Die drei Nüsse | Page 6

Clemens Brentano
ganze Stube voll fliegender, leuchtender Johannisk?fer; ich konnte nicht begreifen, wie die Menge dieser Insekten in meine Stube gekommen sei; ich erweckte meinen Mann und fragte ihn, was das nur zu bedeuten habe. Zugleich sah ich auf meinem Nachttische ein pr?chtiges venetianisches Glas voll der sch?nsten Blumen stehen und daneben neue seidene Strümpfe, Pariser Schuhe, wohlriechende Handschuhe, B?nder und dergleichen liegen. Mir fiel ein, da? morgen mein Geburtstag sei, und glaubte, mein Mann habe mir diese Galanterie gemacht, wofür ich ihm herzlich dankte. Er aber versicherte mir mit den heiligsten Schwüren, da? diese Geschenke nicht von ihm herrührten, und die heftigste Eifersucht fa?te zum erstenmal in ihm Wurzel. Er drang bald auf die rührendste und dann wieder heftigste Weise in mich, ihm zu erkl?ren, wer diese Dinge hierher gebracht; ich weinte und konnte es ihm nicht sagen. Aber er glaubte mir nicht, befahl mir aufzustehen, und ich mu?te mit ihm das ganze Haus durchsuchen, aber wir fanden niemand. Er begehrte die Schlüssel meines Schreibepultes, er durchsuchte alle meine Papiere und Briefschaften, er entdeckte nichts. Der Tag brach an, ich verzweifelte in Tr?nen. Mein Mann verlie? mich sehr unmutig und begab sich nach seinem Laboratorium. Ermüdet legte ich mich wieder zu Bett und dachte unter bittern Tr?nen über den n?chtlichen Vorfall nach; ich konnte mir auch gar nicht einbilden, wer den Handel k?nne angestellt haben, und verwünschte, indem ich mich selbst in einem Spiegel sah, der meinem Bette gegenüberstand, meine unglückliche Sch?nheit; ja, ich streckte gegen mich selbst, vor innerem Ekel, die Zunge heraus; aber leider blieb ich sch?n, ich mochte Gesichter schneiden, wie ich wollte. Da sah ich in dem Spiegel, aus einem der neuen Schuhe, die auf dem Nachttische standen, ein Papier hervorsehen. Ich griff hastig darnach und las unter heftiger Bestürzung folgendes Billett:

Geliebte Amelie! Mein Unglück ist gr??er als je; Dich mu?te ich meiden bis jetzt, und nun mu? ich auch das Land fliehen, in dem Du lebst; ich habe in meiner Garnison einen Offizier im Duelle erstochen, der sich Deiner Begünstigung rühmte; man verfolgt mich, ich bin hier in verstellter Kleidung. Morgen ist Dein Geburtstag; ich mu? Dich sehen, zum letzten Male sehen. Heute abend vor dem Tore findest Du mich in dem kleinen W?ldchen, unter den Nu?b?umen, etwa hundert Schritte vom Wege, bei der kleinen Kapelle rechts. Wenn Du mir einiges Geld zu meiner Hülfe mitbringen kannst, so wird Dir es Gott vergelten. Ich Tor habe es nicht unterlassen k?nnen, die letzten wenigen Louisdore meines Verm?gens an das kleine Geburtstagsgeschenk zu verwenden, das Du vor Dir siehst. Wie Du es erhalten, und was ich dabei gelitten, sollst Du selbst von mir h?ren. Schweigen mu?t Du, kommen mu?t Du, oder meine Leiche wird morgen in Deine Wohnung gebracht.
Dein unglücklicher Ludewig.

Ich las diese Zeilen mit der heftigsten Trauer; ich mu?te ihn sehen, ich mu?te ihn tr?sten, ich mu?te ihm alles bringen, was ich hatte, denn ich liebte ihn unaussprechlich und sollte ihn auf ewig verlieren."
Hier schüttelte der Bürgermeister l?chelnd den Kopf und sprach: "So haben Sie also doch, meine Dame, für einen fremden Mann Z?rtlichkeit empfunden?"
Die Fremde erwiderte mit einem ruhigen Selbstgefühl: "Ja, mein Herr; aber verdammen Sie mich nicht zu früh, und h?ren Sie meine Erz?hlung ruhig aus. Ich raffte den ganzen Tag alles, was ich an Geld und Geschmeide hatte, zusammen und packte es in einen Bündel, den ich mir gegen Abend von unserer Magd nach einem Badehaus in der Gegend jenes Tores, vor welchem Ludewig mich erwarten sollte, tragen lie?. Dieser Weg hatte nichts Auffallendes, ich war ihn oft gegangen. Als wir dort angekommen waren, sendete ich meine Magd mit dem Auftrage zurück, mir um neun Uhr einen Wagen an das Badehaus zu senden, der mich nach Hause bringen solle. Sie verlie? mich, ich aber ging nicht in das Badehaus, sondern begab mich mit meinem Bündelchen unter dem Arm vor das Tor nach dem Walde, wo ich erwartet wurde. Ich eilte nach dem bestimmten Orte, ich trat in die Kapelle, er flog in meine Arme, wir bedeckten uns mit Küssen, wir zerflossen in Tr?nen; auf den Stufen des Altares der kleinen Kapelle, die von Nu?b?umen beschattet waren, sa?en wir mit verschlungenen Armen und erz?hlten uns unter den z?rtlichsten Liebkosungen unsre bisherigen Schicksale. Er verzweifelte schier, da? er mich nun nie, nie wiedersehen sollte. Der Abschied nahte; es war halb neun Uhr geworden, der bestellte Wagen erwartete mich. Ich gab ihm das Geld und die Juwelen, und er sagte zu mir: ?Amelie, h?tte ich mich nur heute nacht vor deinem Bette erschossen, aber der Anblick deiner Sch?nheit im Schlafe entwaffnete mich. An dem Rebengel?nder deines offenen Fensters bin ich in deine Stube geklettert und habe die Johannisk?fer fliegen lassen, an denen ich auf meiner ganzen Reise gesammelt, weil ich mich erinnerte, da? du sie liebtest; dann legte ich dir die neuen Schuhe und Strümpfe hin und
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