Die Regentrude | Page 7

Theodor W. Storm
und schlaff an den Zweigen, aber der kühne Bau ihrer Äste strebte
noch in den Himmel, und die mächtigen Wurzeln griffen noch weit
über die Erde hinaus. Eine Fülle von Blumen, wie die beiden sie nie
zuvor gesehen, bedeckte hie und da den Boden; aber alle diese Blumen
waren welk und düftelos und schienen mitten in der höchsten Blüte von
der tödlichen Glut getroffen zu sein.
"Wir sind am rechten Orte, denk ich!" sagte Andrees.
Maren nickte. "Du mußt nun hier zurückbleiben, bis ich
wiederkomme."
"Freilich", erwiderte er, indem er sich in dem Schatten einer großen
Eiche ausstreckte. "Das übrige ist nun deine Sach! Halt nur das
Sprüchlein fest und verred dich nicht dabei!"-So ging sie denn allein
über den weiten Rasen und unter den himmelhohen Bäumen dahin, und

bald sag der Zurückbleibende nichts mehr von ihr. Sie aber schritt
weiter und weiter durch die Einsamkeit. Bald hörten die Baumgruppen
auf, und der Boden senkte sich. Sie erkannte wohl, daß sie in dem
ausgetrockneten Bette eines Gewässers ging; weißer Sand und Kiesel
bedeckten den Boden, dazwischen lagen tote Fische und blinkten mit
ihren Silberschuppen in der Sonne. In der Mitte des Beckens sah sie
einen grauen fremdartigen Vogel stehen; er schien ihr einem Reiher
ähnlich zu sein, doch war er von solcher Größe, daß sein Kopf, wenn er
ihn aufrichtete, über den eines Menschen hinwegragen mußte; jetzt
hatte er den langen Hals zwischen den Flügel zurückgelegt und schien
zu schlafen. Maren fürchtete sich. Außer dem regungslosen
unheimlichen Vogel war kein lebendes Wesen sichtbar, nicht einmal
das Schwirren einer Fliege unterbrach hier die Stille; wie ein Entsetzen
lag das Schweigen über diesem Orte. Einen Augenblick trieb sie die
Angst, nach ihrem Geliebten zu rufen, aber sie wagte es wiederum
nicht; denn den Laut ihrer eignen Stimme in dieser Öde zu hören,
dünkte sie noch schauerlicher als alles andre.
So richtete sie denn ihre Augen fest in die Ferne, so sich wieder dichte
Baumgruppen über den Boden zu erheben schienen, und schritt weiter,
ohne rechts oder links zu sehen. Der große Vogel rührte sich nicht, als
sie mit leisem Tritt an ihm vorüberging, nur für einen Augenblick
blitzte es schwarz unter der weißen Augenhaut hervor.--Sie atmete
auf.--Nachdem sie noch eine weite Strecke hingeschritten, verengte
sich das Seebett zu der Rinne eines mäßigen Baches, der unter einer
breiten Lindengruppe durchführte. Das Geäst dieser mächtigen Bäume
war so dicht, daß ungeachtet des mangelhaften Laubes kein
Sonnenstrahl hindurchdrang. Maren ging in dieser Rinne weiter; die
plötzliche Kühle um sie her, das hohe dunkle Gewölk der Wipfel über
ihr; es schien ihr fast, als gehe sie durch eine Kirche. Plötzlich aber
wurden ihre Augen von einem blenden Licht getroffen; die Bäume
hörten auf, und vor ihr erhob sich ein graues Gestein, auf das die
grellste Sonne niederbrannte.
Maren selbst stand in einem leeren sandigen Becken, in welches sonst
ein Wasserfall über die Felsen hinabgestürzt sein mochte, der dann
unterhalb durch die Rinne seinen Abfluß in den jetzt verdunsteten See

gehabt hatte. Sie suchte mit den Augen, wo wohl der Weg zwischen
den Klippen hinaufführte. Plötzlich aber schrak sie zusammen. Denn
das dort auf der halben Höhe des Absturzes konnte nicht zum Gestein
gehören; wenn es auch ebenso grau war und starr wie dieses in der
regungslosen Luft lag, so erkannte sie doch bald, daß es ein Gewand sei,
welches in Falten eine ruhende Gestalt bedeckte.--Mit verhaltenem
Atem stieg sie näher. Da sah sie es deutlich; es war eine schöne
mächtige Frauengestalt. Der Kopf lag tief aufs Gestein zurückgesunken;
die blonden Haare, die bis zur Hüfte hinabflossen, waren voll Staub
und dürren Laubes. Maren betrachtete sie aufmerksam. Sie muß sehr
schön gewesen sein, dachte sie, ehe diese Wangen so schlaff und diese
Augen so eingesunken waren. Ach, und wie bleich ihre Lippen sind!
Ob es denn wohl die Regentrude sein mag?--Aber die da schläft nicht;
das ist eine Tote! Oh, es ist entsetzlich einsam hier!
Das kräftige Mädchen hatte sich indessen bald gefaßt. Sie trat ganz
dicht herzu, und niederkniend und zu ihr hinabgebeugt, legte sie ihre
frischen Lippen an das marmorblasse Ohr der Ruhenden. Dann, all
ihren Mut zusammennehmend, sprach sie laut und deutlich:
"Dunst ist die Welle, Staub ist die Quelle! Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzt über die Felder!"
Da rang sich ein tiefer klagender Laut aus dem bleichen Munde hervor;
doch das Mädchen sprach immer stärker und eindringlicher:
"Nimm dich in acht! Eh du erwacht, Holt dich die Mutter Heim in der
Nacht!"
Da rauschte es sanft durch die Wipfel der Bäume, und in der Ferne
donnerte es leise wie von einem Gewitter. Zugleich aber und, wie es
schien, von jenseits des Gesteins kommend, durchschnitt ein greller
Ton die Luft, wie der Wutschrei eines bösen Tieres. Als Maren
emporsah, stand die Gestalt der Trude hoch aufgerichtet vor ihr. "Was
willst du?" fragte sie.
"Ach, Frau
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