Die Schwestern | Page 5

Jakob Wasserman
lahm.
Bald fing Philipp an, Trank und Speise von sich zu weisen, versagte
sich dem Gebet, und sonst heilsame Mixturen übten keine Wirkung.
Seine Augen erloschen, die Hand schloß sich nicht mehr zum Druck
beim Gruß.
Des Nachts richtete er sich auf und streckte die Arme aus, als wolle er
ein Luftbild umschlingen. Die heiße Lippe lallte einen zärtlichen Laut.
Wenn er in den Spiegel sah, so erblickte er nicht sein eigenes Antlitz
und bisweilen küßte er in der Verblendung den eigenen Mund.

Die Infantin trat oft an Philipps Lager, sie erhaschte seinen Blick und
hielt ihn fest, sie grub gleichsam das Innere seines Auges auf. Die
blauen Sterne schwammen auf der milchigen Iris in einer Art von
Wahnsinn langsam von Eck zu Eck. Das korngelbe Haar klebte naß auf
der steilen Stirn. Der schmale Körper, auf der Seite liegend, glich
einem gespannten Bogen. Donna Johanna schüttelte den Kopf; noch
schritt Philipp auf lautlosem Wasser in trüber Ferne.
Aber ihre Sehnsucht wurde so groß, daß es, als wäre die Erfüllung
schon geschehen, wie ein Strom der Verzücktheit durch ihre Brust floß.
Sie sah den blauen Himmel besät mit smaragdenen Blumen und die
myrten- und lorbeerbeladene silberne Erde hob sich schwellend dem
Firmament entgegen. Oft eilte sie in der Dämmerung durch die
Galerien in die Gärten, so schnell, daß Donna Gregoria kaum zu folgen
vermochte. Begegnete ihr jemand auf diesem Weg, so blieb sie stehen
und schaute ihn an, streng und wild. Wer ist der Mann? fragte sie ihre
Begleiterin mit ihrer wunderlich flötenden oder gurrenden Stimme.
Und Donna Gregoria erwiderte etwa: es ist einer von Don Philipps
Freunden. Doch Johanna hörte die Antwort nicht mehr; sie war schon
weiter geschritten; die gelben dünnen Lider, von zahllosen blauen
Äderchen übersponnen, schienen die vollflammenden Augen zu
begraben, der Kopf senkte sich nach vorn, von ihrer Schulter wehte der
Abendwind den Schleier herab, und der entblößte Nacken leuchtete wie
das Holz eines frischgeschälten jungen Baumes...
Da geschah es, daß Herr von Carancy und Herr von Aymeries
übereinkamen, dem König neuerdings von allem Bericht zu erstatten
und dringend zu fordern, daß die Infantin in ernste Rechenschaft
gezogen würde, deren Verhalten sie als eine Frucht und einen Beweis
der teuflischen Schwarzkunst ansahen. Sie versicherten sich des
Einverständnisses der übrigen Granden und Räte, und Herr von
Carancy sollte den Wortführer machen. An einem Freitag zu Anfang
September ritten sie mit ihren Leuten gen Valladolid, in welcher Stadt
der König damals gerade Hof hielt. Am Hoflager angelangt, ließen sie
sich melden, und Herr von Carancy trug mit zornverhaltener
Beredsamkeit vor, was im Palast von Burgos die Gemüter verfinsterte.

Der König wurde vor Ingrimm totenbleich. Schon lange hegte er der
schmählichen Angelegenheit wegen gerechte Besorgnis. Es wurde ein
Haftbefehl ausgefertigt, demzufolge Johanna auf das feste Schloß
Portillo in Ketzergewahrsam zu bringen sei. Der Kommandant von
Burgos habe zweihundert Mann unter den Befehl des Herrn von
Carancy zu stellen; mit ihnen und in Begleitung des Ober-Alguazils,
damit den Waffen auch das Gesetz zur Seite stehe, solle dieser in den
Palast dringen und die Infantin fortführen.
Die zwei Herren waren zufrieden; Ketzergewahrsam hieß so viel, als
unter Foltern langsam sterben. Sie kehrten ehestens nach Burgos
zurück und handelten ohne Verzug. Der Stadtkommandant, sehr
betroffen über den königlichen Befehl, wagte nicht zu widersprechen,
trotzdem er eigentlich nur dem Herzog zu gehorchen hatte. Er sandte
aber im geheimen Botschaft an den Haushofmeister im Schloß, um die
Leute der Infantin vorzubereiten und zu warnen.
Als das Abendläuten von den Türmen der Kathedrale klang, forderte
Herr von Carancy mit seinen Bewaffneten im Namen des Königs
Einlaß in den Palast, ließ sämtliche Tore besetzen, postierte einen Teil
der Leute in den Gängen und auf den Treppen und schritt, von seinem
Genossen und dem Oberrichter gefolgt, nach den Gemächern der
Infantin. Madame de Bevres, die ihm entgegentrat, antwortete auf seine
rauhen und herrischen Worte mit Ruhe, daß sich Donna Johanna im
Bade befinde.
Herr von Carancy war mißtrauisch, mußte sich aber zu warten
entschließen. Da jedoch beinahe eine halbe Stunde verfloß, ohne daß
weder die Herzogin noch eine ihrer Damen sich zeigte, übermannten
ihn Argwohn und Ungeduld, er öffnete die nächste Türe, die in ein
leeres Zimmer führte, durchschritt diesen Raum und gelangte zu einer
zweiten Türe, die er gewalttätig aufwarf.
Die Infantin saß vor einem Porphyrtisch, auf dem ein goldner Leuchter
mit fünf brennenden Kerzen stand. Sie saß in einem Stuhl mit hoher
Lehne, doch nicht hingelehnt; ihr Oberkörper war seltsam steif
aufgerichtet und diese Steifheit wurde vermehrt durch die regungslos
niederhängenden Arme. Sie trug ein kastanienbraunes Kleid, das man

für ein Mönchsgewand hätte halten können, wäre nicht die zartgelbe
Stickerei am Saum und an den Ärmeln gewesen.
Hinter ihr stand Donna Gregoria und kämmte der Herrin das Haar.
Donna Gregoria war klein, schlank, gelenkig, spitzgesichtig. Sie hatte
etwas von einer Äffin und etwas von einer Schwalbe. Liebkosend
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