Die Prinzessin Girnara | Page 4

Jakob Wasserman
Weh uns! Weh uns!
FERNE STIMMEN: Heil uns! Heil uns!
SIHO: Licht schwillt vom obern Gewölbe her!
FERNE STIMMEN: Die Erde bebt im Hauch des Erhabenen,
Übergewaltigen! Heil dir, Siegreich-Vollendeter!
* * * * *

LEGENDE
Das obere Gewölbe. Kolossales Gemäuer. Eine einzige Fackel.
DIE JUNGE DIENERIN: Vergebens ruf' ich nach denen, die mir
gehören.
DIE ALTE DIENERIN: Drei Tage lang sah ich die Sonne in siebzehn
Jahren.
DIE JUNGE DIENERIN: Das Blut will hinaus, hat Meer und Sterne
noch nicht vergessen.
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Tief schläft die Herrin.
DIE JUNGE DIENERIN: Ist nie ein Schlaf; Unheimliches ist es, das
droht und schweigt.
DIE ALTE DIENERIN: Auf dem Weg hieher vom Gestade des
Geiersees, da schien die Sonne.
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Die Herrin spricht im Schlaf.
DIE JUNGE DIENERIN: Ist nie ein Traum; Unheimliches ist es, das
droht und flüstert.

DIE ALTE DIENERIN: Die Arbeit tut! An den Rocken und spinnt! An
den Herd und schürt Feuer!
DIE JUNGE DIENERIN: Gestorben sind die vielleicht, die meines
Namens und Bluts.
DIE ALTE DIENERIN: Bist eingeschworen, darfst an Vater und
Mutter nicht denken.
GIRNARA: Einsam wie vor der Geburt, einsamer noch, seit du kamst.
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Hört ihr es, die Herrin klagt aus dem
Schlummer.
DIE JUNGE DIENERIN: Die Fürchterliche, daß sie nicht ruft und sich
zeigt!
DIE ALTE DIENERIN: Die Arbeit tut! An den Rocken und spinnt, an
die Töpfe und kocht!
DIE JUNGE DIENERIN: Sag' mir eines, du Wissende: Kam sie aus
Mutterleib so mit dem fleischlosen Totenhaupt?
DIE ALTE DIENERIN: Kam aus Mutterleib so. Mit dem fleischlosen
Totenhaupt und der gesprenkelten Haut.
DIE JUNGE DIENERIN: Schauerlich, sie zu sehen! Mensch nicht und
Weib nicht und doch mit Stimme und Blick.
DIE ALTE DIENERIN: Zehntausend Waisen ließ der König
erschlagen im sakkischen Eichwald. Daher der Fluch.
DIE JUNGE DIENERIN: Und half nicht Ahnenmesse und Feueropfer?
DIE ALTE DIENERIN: Zehntausend Waisen lagen zerschmettert, als
die Königin Sirdar in Wehen schrie.
DIE JUNGE DIENERIN: Daher der Fluch, du Wissende, daher das
Grauen.
DIE ALTE DIENERIN: Ist unabänderlich, nützt kein Murren und
Beten.
GIRNARA: Wann endlich werden Worte schallen, die heilen, wann
endlich wird der Abgrund leuchten?
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Hört ihr, die Herrin spricht, seht ihr, sie
regt sich.
DIE ALTE DIENERIN: Fort an den Rocken, fort an die Töpfe, fort an
den Herd!
STIMME DES PILGERS: Gib Kunde von dir, Lebendige in der
Finsternis!
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Die Herrin erhebt sich und lauscht. Was

begehrst du, Herrin Girnara?
GIRNARA: Woher das süße Wehen? Woher die tröstliche Stimme?
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Die Wälder riefen mir zu. Die Tiere der
Wälder schmeichelten mir im Traum.
DIE ALTE DIENERIN: Drei Tage lang sah ich die Sonne in siebzehn
Jahren.
GIRNARA: Ein süßes Wehen war, eine tröstliche Stimme.
DER DÄMON ALS HUND: Aus zehntausend Kinderleichen im
sakkischen Eichwald hab' ich die Augen geschlürft.
DIE JUNGE DIENERIN: Wissende du, was ist dies? Laß mich hinaus!
Was ist dies? Mir stirbt die Seele!
GIRNARA: In die Leidensnacht hat mich der Vater verstoßen, als er
die Schuld auf sich lud.
DIE ALTE DIENERIN: Kann dir nicht auftun das Tor, kein Schlüssel
ward mir vertraut.
DIE SCHWARZE SKLAVIN: O das entfleischte Gesicht! Die
gesprenkelte Haut unserer Herrin!
DER DÄMON ALS HUND: Seelen der Väter und Mütter suchen im
sakkischen Eichwald noch immer nach Kinderleichen.
GIRNARA: Litt ich nicht ohne dich, Stimme der Angst? Schalle doch,
tröstliche, wieder!
STIMME DES PILGERS: Gib Kunde von dir, Lebendige in der
Finsternis!
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Tiefer hinein den Stachel, tiefer
in Dickicht und Nacht!
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Lange nicht brennend genug,
herunter, herunter zum Schmerz!
DIE JUNGE DIENERIN: Wissende du, was ist dies? Ach, mich
jammert mein selbst!
DIE ALTE DIENERIN: Herrin, hast du Befehle? Die beiden vergehen
vor Furcht.
GIRNARA: Wälzt ihr noch Blöcke auf mich, ihr Abgesandten der
Schwärze?
DIE ALTE DIENERIN: Die Armen, sie bohren die Finger in Fugen der
Steine. Sieh, sie vergehen vor Furcht!
DER DÄMON ALS HUND: Schuldige zechen im Saal, Unschuldige
wurden gemordet.

DIE ALTE DIENERIN: An den Mauern grinsen Gespenster, die Luft
hat giftige Zungen. Fort! DIE JUNGE DIENERIN: Es zischeln die
Schatten, brenzlicher Qualm kocht aus den Mauern. Fort!
DIE SCHWARZE SKLAVIN: Die Herrin hat kein Ohr für uns, Jfrids
reden mit ihr. Fort!
STIMME DES PILGERS: Nimm an die Lehre, Wahnbeladene in
deiner Brunnentiefe!
GIRNARA: Leidbeladene bin ich, mein Leid ist mir Sonne und Mond.
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Dein Haar ist wie Pferdehaar,
gesprenkelt ist deine Haut wie das Fell des Tigers.
GIRNARA: Der mich wählte, hat mich verlassen, der mich gezeugt hat,
kennt mich nicht.
DER DÄMON ALS FLEDERMAUS: Tiefer hinein in den Schmerz,
tiefer in hauslose Nacht!
GIRNARA: Der mich wählte, ist ohne mich zum Fest gegangen.
Wessen bin ich schuldig?
DER DÄMON MIT DEM SPIEGEL: Deine Arme sind Spinnenarme,
deine Augen sind wie die Augen der
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