Die Richterin: Novelle | Page 3

Conrad Ferdinand Meyer
sich im blauen Himmel f?cherte und etwa sechzehn Jahresringe z?hlen mochte. "Hier hei?t es ad palmam novellam, und Pf?rtner Petrus schenkt einen herben. He, Petrus!" Dieser, ein Alter mit struppigem Bart, feurigen Augen und zwei riesigen Schl��sseln am Gurte, brachte Kanne und Becher.
"Palma novella ist auch ein Frauenname", bemerkte Graciosus und netzte den Mund.
"Mag sein", versetzte Wulfrin. "In Hispanien, wenn mir recht ist, l?uft derlei Getauftes oder Ungetauftes herum. Ich habe mich nicht damit befa?t. Ich mache mir nichts aus den Weibern."
"Deine r?tische Schwester hei?t auch nicht anders", sagte Gnadenreich unschuldig.
"Meine--r?tische--Schwester?"
"Nun ja, Wulfrin, das Kind der Judicatrix, meiner Nachbarin auf Malmort am Hinterrhein. Du hast sie nie von Angesicht gesehen, die Frau Stemma, das zweite Weib deines Vaters?"
"Das dritte", murrte Wulfrin. "Ich bin von der zweiten."
"Das wei?t du besser. Auch das j?he Ende deines Vaters wei?t du, bei seinem Aufritt in Malmort. Palma ist nachgeboren."
"Es sei", versetzte Wulfrin verdrossen. "Warum auch sollte es nicht sein? R��hrt mich aber nicht. Was mich k��mmern konnte, hat mir der Knecht des Vaters, der Steinmetz Arbogast, umst?ndlich berichtet. Ich habe es mit ihm beredet und er?rtert mehr als einmal und noch zuletzt am Wachfeuer vor Pertusa, wenige Augenblicke bevor den treuen Kerl der maurische Pfeil meuchelte. Das ist nun fertig und abgetan. Wisse: als Siebenj?hriger bin ich daheim ausgerissen--der Vater hatte mir das sieche M��tterlein ins Kloster gesto?en--und ��ber Stock und Stein zu K?nig Karl gerannt. Dorthin hat mir der Arbogast mein Erbe gebracht, das Wulfenhorn, dieses hier. Der Wulfenbecher, der dazu geh?rt, obschon er heidnisch ist--das Horn ist biblischen Ursprungs--, blieb auf Malmort und mag dort bleiben, bis ich freie, und das hat Weile. Sie werden ihn aufgehoben haben. Du hast ihn wohl gesehen, wenn du dort ein und aus gehst."
Graciosus nickte.
"Verstehe: beide, Horn und Kelch, sind zwei Altert��mer, mit Tugenden und Kr?ften begabt. Den Becher gab einem W?lfling ein Elb oder eine Elbin von denen im Hinterrhein. Solang eines Wolfes Weib ihn ihrem Wolfe kredenzt und den dareingegrabenen Spruch ohne Ansto? hersagt, einmal vorw?rts und einmal r��ckw?rts, gef?llt und mundet sie dem Wolfe. ��ber das Hifthorn sind die Meinungen geteilt. Nach den einen ist es gleichfalls ein elbisches Geschenk, und vor dem Burgtor bei der R��ckkehr geblasen, zwingt es die W?lfin zu bekennen, was immer sie in Abwesenheit des Gatten ges��ndigt hat. Andere dagegen behaupten, da? ein Wolf im Gelobten Lande das Horn mit seinem Schwert aus dem erstarrten Pech und Schwefel des Toten Meeres grub. So ist es ein im Get��mmel zur Erde gest��rztes Harschhorn, von denen, welche die himmlischen Haufen bliesen zum Gericht ��ber Sodom und Gomorra." Wulfrin blickte dem R?ter ins Gesicht, der ihm--Schlauheit oder Einfalt--zwei gl?ubige Augen entgegenhielt.
Eben wurde vom Winde ein Bruchst��ck der Seelenmesse aus Ara C?li hergetragen. Zornig und drohend sangen sie dort: "Dies irae, dies illa, dies magna et amara valde!"
"Sch?ne B?sse", lobte Wulfrin. "Um wieder auf den Becher zu kommen, so glaube ich nicht an seine Kraft. Sicherlich hat die Mutter nicht unterlassen, seinen Spruch herzubeten, vorw?rts und r��ckw?rts. Es hat nichts gefruchtet. Sie welkte, und der Vater verstie? sie." Er tat einen Seufzer.
"Und das Horn?" fragte Schelm Graciosus.
Der H?fling wog es in den H?nden und l?chelte. Graciosus l?chelte gleichfalls.
"��brigens ist es das beste Hifthorn im Heere. Das ruft! H?re nur!" und er setzte es an den Mund.
"Um aller Heiligen willen, Wulfrin, la? ab!" schrie Graciosus ?ngstlich. "Willst du die Stadt Rom in Aufruhr bringen?"
"Du hast recht, ich dachte nicht daran." Wulfrin lie? das Horn in die tragende Kette zur��ckfallen.
"Dieses Hifthorn", sagte jetzt Graciosus bed?chtig, "wurde mir beschrieben. Auch hat es der Knecht Arbogast in Stein gemei?elt auf dem Grabmal im Hofe von Malmort, wo er den Comes, deinen Vater, abbildete und die Wittib daneben."
"So?" grollte Wulfrin. "Konnte der Vater nicht allein liegen?"
Graciosus lie? sich nicht einsch��chtern. "An den Herrn des Hifthorns habe ich einen Auftrag", sagte er.
"Du bist voller Auftr?ge. Von wem hast du diesen?"
"Von der Richterin."
"Welche Richterin?" Entweder war Wulfrin von harten Begriffen oder seine Laune verschlechterte sich zusehends.
"Nun, die Judicatrix Stemma, deine Stiefmutter."
"Was hab ich mit der Alten zu schaffen! Warum l?chelst du, M?nnchen?"
"Weil du so mit ihr umgehst, die noch sch?n und jung ist."
"Ein altes Weib, sage ich dir."
"Ich bitte dich, Wulfrin! Dein Vater freite sie als eine Sechzehnj?hrige. Dein Geschwister ist nicht ?lter. Z?hle zusammen! Doch jung oder alt, sie gab mir den Auftrag, und ich darf ihn nicht unausgerichtet heimbringen."
Der H?fling verschluckte einen Fluch. "Du verdirbst mir den Kr?tzer, er schmeckt wie Galle." Erbost stie? er den Becher von der Bank und setzte den Fu? darauf. "So sprich!"
"Frau Stemma", begann Gnadenreich in bildlicher Rede, "will sich vor dir die H?nde in ihrer Unschuld waschen."
"Ein Becken her!" spottete Wulfrin, als riefe er in die Gasse hinaus nach einem Bader.
"Wulfrin, st��nde sie vor dir, du straftest deine Lippen! Keine in R?tien hat edlere Sitte. Was sie verlangt, ist geb��hrlich. Auf
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