Die Richterin: Novelle | Page 4

Conrad Ferdinand Meyer
der Schwelle ihres Kastells, vor ihrem Angesichte, j?hlings ist dein Vater erblichen. Das ist schrecklich und fragw��rdig. Frau Stemma l??t dir sagen, sie wundere sich, da? sie dich rufen m��sse, sie habe dich l?ngst, t?glich, st��ndlich erwartet, seit du zu deinen m��ndigen Jahren gekommen bist. Nur ein Sorgloser, ein Fahrl?ssiger, ein Pflichtvergessener--nicht meine Worte, die ihrigen--verschiebe und vers?ume es, sie zur Rechenschaft zu ziehen."
Wulfrin blickte finster. "Das Weib tritt mir zu nahe", sagte er. "Ich wu?te, was man einem Vater schuldig ist. Er hat an meiner Mutter gefrevelt, und sein Ged?chtnis--die Kriegstaten ausgenommen--ist mir unlieb: dennoch habe ich mir seine Todesgeb?rde vergegenw?rtigt, den Augenzeugen Arbogast, der das L��gen nicht kannte, habe ich scharf ins Verh?r genommen. Jetzt will ich noch ein ��briges tun und dir die gemeine Sache herbeten, vom Kredo bis zum Amen. Du bist aus dem Lande und kennst die Geschichte. Mangelt etwas daran oder ist etwas zuviel, so widersprich!"
Der Vater kam aus Italien und n?chtigte bei dem Judex auf Malmort. Bei Wein und W��rfeln wurden sie Freunde, und der Vater, der, meiner Treu, kein J��ngling mehr war--ich habe aus der Wiege seinen wei?en Bart gezupft--, warb um das Kind des Richters und erhielt es. Beim Bischof in Chur wurde Beilager gehalten. Am dritten Tage setzte es H?ndel. Der R?z��nser, dessen Werbung der Judex abgewiesen haben mochte, wurde zu sp?t oder ungeb��hrlich geladen oder an einen unrechten Platz gesetzt oder nachl?ssig bedient oder schlecht beherbergt, oder es wurde sonst etwas versehen. Kurz, es gab Streit, und der R?z��nser streckt den Judex. Der Vater hat den Schwieger zu r?chen, berennt R?z��ns eine Woche lang und bricht es. Inzwischen bestattet das Weib den Judex und reitet nach Hause. Dort sucht sie der Vater, mit Beute beladen. Er st??t ins Horn, der Sitte gem??. Sie tritt ins Tor, sagt den Spruch und kredenzt den Wulfenbecher, den ihr der Vater in Chur nach w?lfischer Sitte als Morgengabe gereicht hatte. Kredenzt ihn mit drei Schl��cken. Der Arbogast, der durstig daneben stand, hat sie gez?hlt: drei herzhafte Schl��cke. Der Vater nimmt den Becher, leert ihn auf einen Zug und haucht die Seele aus. War es so oder war es anders, Bischofsneffe?"
"W?rtlich und zum Beschw?ren so", best?tigte Graciosus. "Von hundert Zeugen, die den Burghof f��llten, zu beschw?ren! Soviel ihrer noch am Leben sind. Und solches ist geschehen nicht im Zwielichte, nicht bei flackernden Sp?nen, sondern im Angesicht der Sonne zu klarer Mittagszeit. Der Comes, dein Vater, war rasend geritten, hatte im B��gel manchen Trunk getan"--
"Und mit fliegender Lunge ins Horn gesto?en, vergi? nicht!" h?hnte Wulfrin.
"Er triefte und keuchte"--
"Er lechzte wie eine Bracke!" ��berbot ihn Wulfrin.
"Er sehnte sich nach seinem Weibe", d?mpfte Graciosus.
"Trunken und br��nstig! unter gebleichten Haaren! pfui! Ist das zum Abmalen und an die Wand heften? Was will die Judicatrix? Mich schw?ren lassen, da? wir W?lfe gemeinhin am Schlage sterben? Was freilich auf die Wahrheit herausliefe."
"Es ist ihr Wille so, und man gehorcht ihr in R?tien."
"Seht einmal da! ihr Wille!" hohnlachte Wulfrin. "Mein Wille ist es nicht, und meine Heimat ist nicht ein Bergwinkel, sondern die weite Welt, wo der Kaiser seine Pfalz bezieht oder sein Zelt aufschl?gt. Sage du deiner Richterin, Wulfrin sei kein Laurer noch Argw?hner! Sie r��hre nicht an die Sache! Sie zerre den Vater nicht aus dem Grabe! Ich lasse sie in Ruhe, kann sie mich nicht ruhig lassen?" Er drohte mit der Hand, als st��nde die Stiefmutter vor ihm. Dann spottete er: "Hat das Weib den Narren gefressen an Spruch und Urteil? Hat es eine kranke Lust an Schwur und Zeugnis? Kann es sich nicht ers?ttigen an Recht und Gericht?"
"Es ist etwas Wahres daran", sagte Graciosus l?chelnd. "Frau Stemma liebt das Richtschwert und befa?t sich gerne mit seltenen und verwickelten F?llen. Sie hat einen gro?en und stets besch?ftigten Scharfsinn. Aus wenigen Punkten err?t sie den Umri? einer Tat, und ihre feinen Finger enth��llen das Verborgene. Nicht da? auf ihrem Gebiete kein Verbrechen begangen w��rde, aber geleugnet wird keines, denn der Schuldige glaubt sie allwissend und f��hlt sich von ihr durchschaut. Ihr Blick dringt durch Schutt und Mauern, und das Vergrabene ist nicht sicher vor ihr. Sie hat sich einen Ruhm erworben, da? fernher durch Briefe und Boten ihr Weistum gesucht wird."
"Das Weib gef?llt mir immer weniger", grollte Wulfrin. "Der Richter walte seines Amtes schlecht und recht, er lausche nicht unter die Erde und schn��ffle nicht nach verrauchtem Blute."
Graciosus beg��tigte. "Sie redet davon, ihr Haus zu bestellen, obwohl sie noch in Bl��te und Kraft steht. Vielleicht sorgt sie, wenn sie nicht mehr da w?re, k?nntest du deine Schwester in Ungl��ck st��rzen"--
"In Ungl��ck?"
"Ich meine, sie berauben und verjagen unter dem Vorwande einer unaufgekl?rten und ungeschlichteten Sache. Darum, vermute ich, will sie dich nach Malmort haben und sich mit dir vertragen."
Wulfrin lachte. "Wirklich?" sagte er. "Sie hat einen sch?nen Begriff von mir. Meine Schwester pl��ndern? Das arme Ding! Im Grunde kann es
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