platz und richte.
Hofmeisterin. Und ist er nicht schon jetzt ein reicher Fürst? Und wird
er's nicht durch seines Vaters Tod Zum Übermaß? Wie wär' ein Teil der
Güter So köstlich angelegt, wenn er dafür Die holde Schwester zu
gewinnen wüsste!
Sekretär. Willkürlich handeln ist
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