Die Schwestern | Page 6

Jakob Wasserman
hielt
sie das bläuliche Haar in der Linken und lauschte dem knisternden
Geräusch, das ihr Kamm hervorbrachte.
Auch der Alguazil und andere Herren waren inzwischen
herbeigekommen und starrten nicht ohne Scheu über die Schwelle. Von
gegenüber, aus offenen halberleuchteten Räumen eilten Kammerfrauen
herzu und blieben mit gefalteten Händen stehen. Donna Gregoria hörte
auf zu kämmen und schaute über die Schulter hinweg hochmütig
fragend auf Herrn von Carancy, dem die Sprache versagte und der
rückwärts griff nach dem Pergament in den Händen des Richters.
Donna Johanna erhob sich; sie war weder erstaunt noch erzürnt. Es war,
als lausche sie auf den verworrenen Lärm, der von draußen
hereinschallte, und ihre gelben dünnen Lider bewegten sich kaum, als
sie fragte: »Was hat seine Herrlichkeit der König über mich verfügt?
denn nur in seinem Namen kann vielleicht ein solcher Überfall sich
rechtfertigen.«
Herr von Carancy zuckte zusammen und über seine Haut rann ein
Schauder. Doch antwortete er, was er antworten mußte.
Bei dem Worte Ketzerhaft stieß Donna Gregoria einen gellenden Schrei
aus. Die Infantin machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Stirn schien
beinahe unsichtbar zu werden unter der sinkenden Wolke des Kummers.
Ihr Gesicht lag wie ein Stein im Bett des schwarzaufgelösten Haares.
»Ich bin bereit,« sagte sie mit einem verlorenen Lächeln, denn der
Wille zu leiden umflutete sie wie Wollust.
Donna Gregoria ergriff den Leuchter und wollte damit, planlos, sinnlos,
der Herrin vorauseilen. Die fünf brennenden Lichter, im Zugwind
wehend und hoch emporgehalten, erschienen Johanna auf einmal als
untrügliche Verheißung, so daß was nun folgte, ihrem atemlosen
Erwarten schon wie ein tiefes, sattes Ruhen war, und indem sie es lebte,

spürte sie es schon als Erinnerung, dankbar und müde.
Besorgt über die Wirkung, die Johannas Gefangennahme auf Philipp
haben würde, hatte Don Diego Gotor dem Herzog in kurzer Frist von
dem was im Werke war Mitteilung gemacht. Zwischen seinem letzten
Wort und der Sekunde, die ihn nun Aug in Aug mit der Infantin sah,
war nicht soviel Zeit verflossen, als man braucht, um bis fünfzig zu
zählen. Der Herzog strauchelte keuchend herein. Sein Auge, das den
Eindruck von etwas Morschem, Faulendem machte, haftete auf nichts,
auf keinem. Er sank vor Donna Johanna auf die Kniee, und als sie ein
wenig zurückwich, sank er noch weiter hin, platt an die Erde. Wie er
lag, fing er an zu weinen. Alle dachten, nun sei es zu Ende mit ihm,
und starrten bestürzt einander an.
Die Infantin hatte die Fingerspitzen beider Hände zusammengepreßt.
Ihr Haupt fiel auf den gedehnten Hals nach rückwärts. Sie lauschte
beseligt dem Weinen, das wie Flügelrauschen zu ihr emporwirbelte.
Jetzt sah sie Philipp, jetzt war er da, er lebte. Mit jähem Ruck beugte
sie sich herab und drückte sanft die Hand auf sein Haar. Philipp
schwieg, schaute auf, ihre Blicke verschmolzen, es hob ihn wie von
selbst, er umfaßte mit den Armen ihre Schenkel und trug sie kurz und
heiser aufjubelnd durch einen purpurnen Nebel von Glück hindurch.
Johanna lachte lautlos in die Luft hinein, und es war ihr, als ginge es
über Mauern, die vor Philipps Schritt zerbarsten, über Wälder, deren
Finsternis wie Glas zersprang, und über das Meer, das wie flüssiges
Morgenrot schäumte.
Die ganze Nacht hindurch war das Schloß von heiterster
Ausgelassenheit erfüllt, auch in der Stadt herrschte alsbald festliches
Wesen. Die vornehme Familie der Stuniga ließ auf offener Straße eine
Zechtafel für das Volk errichten.
* * * * *
Fahrende Sänger und Liederdichter flochten nun in ihre oft rezitierten
Strophen gern einen Vers ein zum Preis der innigen Liebe zwischen
Philipp und Johanna von Castilien.

Aber der Hof zu Burgos wurde allmählich eine Stätte des Schweigens.
Den Pagen, Rittern und Edelfrauen ging der Stoff zu schwatzen aus.
Ein vereinzeltes Lanzenstechen half auch nur über ein paar Tage
hinweg. Die Herren saßen oft betrübter da als nach verlorenen
Schlachten, und manche erbaten den Abschied, um nach Rom, Madrid
oder Flandern zu ziehen.
Kamen die spöttischen Granden zusammen, so hieß es: was macht
Philipp? schläft er noch? Und es wurde erwidert: wenn der Dürstende
trinkt, so spricht er nicht.
Der Herzog zeigte sich selten öffentlich. Sobald die Ratsgeschäfte
erledigt waren, bei denen er ein ernst-wohlwollendes Betragen an den
Tag legte, zog er sich wieder in seine Gemächer zurück. War eine Jagd
angesagt, so ließ er die Geladenen oftmals allein ziehen oder entfernte
sich von der Gesellschaft, wenn es gerade am lustigsten war, und ritt
davon. Dann berichteten Hirten, daß sie ihn in einem einsamen Tal
angetroffen hätten, wo das Pferd sich selbst überlassen an einem
Abhang graste, indes Philipp ruhvoll auf der Erde lag und den Blick in
die Wolken sandte.
Einige ließen schüchtern verlauten, er sei eben im Bann gewisser
Zauberkünste. Doch mit Bestimmtheit wußte man nur, daß Johanna
ihm italienische Gedichte vorlas, auch die Berichte der Seefahrer über
die indischen Länder und die neuen Traktate über den Sternenhimmel,
die in
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