Die Schwestern | Page 7

Jakob Wasserman
Deutschland gedruckt wurden. Das Gerede blieb haltlos; zudem
war der Herzog nach wie vor ein eifriger Kirchengänger und bei den
geistlichen Umzügen zeigte er solche Andacht, daß es ergreifend war,
in sein helles Jünglingsgesicht zu schauen.
* * * * *
Es kam aber die Zeit, wo in diesem Gesicht bisweilen eine rasche
Angst aufzuckte. Da wurde dann die glattgespannte Stirn schlaff und
warf eine ermüdete Falte. Doch mußte Philipp allein sein, um den Mut
zu finden, diesem Ziehen außerhalb der Haut nachzugeben. Etwa wenn
er in der Dämmerung am Fenster stand und über die Baumwipfel
hinwegspähte, in deren Ästen der Frühling prickelte. Auch geschah es

vor dem Einschlafen in der Nacht, daß ein Seufzer über seine Lippen
eilte.
Vor dem Traum flog sein Geist an die fernen Ufer der Donau. Dort war
das Leben viel leichter; es schien, als könne man dort mit plötzlich
unbelasteter Schulter wandeln.
Philipp sehnte sich nach einem Spiel. Nicht nach ritterlichem Spiel, --
er hatte häufig Lust, sich mit Landsknechten an einen schmutzigen
Kneipentisch zu hocken und mit ihnen Karten zu spielen. Es reizte ihn,
an ihren rohen Scherzen teilzunehmen, für sich allein trieb er Rede und
Widerrede, vergnügte sich innerlich an einer unflätigen Wendung und
kicherte, wenn er den Beifall der eingebildeten Hörer erworben zu
haben glaubte.
Ja, er trug Begierde nach etwas Gemeinem, Lüsternem, Schmutzigem
und Verruchtem. Diese Begierde wuchs, da er sie vor der Welt und sich
selbst mit Sorgfalt zu verbergen trachtete.
Nach längerem Beisammensein mit Johanna fielen ihm vor
Erschöpfung die Augen zu, und er sah aus, als schlafe er im Gehen und
im Stehen. Denn sie spannte seine Seele, sie dehnte seine Seele über
alles Vermögen. Wenn sie sprach oder schwieg, war es gleich schwer,
immer gegenwärtig zu sein. Ihr Schweigen war wie ein Marmorblock,
den er auf seinen Händen tragen sollte. Hände, Arme und der ganze
Leib gerieten durch das Gewicht des Blocks nach und nach ins Zittern,
und die Kraft versagte. Sie ahnte nichts davon, die mit aufgereckter
Inbrunst ihm zur Seite ging, beständig trunken von derselben dünnen
Luft.
Hier war ein geheimnisvoller Kreis, in dem zu schreiten die Nerven bis
zum Klingen auseinanderzerrte. Ihn zu verlassen, schien bedenklich,
denn jenseits war vielleicht der Tod. Philipp fürchtete sich vor seinem
Weib.
Einst gedachte er der nächtlichen Streiche, die er verkleidet in
Gesellschaft des Pfalzgrafen verübt. Er verkleidete sich ebenso, und als
es Nacht war, trieb er sich in den Gassen herum, mischte sich in die

Händel zwischen ein paar französischen Buschkleppern, brach einem
schwarzen Hund, der ihm bellend an die Schulter sprang, mit einem
Griff das Genick, fand eine Schenke voll schwäbischer Söldner, denen
er soviel Wein auftischen ließ, daß sie schließlich allesamt wie tot auf
der Erde lagen, und gelangte beim Morgengrauen unerkannt wieder ins
Schloß. Es war ein Auf- und Ausatmen.
Eine Woche vor Johannas Niederkunft kam der Connetable mit einer
vertraulichen Botschaft des Königs. Er gab dem Herzog zu verstehen,
wie große Bedenken es habe, das Kind in den Händen einer Frau zu
lassen, die nach dem Zeugnis aller Urteilsfähigen der gesunden
Vernunft entbehre. Wenn auch neuerdings das Unwesen sich gemildert
habe, so bestehe doch keine Sicherheit, schon der nächste Tag könne
den Geist der Infantin wieder verdunkeln. Der Herzog möge besserer
Einsicht Gehör schenken und das Kind aus dem dämonischen Bereich
entfernen; der Hof von Madrid erklärte sich bereit, die Erziehung zu
übernehmen.
Philipp sträubte sich zuerst, gab aber bald nach. Es kam ein Mädchen
zur Welt, das am siebenten Tag seines Alters der mütterlichen Hut
entwendet wurde. Als die Infantin sich aus ihrem Bett erhob, konnte ihr
der Sachverhalt nicht verheimlicht werden. Man stellte aber alles so dar,
als ob ein Beweis der gnädigen Gesinnung des Königs vorliege.
Johanna hörte ruhig zu. Sie verlangte den Herzog zu sprechen. Es
wurde ihr bedeutet, Don Philipp habe in dringenden Geschäften
verreisen müssen.
In Wirklichkeit hielt sich Philipp auf einem Schloß in Arragon
versteckt, bis er annehmen durfte, Johanna habe sich dem
Unvermeidlichen ergeben. Er hatte ein paar gesellige Kumpane mit
sich genommen, darunter den Ritter Franz von Kastilalt, einen
Abenteurer und Possenreißer. Dieser wurde sein unzertrennlicher
Trabant; auf die Gunst des Herzogs bauend, verübte er mancherlei
Untaten und wurde der Schrecken friedlicher Bürger. Er war ein so
gewaltiger Fresser, daß ihn einst der Graf von Aranda um Gottes willen
ersuchte, sein Gebiet zu verlassen, weil er und seine Leute eine
Hungersnot herbeiführen könnten.

Dem Herzog wurde die Stadt zu eng und von Castilien sprach er als
von einer Provinz des Teufels. Verhaßt wurde ihm sein Haus, verhaßt
der Himmel, der es bedeckte. Schien die Sonne, so beklagte er sich
über ihre Glut, fiel Regen, so meinte er höhnisch, ein Land, das Wasser
gebäre statt Wein, müsse man fliehen. Und er floh. Als die Unruhen in
Flandern ausbrachen, begab er sich übers Meer nach Antwerpen, dort
blieb
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