Die griechische Tänzerin | Page 8

Arthur Schnitzler
ja gar nicht merken, da? sie ihnen fehlten ... Er ging zur Türe und ?ffnete sie leise. Gegenüber war die andere, mit zwei Schritten zu erreichen, geschlossen. An einem Nagel im Pfosten hingen Kleidungsstücke. Carlo fuhr mit der Hand über sie ... Ja, wenn die Leute ihre B?rsen in der Tasche lie?en, dann w?re das Leben sehr einfach, dann brauchte bald niemand mehr betteln zu gehen ... Aber die Taschen waren leer. Nun, was blieb übrig? Wieder zurück ins Zimmer, auf den Strohsack. Es gab vielleicht doch eine bessere Art, sich zwanzig Franken zu verschaffen -- eine weniger gef?hrliche und rechtlichere. Wenn er wirklich jedesmal einige Zentesimi von den Almosen zurückbehielte, bis er zwanzig Franken zusammengespart, und dann das Goldstück kaufte ... Aber wie lang konnte das dauern -- Monate, vielleicht ein Jahr. Ah, wenn er nur Mut h?tte! Noch immer stand er auf dem Gang. Er blickte zur Tür hinüber ... Was war das für ein Streif, der senkrecht von oben auf den Fu?boden fiel? War es m?glich? Die Tür war nur angelehnt, nicht versperrt?... Warum staunte er denn darüber? Seit Monaten schon schlo? die Tür nicht. Wozu auch? Er erinnerte sich: nur dreimal hatten hier in diesem Sommer Leute geschlafen, zweimal Handwerksburschen und einmal ein Tourist, der sich den Fu? verletzt hatte. Die Tür schlie?t nicht -- er braucht jetzt nur Mut -- ja, und Glück! Mut? Das Schlimmste, was ihm geschehen kann, ist, da? die beiden aufwachen, und da kann er noch immer eine Ausrede finden. Er lugt durch den Spalt ins Zimmer. Es ist noch so dunkel, da? er eben nur die Umrisse von zwei auf den Betten lagernden Gestalten gewahren kann. Er horcht auf: sie atmen ruhig und gleichm??ig. Carlo ?ffnet die Tür leicht und tritt mit seinen nackten Fü?en v?llig ger?uschlos ins Zimmer. Die beiden Betten stehen der L?nge nach an der gleichen Wand dem Fenster gegenüber. In der Mitte des Zimmers ist ein Tisch; Carlo schleicht bis hin. Er f?hrt mit der Hand über die Fl?che und fühlt ein Schlüsselbund, ein Federmesser, ein kleines Buch -- weiter nichts ... Nun natürlich!... Da? er nur daran denken konnte, sie würden ihr Geld auf den Tisch legen! Ah, nun kann er gleich wieder fort!... Und doch, vielleicht braucht es nur einen guten Griff und es ist geglückt ... Und er n?hert sich dem Bett neben der Tür; hier auf dem Sessel liegt etwas -- er fühlt danach -- es ist ein Revolver ... Carlo zuckt zusammen ... Ob er ihn nicht lieber gleich behalten sollte? Denn warum hat dieser Mensch den Revolver bereitliegen? Wenn er erwacht und ihn bemerkt ... Doch nein, er würde ja sagen: Es ist drei Uhr, gn?diger Herr, aufstehn!... Und er l??t den Revolver liegen.
Und er schleicht tiefer ins Zimmer. Hier auf dem anderen Sessel unter den W?schestücken ... Himmel! das ist sie ... das ist eine B?rse -- er h?lt sie in der Hand!... In diesem Moment h?rt er ein leises Krachen. Mit einer raschen Bewegung streckt er sich der L?nge nach zu Fü?en des Bettes hin ... Noch einmal dieses Krachen -- ein schweres Aufatmen -- ein R?uspern -- dann wieder Stille, tiefe Stille. Carlo bleibt auf dem Boden liegen, die B?rse in der Hand, und wartet. Es rührt sich nichts mehr. Schon f?llt der D?mmer bla? ins Zimmer herein. Carlo wagt nicht aufzustehen, sondern kriecht auf dem Boden vorw?rts bis zur Tür, die weit genug offen steht, um ihn durchzulassen, kriecht weiter bis auf den Gang hinaus, und hier erst erhebt er sich langsam, mit einem tiefen Atemzug. Er ?ffnet die B?rse; sie ist dreifach geteilt: links und rechts nur kleine Silberstücke. Nun ?ffnet Carlo den mittleren Teil, der durch einen Schieber nochmals verschlossen ist, und fühlt drei Zwanzigfrankenstücke. Einen Augenblick denkt er daran, zwei davon zu nehmen, aber rasch weist er diese Versuchung von sich, nimmt nur ein Goldstück heraus und schlie?t die B?rse zu. Dann kniet er nieder, blickt durch die Spalte in die Kammer, in der es wieder v?llig still ist, und dann gibt er der B?rse einen Sto?, so da? sie bis unter das zweite Bett gleitet. Wenn der Fremde aufwacht, wird er glauben müssen, da? sie vom Sessel heruntergefallen ist. Carlo erhebt sich langsam. Da knarrt der Boden leise, und im gleichen Augenblick h?rt er eine Stimme von drinnen: ?Was ist's? Was gibt's denn?? Carlo macht rasch zwei Schritte rückw?rts, mit verhaltenem Atem, und gleitet in seine eigene Kammer. Er ist in Sicherheit und lauscht ... Noch einmal kracht drüben das Bett, und dann ist alles still. Zwischen seinen Fingern h?lt er das Goldstück. Es ist gelungen -- gelungen! Er hat die zwanzig Franken, und er kann seinem Bruder sagen: 'Siehst du nun, da? ich kein Dieb bin!' Und sie werden sich noch heute auf die Wanderschaft machen -- gegen den Süden zu,
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