Die griechische Tänzerin | Page 3

Arthur Schnitzler
Blinde bückte sich nach seinem Glas, hob es vom Boden auf und trank es Maria zu. Sie sa? manchmal abends in der Wirtsstube neben ihm; er wu?te auch, da? sie sch?n war.
Carlo beugte sich vor und blickte gegen die Stra?e hinaus. Der Wind blies, und der Regen prasselte, so da? das Rollen des nahenden Wagens in den heftigen Ger?uschen unterging. Carlo stand auf und nahm wieder seinen Platz an des Bruders Seite ein.
Geronimo begann zu singen, schon w?hrend der Wagen einfuhr, in dem nur ein Passagier sa?. Der Kutscher spannte die Pferde eilig aus, dann eilte er hinauf in die Wirtsstube. Der Reisende blieb eine Weile in seiner Ecke sitzen, ganz eingewickelt in einen grauen Regenmantel; er schien auf den Gesang gar nicht zu h?ren. Nach einer Weile aber sprang er aus dem Wagen und lief mit gro?er Hast hin und her, ohne sich weit vom Wagen zu entfernen. Er rieb immerfort die H?nde aneinander, um sich zu erw?rmen. Jetzt erst schien er die Bettler zu bemerken. Er stellte sich ihnen gegenüber und sah sie lange wie prüfend an. Carlo neigte leicht den Kopf, wie zum Gru?e. Der Reisende war ein sehr junger Mensch mit einem hübschen, bartlosen Gesicht und unruhigen Augen. Nachdem er eine ganze Weile vor den Bettlern gestanden, eilte er wieder zu dem Tore, durch das er weiterfahren sollte, und schüttelte bei dem trostlosen Ausblick in Regen und Nebel verdrie?lich den Kopf.
?Nun?? fragte Geronimo.
?Noch nichts,? erwiderte Carlo. ?Er wird wohl geben, wenn er fortf?hrt.?
Der Reisende kam wieder zurück und lehnte sich an die Deichsel des Wagens. Der Blinde begann zu singen. Nun schien der junge Mann pl?tzlich mit gro?em Interesse zuzuh?ren. Der Knecht erschien und spannte die Pferde wieder ein. Und jetzt erst, als bes?nne er sich eben, griff der junge Mann in die Tasche und gab Carlo einen Frank.
?O danke, danke,? sagte dieser.
Der Reisende setzte sich in den Wagen und wickelte sich wieder in seinen Mantel. Carlo nahm das Glas vom Boden auf und ging die Holzstufen hinauf. Geronimo sang weiter. Der Reisende beugte sich zum Wagen heraus und schüttelte den Kopf mit einem Ausdruck von überlegenheit und Traurigkeit zugleich. Pl?tzlich schien ihm ein Einfall zu kommen, und er l?chelte. Dann sagte er zu dem Blinden, der kaum zwei Schritte weit von ihm stand: ?Wie hei?t du??
?Geronimo.?
?Nun, Geronimo, la? dich nur nicht betrügen.? In diesem Augenblick erschien der Kutscher auf der obersten Stufe der Treppe.
?Wieso, gn?diger Herr, betrügen??
?Ich habe deinem Begleiter ein Zwanzig-Frankstück gegeben.?
?O Herr, Dank, Dank!?
?Ja; also pa? auf.?
?Er ist mein Bruder, Herr; er betrügt mich nicht.?
Der junge Mann stutzte eine Weile, aber w?hrend er noch überlegte, war der Kutscher auf den Bock gestiegen und hatte die Pferde angetrieben. Der junge Mann lehnte sich zurück mit einer Bewegung des Kopfes, als wolle er sagen: Schicksal, nimm deinen Lauf! und der Wagen fuhr davon.
Der Blinde winkte mit beiden H?nden lebhafte Geb?rden des Dankes nach. Jetzt h?rte er Carlo, der eben aus der Wirtsstube kam. Der rief herunter: ?Komm, Geronimo, es ist warm heroben, Maria hat Feuer gemacht!?
Geronimo nickte, nahm die Gitarre unter den Arm und tastete sich am Gel?nder die Stufen hinauf. Auf der Treppe schon rief er: ?La? es mich anfühlen! Wie lang hab ich schon kein Goldstück angefühlt!?
?Was gibt's?? fragte Carlo. ?Was redest du da??
Geronimo war oben und griff mit beiden H?nden nach dem Kopf seines Bruders, ein Zeichen, mit dem er stets Freude oder Z?rtlichkeit auszudrücken pflegte. ?Carlo, mein lieber Bruder, es gibt doch gute Menschen!?
?Gewi?,? sagte Carlo. ?Bis jetzt sind es zwei Lire und drei?ig Zentesimi; und hier ist noch ?sterreichisches Geld, vielleicht eine halbe Lira.?
?Und zwanzig Franken -- und zwanzig Franken!? rief Geronimo. ?Ich wei? es ja!? Er torkelte in die Stube und setzte sich schwer auf die Bank.
?Was wei?t du?? fragte Carlo.
?So la? doch die Sp??e! Gib es mir in die Hand! Wie lang hab ich schon kein Goldstück in der Hand gehabt!?
?Was willst du denn? Woher soll ich ein Goldstück nehmen? Es sind zwei Lire oder drei.?
Der Blinde schlug auf den Tisch. ?Jetzt ist es aber genug, genug! Willst du es etwa vor mir verstecken??
Carlo blickte den Bruder besorgt und verwundert an. Er setzte sich neben ihn, rückte ganz nahe und fa?te wie begütigend seinen Arm: ?Ich verstecke nichts vor dir. Wie kannst du das glauben? Niemandem ist es eingefallen, mir ein Goldstück zu geben.?
?Aber er hat mir's doch gesagt!?
?Wer??
?Nun, der junge Mensch, der hin und her lief.?
?Wie? Ich versteh dich nicht!?
?So hat er zu mir gesagt: 'Wie hei?t du?' und dann: 'Gib acht, gib acht, la? dich nicht betrügen!'?
?Du mu?t getr?umt haben, Geronimo -- das ist ja Unsinn!?
?Unsinn? Ich hab es doch geh?rt, und ich h?re gut. 'La? dich nicht betrügen; ich habe ihm ein Goldstück ...' -- nein, so sagte er: 'Ich habe ihm ein Zwanzig-Frankstück gegeben.'?
Der Wirt kam herein. ?Nun, was ist's mit euch? Habt ihr
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