Die Soldaten | Page 6

Jacob Michael Reinhold Lenz
abschrecken, hör
einmal.--Nu, ich will dir schon sagen, wie du den Brief an ihn
einzurichten hast. Unterdessen schlaf Sie gesund, Meerkatze.
Marie (küßt ihm die Hand). Gute Nacht, Pappuschka! (Da er fort ist, tut
sie einen tiefen Seufzer, und tritt ans Fenster, indem sie sich aufschnürt.)
Das Herz ist mir so schwer. Ich glaube, es wird gewittern die Nacht.
Wenn es einschlüge--(Sieht in die Höhe, die Hände über ihre offene
Brust schlagend.) Gott! was hab ich denn Böses getan?--Stolzius--ich
lieb dich ja noch--aber wenn ich nun mein Glück besser machen

kann--und Papa selber mir den Rat gibt, (zieht die Gardine vor) trifft
mich's, so trifft mich's, ich sterb nicht anders als gerne. (Löscht ihr
Licht aus.)

Zweiter Akt

Erste Szene
In Armentieres. Haudy und Stolzius spazieren an der Lys.
Haudy. Er muß sich dadurch nicht gleich ins Bockshorn jagen lassen,
guter Freund! ich kenne den Desportes, er ist ein Spitzbube, der nichts
sucht, als sich zu amÜsieren, er wird Ihm darum seine Braut nicht
gleich abspenstig machen wollen.
Stolzius. Aber das Gerede, Herr Major! Stadt und Land ist voll davon.
Ich kÖnnte mich den Augenblick ins Wasser stürzen, wenn ich dem
Ding nachdenke.
Haudy (faßt ihn unteren Arm). Er muß sich das nicht so zu Herzen
gehn lassen, zum Teufel! Man muß viel über sich reden lassen in der
Welt. Ich bin Sein bester Freund, das kann Er versichert sein, und ich
würd' es Ihm gewiß sagen, wenn Gefahr dabei wÄre. Aber es ist nichts,
Er bildet sich das nur so ein, mach Er nur, daß die Hochzeit noch
diesen Winter sein kann, solange wir noch hier in Garnison liegen, und
macht Ihm der Desportes alsdenn die geringste Unruhe, so bin ich Sein
Mann, es soll Blut kosten, das versichere ich Ihn. Unterdessen kehr Er
sich ans Gerede nicht, Er weiß wohl, die Jungfern, die am bravsten sind,
von denen wird das meiste dumme Zeug räsoniert, das ist ganz
natürlich, daß sich die jungen Fats zu rächen suchen, die nicht haben
ankommen können.

Zweite Szene
Das Kaffeehaus. Eisenhardt und Pirzel im Vordergrunde, auf einem
Sofa und trinken Kaffee. Im Hintergrunde eine Gruppe Officiers
schwatzend und lachend.
Eisenhardt (zu Pirzel). Es ist lächerlich, wie die Leute alle um den
armen Stolzius herschwärmen, wie Fliegen um einen Honigkuchen.
Der zupft ihn da, der stößt ihn hier, der geht mit ihm spazieren, der
nimmt ihn mit ins Cabriolet, der spielt Billard mit ihm, wie Jagdhunde

die Witterung haben. Und wie augenscheinlich sein Tuchhandel
zugenommen hat, seitdem man weiß, daß er die schöne Jungfer
heuraten wird, die neulich hier durchgegangen.
Pirzel (faßt ihn an die Hand mit viel Energie). Woher kommt's, Herr
Pfarrer? Daß die Leute nicht denken. (Steht auf in einer sehr
malerischen Stellung, halb nach der Gruppe zugekehrt.) Es ist ein
vollkommenstes Wesen. Dieses vollkommenste Wesen kann ich
entweder beleidigen, oder nicht beleidigen.
Einer aus der Gesellschaft (kehrt sich um). Nun fängt er schon wieder
an?
Pirzel (sehr eifrig). Kann ich es beleidigen, (kehrt sich ganz gegen die
Gesellschaft) so würde es aufhören, das Vollkommenste zu sein.
Ein andrer aus der Gesellschaft. Ja, ja, Pirzel, du hast recht, du hast
ganz recht.
Pirzel (kehrt sich geschwind zum Feldprediger). Kann ich es nicht
beleidigen--
(Faßt ihn an die Hand, und bleibt stockstill in tiefen Gedanken.)
Zwei, drei aus dem Haufen. Pirzel, zum Teufel! redest du mit uns?
Pirzel (kehrt sich sehr ernsthaft zu ihnen). Meine liebe Kameraden, ihr
seid verehrungswürdige Geschöpfe Gottes, also kann ich euch nicht
anders als respektieren und hochachten, ich bin auch ein Geschöpf
Gottes, also müßt ihr mich gleichfalls in Ehren halten.
Einer. Das wollten wir dir auch raten.
Pirzel (kehrt sich wieder zum Pfarrer). Nun-Eisenhardt. Herr
Hauptmann, ich bin in allen Stücken Ihrer Meinung. Nur war die Frage,
wie es den Leuten in den Kopf gebracht werden könnte, vom armen
Stolzius abzulassen, und nicht Eifersucht und Argwohn in zwei Herzen
zu werfen, die vielleicht auf ewig einander glücklich gemacht haben
würden.
Pirzel (der sich mittlerweile gesetzt hatte, steht wieder sehr hastig auf).
Wie ich Ihnen die Ehre und das Vergnügen hatte zu sagen, Herr Pfarrer!
das macht, weil die Leute nicht denken. Denken, denken, was der
Mensch ist, das ist ja meine Rede. (Faßt ihn an die Hand.) Sehen Sie,
das ist Ihre Hand, aber was ist das, Haut, Knochen, Erde, (klopft ihm
auf den Puls) da, da steckt es, das ist nur die Scheide, da steckt der
Degen drein, im Blut, im Blut--
(Sieht sich plötzlich herum, weil Lärm wird.)

(Haudy tritt herein mit großem Geschrei.)
Haudy. Leute, nun hab ich ihn, es ist der frömmste Herrgott von der
Welt. (Brüllt entsetzlich.) Madam Roux! gleich lassen Sie Gläser
schwenken, und machen uns guten Punsch zurecht. Er wird gleich hier
sein, ich bitte euch, geht mir artig mit dem Menschen um.
Eisenhardt (blickt sich vor). Wer, Herr Major,
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