Die Richterin: Novelle | Page 7

Conrad Ferdinand Meyer
der Fratze entgegen. Es war ein Lombarde, das erriet sie aus den ziegelroten Nesteln seiner schmutzig-gelben Str��mpfe. In die schreiendsten Farben gekleidet, wie sie Armut und Zufall zusammenw��rfeln, trug der Kleine einen langausgedrehten pechschwarzen Spitzbart, der mit den gezackten Brauen und dem verzerrten Gesichte eine possierliche Maske schuf.
"Wer bist du, und was willst du?" fragte das M?dchen.
"Nur nicht gerufen, kleine Herrin oder vielmehr gro?e Herrin, denn, bei meiner katholischen Seele! du hast die Mutter dreimal handbreit ��berwachsen. Wo ist sie?" Er schaute sich ?ngstlich um. Sein Blick fiel auf etwas Graues. In der Mitte des Hofes und im Schatten der Ahorne stand ein breiter Steinsarg, auf dessen Platte ein gewappneter Mann neben einem Weibe lag, das die H?nde ��ber der Brust faltete. "Ei, da h?lt ja unsere liebe Frau neben ihrem Alten stille Andacht", spa?te der Lombarde, "und tr��bt kein W?sserchen, w?hrend sie zugleich in ihrer gr��nen Kraft bergauf bergab reitet und h?ngen und k?pfen l??t." Er blickte bedenklich zu dem pr?chtig gebildeten leuchterf?rmigen Ast eines Ahorns empor. "Hier w��rde ich ungerne prangen", sagte er. "In K��rze: ich bin Rachis der Goldschmied und habe ein Gesch?ftchen mir dir. Liebst du deinen Bruder, junge Herrin?"
Diese pl?tzliche Frage setzte das M?dchen kaum in Erstaunen, das sich heute und gestern mit nichts anderem als nur mit diesem selben Gegenstande besch?ftigt hatte. "Wie mein Leben", sagte sie.
"Das ist sch?n von dir, aber wenig fehlt, so liebst du einen Toten. Wulfrin der H?fling ist in unsere Gewalt geraten."
"Er lebt?" schrie das M?dchen angstvoll.
"Zur Not. Herzog Witigis zielt auf sein Herz--aber wird uns die Richterin nicht ��berraschen?"
"Nein, nein, sie ist nach Chur verritten. Rede! schnell!"
"Nun, ich habe ein feines Ohr und wei? auch ein Loch in der Mauer, denn ich bin hier nicht unbekannter als der Marder im H��hnerhof. Also: dein Bruder ist in einen Hinterhalt gefallen. Er schlug um sich wie ein Rasender, und unser Sechse wichen vor ihm, die einen verwundet, die andern, um es nicht zu werden. Doch sein Pferd rollte in den Abgrund, und er selbst verirrte sich auf eine leere Felsplatte, wo wir ein Treiben auf ihn anstellten und ihm hinterr��cks ein langes Jagdnetz ��ber den Kopf warfen. Denn der Herzog wollte ihn lebendig fangen, um ihn ��ber die Wege des Franken, unsers Verderbers, auszufragen. Der Trotzkopf aber verschwieg alles, auch den eigenen Namen. Da legte der Herzog den Pfeil auf den Bogen und"--Rachis tat einen grausamen Pfiff.
"Du l��gst! er lebt!" rief das M?dchen mutig.
"Vorl?ufig. Der Herzog dr��ckte nicht ab, denn--jetzt wird die Geschichte lustig--das junge Weib eines der Unsrigen, eine freigegebene Eigene der Richterin, wenig ?lter als du"--
"Mein Gespiel Brunetta, das Kind Faustinens"--
"Gerade diese sprang dazwischen. 'Bei der durchl?cherten Seite Gottes', heulte sie, 'der arme Herr tr?gt das Wulfenhorn und ist kein anderer als der Sohn des Comes, der im Steinbild auf Malmort liegt. Seine leibliche Schwester, Herrin Palma, hat mir von ihm erz?hlt, von klein an und in einem fort ohne Aufh?ren. Du darfst nicht sterben', wendete sie sich an den Gebundenen, 'das w?re ihr ein gro?es Leid und t?tete ihr das Herzchen. Denn wisse, du bist ihr Herzk?fer, wenngleich sie dich noch nie mit Augen gesehen hat. Sende hin, und sie l?st dich mit ihrem ganzen Geschmeide. Es sind k?stliche Sachen. All ihr Kleinod hat die Richterin dem Kinde, sobald es seinen Wuchs hatte, gespendet und dahingegeben.'"
"So erfuhr Herzog Witigis den Namen seines Gefangenen und die blonde Rosmunde, die er um sich hat, das Dasein eines herrlichen Schatzes. Sie umhalste den Herzog und erflehte sich das Geschmeide von Malmort. Ihr Stirnband habe seine Perlen und ihr elfenbeinerner Kamm die H?lfte seiner Z?hne verloren. Kurz, Goldschmied Rachis wurde an dich geschickt und bietet dir den Tausch. W?hle: Schmuck oder Bruder!"
Ehe noch der Lombarde geendigt hatte, st��rzte das M?dchen gegen die Burg, die steile Treppe hinauf, verschwand in der Pforte und kam atemlos wieder, Schimmerndes und Klingendes in dem zur Sch��rze gefa?ten hellen Oberkleide tragend. Dieses hielt sie mit der Linken, w?hrend die Rechte St��ck um St��ck wie aus einem Horte emporhob und den gekr��mmten Fingern des Goldschmieds ��berantwortete. Spangen, Stirnb?nder, G��rtel, Perlschn��re verschwanden in dem Sacke, welchen Rachis ge?ffnet hatte, auch f��r die blonden Flechten Rosmundens ein kunstvoller Kamm von Elfenbein mit dem Heiland und den Aposteln in erhabener Arbeit. Jedes durch seine H?nde wandernde St��ck begleitete der Goldschmied mit dem Lobe des Kenners, nicht ohne ein bi?chen Bosheit, die dem begeisterten M?dchen seine Verluste f��hlbar machen wollte. Sie zuckte nicht einmal mit dem Mund, sie leuchtete vor Freude bei der Hingabe alles ihres Besitzes.
Da kam ihr denn doch ein Zweifel. "Du bist redlich?" sagte sie. "Du schickst mir den Bruder? Es ist besser, ich begleite dich!" und sie machte sich wegfertig.
"Unm?glich, Herrin", widersprach der Lombarde, "das geht nicht! Du entdecktest unsere Schlupfwinkel und gef?hrdetest mit dem Leben des Bruders auch das deinige. Die Richterin aber w��rde dich von
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