Die griechische Tänzerin | Page 4

Arthur Schnitzler
das Gesch?ft aufgegeben? Ein Viersp?nner ist gerade angefahren.?
?Komm!? rief Carlo, ?komm!?
Geronimo blieb sitzen. ?Warum denn? Warum soll ich kommen? Was hilft's mir denn? Du stehst ja dabei und --?
Carlo berührte ihn am Arm. ?Still, komm jetzt hinunter!?
Geronimo schwieg und gehorchte dem Bruder. Aber auf den Stufen sagte er: ?Wir reden noch, wir reden noch!?
Carlo begriff nicht, was geschehen war. War Geronimo pl?tzlich verrückt geworden? Denn, wenn er auch leicht in Zorn geriet, in dieser Weise hatte er noch nie gesprochen.
In dem eben angekommenen Wagen sa?en zwei Engl?nder; Carlo lüftete den Hut vor ihnen, und der Blinde sang. Der eine Engl?nder war ausgestiegen und warf einige Münzen in Carlos Hut. Carlo sagte: ?Danke? und dann, wie vor sich hin: ?Zwanzig Zentesimi.? Das Gesicht Geronimos blieb unbewegt; er begann ein neues Lied. Der Wagen mit den zwei Engl?ndern fuhr davon.
Die Brüder gingen schweigend die Stufen hinauf. Geronimo setzte sich auf die Bank, Carlo blieb beim Ofen stehen.
?Warum sprichst du nicht?? fragte Geronimo.
?Nun,? erwiderte Carlo, ?es kann nur so sein, wie ich dir gesagt habe.? Seine Stimme zitterte ein wenig.
?Was hast du gesagt?? fragte Geronimo.
?Es war vielleicht ein Wahnsinniger.?
?Ein Wahnsinniger? Das w?re ja vortrefflich! Wenn einer sagt: 'Ich habe deinem Bruder zwanzig Franken gegeben,' so ist er wahnsinnig! -- Eh, und warum hat er gesagt: 'La? dich nicht betrügen' -- eh??
?Vielleicht war er auch nicht wahnsinnig ... aber es gibt Menschen, die mit uns armen Leuten Sp??e machen ...?
?Eh!? schrie Geronimo, ?Sp??e? -- Ja, das hast du noch sagen müssen -- darauf habe ich gewartet!? Er trank das Glas Wein aus, das vor ihm stand.
?Aber, Geronimo!? rief Carlo, und er fühlte, da? er vor Bestürzung kaum sprechen konnte, ?warum sollte ich ... wie kannst du glauben ...??
?Warum zittert deine Stimme ... eh ... warum ...??
?Geronimo, ich versichere dir, ich --?
?Eh -- und ich glaube dir nicht! Jetzt lachst du ... ich wei? ja, da? du jetzt lachst!?
Der Knecht rief von unten: ?He, blinder Mann, Leut' sind da!?
Ganz mechanisch standen die Brüder auf und schritten die Stufen hinab. Zwei Wagen waren zugleich gekommen, einer mit drei Herren, ein anderer mit einem alten Ehepaar. Geronimo sang; Carlo stand neben ihm, fassungslos. Was sollte er nur tun? Der Bruder glaubte ihm nicht! Wie war das nur m?glich? -- Und er betrachtete Geronimo, der mit zerbrochener Stimme seine Lieder sang, angstvoll von der Seite. Es war ihm, als s?he er über diese Stirne Gedanken fliehen, die er früher dort niemals gewahrt hatte.
Die Wagen waren schon fort, aber Geronimo sang weiter. Carlo wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Er wu?te nicht, was er sagen sollte, er fürchtete, da? seine Stimme wieder zittern würde. Da t?nte Lachen von oben, und Maria rief: ?Was singst denn noch immer? Von mir kriegst du ja doch nichts!?
Geronimo hielt inne, mitten in einer Melodie; es klang, als w?re seine Stimme und die Saiten zugleich abgerissen. Dann ging er wieder die Stufen hinauf, und Carlo folgte ihm. In der Wirtsstube setzte er sich neben ihn. Was sollte er tun? Es blieb ihm nichts anderes übrig: er mu?te noch einmal versuchen, den Bruder aufzukl?ren.
?Geronimo,? sagte er, ?ich schw?re dir ... bedenk doch, Geronimo, wie kannst du glauben, da? ich --?
Geronimo schwieg, seine toten Augen schienen durch das Fenster in den grauen Nebel hinauszublicken. Carlo redete weiter: ?Nun, er braucht ja nicht wahnsinnig gewesen zu sein, er wird sich geirrt haben ... ja er hat sich geirrt ...? Aber er fühlte wohl, da? er selbst nicht glaubte, was er sagte.
Geronimo rückte ungeduldig fort. Aber Carlo redete weiter, mit pl?tzlicher Lebhaftigkeit: ?Wozu sollte ich denn -- du wei?t doch, ich esse und trinke nicht mehr als du, und wenn ich mir einen neuen Rock kaufe, so wei?t du's doch ... wofür brauch ich denn so viel Geld? Was soll ich denn damit tun??
Da stie? Geronimo zwischen den Z?hnen hervor: ?Lüg nicht, ich h?re, wie du lügst!?
?Ich lüge nicht, Geronimo, ich lüge nicht!? sagte Carlo erschrocken.
?Eh! hast du ihr's schon gegeben, ja? Oder bekommt sie's erst nachher?? schrie Geronimo.
?Maria??
?Wer denn, als Maria? Eh, du Lügner, du Dieb!? Und als wollte er nicht mehr neben ihm am Tische sitzen, stie? er mit dem Ellbogen den Bruder in die Seite.
Carlo stand auf. Zuerst starrte er den Bruder an, dann verlie? er das Zimmer und ging über die Stiege in den Hof. Er schaute mit weit offenen Augen auf die Stra?e hinaus, die vor ihm in br?unlichen Nebel versank. Der Regen hatte nachgelassen. Carlo steckte die H?nde in die Hosentaschen und ging ins Freie. Es war ihm, als h?tte ihn sein Bruder davongejagt. Was war denn nur geschehen?... Er konnte es noch immer nicht fassen. Was für ein Mensch mochte das gewesen sein? Einen Franken schenkt er her und sagt, es waren zwanzig! Er mu?te doch irgendeinen Grund dazu gehabt haben?... Und Carlo suchte in seiner Erinnerung, ob er sich nicht irgendwo
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