Die Schwestern | Page 8

Jakob Wasserman
er aber auch nicht lange, sondern zog den Rhein hinauf nach der
fröhlichen Stadt Köln und zu seinem getreuen Pfalzgrafen. Dann hetzte
es ihn weiter, er suchte die Heimat auf und verließ sie wieder,
enttäuscht, beklommen und grundlos erbittert. Die Herren am
kaiserlichen Hof wunderten sich über die unverträgliche Natur des
Prinzen und seine hitzige Art; denn Philipp war ehedem sanft gewesen.
Im ersten Monat des neuen Jahrhunderts, als die Kometen Unheil
ankündeten und die schwarze Pest aus Asiens Wüsten hauchte, machte
sich Don Philipp abermals auf und zog nach der niederländischen Stadt
Gent. Wie er nur noch eine Stunde von den Mauern entfernt war,
kamen ihm der Audiencier und Meister Jakob von Goudebault
entgegen und teilten ihm mit, daß Donna Johanna, hochschwangeren
Leibes, seiner im Schloß harre. Sie war wenige Tage zuvor von
Spanien eingetroffen, voll Sehnsucht nach dem Gemahl.
Don Philipp klopfte das Herz. In den sieben Monaten seiner
Abwesenheit hatte er Johanna gleichsam aus seinem Innern verloren.
Er wußte nicht mehr, wie sie aussah, wie sie sprach; er erinnerte sich
nicht mehr an die Farbe ihrer Augen und an die Form ihrer Schultern;
ihre Stimme klang ihm nicht mehr im Ohr, seine Gedanken hatten sich
ihrer entwöhnt. Geblieben war nur die zunehmende Bangigkeit, wenn
er sich vorstellte, eines Tages wieder Angesicht in Angesicht mit ihr
sein zu sollen.
Er hatte ihren Namen durch die Länder geschleppt; nichts weiter als
ihren Namen. Sie mit Leib und Geist in der Stadt Gent zu wissen,
überraschte und erschreckte ihn. Er verzögerte den Einzug auf alle
Weise, so daß seine Leute nicht wußten, was sie davon denken sollten.
Dennoch durchflammte ihn gleichzeitig die äußerste Ungeduld und
suchte ihn zu bereden, daß die alte Leidenschaft wieder erstanden sei.

Als er Johannas Lippen auf den seinen spürte, starrte er offenen Auges
und stockenden Atems auf ihre bernsteingelben Lider, die sich tief
herabgesenkt hatten wie in einem Schlaf der Liebe. Ihm war, als müsse
er mit einem Messer die beiden zitternden Hautkugeln durchritzen, um
Sonnenlicht durch diese Behälter der Finsternis zu gießen.
Das große Gent gab dem Herzog zu Ehren ein Fest. Um Mitternacht,
als Tanz und Lustbarkeit im besten Zuge waren, fühlte sich die Infantin
sehr unwohl. Ehe man sie hinwegführen konnte, gebar sie im dichten
Kreis ihrer Damen ein Kind. Es war ein Knabe und er wurde Carlos
genannt. Die Herzogin Margarete nahm ihn in Obsorge. Diesmal kam
der Entschluß, das Kind in der flandrischen Stadt zu lassen, von Philipp
selbst.
Als man das Schiff zur Rückkehr nach Burgos betrat, war die Infantin
noch des Glaubens, ihr Knabe sei mit an Bord. Erst auf hohem Meer
erfuhr sie, daß dem nicht so war. Mit einem langen Schrei stürzte sie
aufs Verdeck, um sich in die Wellen zu werfen, um
zurückzuschwimmen und das Kind zu holen. Ein Matrose packte sie
noch am Arm. Bewußtlos fiel sie hin.
* * * * *
Dieses Kind hatte sie mit dem Wissen einer Mutter im Schoß getragen.
Die lange Trennung von Philipp hatte ihr Gefühl zur Tiefe gedrängt.
Der höfisch gemessene Stil ihrer Briefe an ihn war die Schanze, hinter
der sie die Zuckungen und Tränen ihrer einsamen Leidenschaft verbarg.
Auf das unsichtbare, jedoch so nahe, ja mit ihr selbst verschmolzene
Geschöpf bürdete sie die Schönheit und den Reichtum der Erde wie
man das Bild der Muttergottes mit Rosen und Kostbarkeiten behängt.
Sie hatte den Strahl seines Auges aus der Dämmerung des
Nochnichtseins aufgefangen, sie hatte es schon ganz im Besitz und es
mit verzückten Armen über sich und über Philipp hinausgehoben, um
es Gott näher zu bringen. Mit entzündeter Phantasie hatte sie seine
Seele erschaffen. Sie hatte seinen Geist aus Träumen gemeißelt und
ihre Liebe, bisher körperlos verschwebend, hatte ein Gefäß erhalten,
atmende, zeugende Gegenwart.

Durch den neuerlichen Raub sah sie sich ausgestoßen aus der Welt und
aus sich selbst. In frierender Blöße war sie schamloser Neugier
preisgegeben. Sie erschien sich entkräftet und zweigeteilt. Sie verlor
die seltsam umschleierte Sicherheit von Rede, Schritt und Haltung,
bewahrte aber doch ihre Ruhe. Wie ehemals formte sich alles zur
geduldigen Erwartung, doch war es nicht mehr die Erwartung vor dem
Anbruch des Tages, sondern diejenige vor dem Kommen der Nacht.
Es träumte ihr, daß sie zwei Teller sah, die wie zwei gefallene Monde
anzuschauen waren. Auf jedem der beiden Teller lag ein Herz, auf dem
einen das ihre, auf dem andern Philipps Herz. Ihr Herz war
scharlachfarben, von den Seiten rann Blut und quoll über die bläulich
leuchtende Schale. Philipps Herz war blaß und schleimig; es erinnerte
an jene Quallen, die das Meer bisweilen an den Strand spült. Da trat
eine Gestalt heran, packte Johannas Herz und warf es empor. Es stieg
aber kaum über Baumeshöhe und fiel schwer zurück. Dann schleuderte
dieselbe Hand Philipps Herz empor, und dies flog leicht wie eine
Rakete bis in die Wolken und kam
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