Die Prinzessin Girnara | Page 5

Jakob Wasserman
Kröte.
GIRNARA: Wie erkenn' ich die Schuld? Wer hat mich so verdammt?
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Tiefer hinein in die Qual! Tiefer
ins Mark des schwärenden Lebens!
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Dein Bildnis halt' ich dir vor,
Abscheu den Blinden noch.
GIRNARA: Gäb' es ein Feuer, auszubrennen die Brust vom Wissen der
Welt!
STIMME DES PILGERS: Leidbegnadete, die Stunde bricht an, wo das
Herz sich dehnt bis zur Grenze des Leibes und überschwillt und die
Mauer des Kerkers sprengt.
DER DÄMON ALS HUND: Übelgeborne, dir ist verwehrt, zu sinnen
Verwandlung.
GIRNARA: Ist mir verwehrt, zu sinnen Verwandlung, so will ich mein
Leiden lieben und den Siegreich-Vollendeten suchen.
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Irdisch-Gefesselte, laß dein
Bemühen, denn jener wohnt in unauffindbaren Höhen.
GIRNARA: Sink' ich zum Grunde nieder, fühl' und umschling' ich das
göttliche Wesen.
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Mißgestaltete, hoffe nicht, die

Seele ist eingegittert im Fluch.
GIRNARA: So will ich trotz Kerker und Fessel wandern Meile um
Meile, steigen Stufe um Stufe, erfahren Schmerz um Schmerz, alles
Elend der Erde, alle Verzweiflung der Herzen, allen Sturm der
Verdammten, schmecken die Tränen, lauschen den Seufzern der
schuldlos Gerichteten, schuldlos Gemordeten, hingeben alles, was mein
ist, alles, was mein noch werden könnte, letztes Gericht, letzten Lohn,
letztes Wort der Gnade, bis innere Meeresstille mir den Erhabenen
bringt.
GEISTERSTIMME: Erst am Ende des Wollens gebiert sich die
schützende Flamme.
DER DÄMON ALS HUND: Was zwängt sich durch die Gewölbe?
Hört ihr den silbernen Ruf?
GIRNARA: So end' ich zu wollen und frage nur, zu welchem Opfer ich
noch gefordert, zu welcher Sühne ich noch bestimmt, zu welcher
Einsamkeit ich noch verurteilt bin.
GEISTERSTIMME: Erst am Ende des Fragens beginnt das heilige
Wissen.
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Was zwängt sich durch die
Gewölbe? Seht ihr den Scharlachschein?
GIRNARA: So end' ich zu warten und harre auf süßeres Dasein,
leibesledig und stumm.
GEISTERSTIMME: Erst am Ende des Harrens erfüllt sich die höhere
Sendung.
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Was zwängt sich durch die
Gewölbe? Spürt ihr den weltlosen Hauch?
GIRNARA: So ruh' ich in gläubiger Ruhe, nicht wollend, nicht fragend,
nicht harrend.
GEISTERSTIMME: Ruhe in gläubiger Ruhe, mit all deinen Sinnen
bereit.
DER DÄMON ALS HUND: Mit Scharlach färbt sich die Kuppel, es
färbt sich der Estrich, ihr Brüder, entflieht!
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Es zittern die Quadern,
gebietende Flamme steigt auf, ihr Brüder, entflieht!
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Ich seh' ihn nahen, den Leiter der
Männerherde, den Meister der Götter und Menschen, ihr Brüder,
entflieht!

DER DÄMON ALS HUND: Es naht der Erwachte, naht der Erhab'ne,
naht der Vollkommene!
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Es naht der Kenner der Welt,
der Wissens- und Wandelsbewährte!
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Es naht der Herrliche, der
Siegreich-Vollendete kommt!
ALLE DREI: Ihr Brüder, entflieht!
GEISTERSTIMME: Die Unreinen meiden seine Bahn, die Schatten
vergehen vor ihm.
STIMME DES PILGERS: Fahr' ein zur inneren Meeresstille,
Neubeseelte, Wiedergeborne!
GIRNARA: O lasurfarbenes Haupt! Du bist in der Welt gegenwärtig,
erscheinst sichtbar vor mir.
DER SIEGREICH-VOLLENDETE: O Königstochter Girnara, ich weiß,
daß deine Gedanken rein sind und von inniger Hochachtung beseelt.
GIRNARA: O Antlitz unverhüllt! O ruhevolles Auge! DER
SIEGREICH-VOLLENDETE: Dein Haupthaar ist sanft geworden in
dieser Stunde, und gefärbt wie Lasur.
GIRNARA: O golden strahlender Leib! Flammengegürtete Hüfte!
Entzücken ist größer als Schmerz je war.
DER SIEGREICH-VOLLENDETE: Deine Arme beben in neuer
Wohlgestalt, deine Augen sind wie Sterne beim Aufgang.
GIRNARA: In deiner ganzen Herrlichkeit zeig' dich mir, Erhabener,
nur für eines Dankes Dauer, weil du da bist, weil die Welt dich besitzt.
DER SIEGREICH-VOLLENDETE: Freudig bewegt, sei heiter;
heiteren Herzens, sei schön am Leibe; schön am Leibe fühle Seligkeit,
der Beseligten Gemüt wird einig.
GIRNARA: Ich bin's und weiß es: des Beseligten Gemüt wird einig.
GEISTERSTIMME: Das Schwanken hat er verworfen, der
Ungewißheit ist er entronnen, er zweifelt nicht am Guten, vom
Schwanken befreit er sein Herz.
GIRNARA: Entschwindest du mir schon, Erhabener?
GEISTERSTIMME: Des Beseligten Gemüt wird einig.
GIRNARA: Entschwinde mir noch nicht, Seliger, der zu beseligen
vermag.
DER SIEGREICH-VOLLENDETE: Nimm an das Kleine, ans Geringe
wende dich gern; und wenn du die Wege der Lastträger gehst, so beuge

dich nieder und küsse ihre Spuren; und liebe; ohne Maß sollst du lieben;
den, der neben dir keucht und den, der neben dir jauchzt, und den, der
unterm nassen Mantel geht, und den, der auf goldener Stufe steht; und
schaue; schau die vielen Dinge der Welt; liebe dein Auge, wenn es
schaut, schau die Sterne, schau die Rinder; schau die Weisen, schau die
Blumen; gib dich hin und du wirst sein; sei verloren und du bist schön:
des Beseligten Gemüt wird einig.
GIRNARA: Entschwunden ist er mir. Die Irdischen kommen, die
Irdischen öffnen das Tor.
STIMME DES PILGERS: Anders ist das Leben, anders der Leib. Heil
dir, Siegreich-Vollendeter!
DIE ALTE DIENERIN: Fremde Ritter haben das Tor geöffnet.
GIRNARA: Dort ist
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