Die Organisation der Rohstoffversorgung | Page 8

Walther Rathenau
sich das System der
Wiedergewinnung und Auswechselung. Nur wenige Industriezweige
können sagen, daß sie heute noch durchweg mit dem Urmaterial
arbeiten, dessen sie vor dem Kriege gewohnt waren, und viele haben
auch aus dieser Form der Umstellung Nutzen gezogen.
In kurzen Zügen möchte ich Ihnen jetzt ein Bild der
Kriegs-Rohstoff-Abteilung geben, wie sie ungefähr zu Beginn dieses
Jahres ausgesehen hat. Eine Zentralsektion sorgte für die Gesamtpolitik
und Initiative der Abteilung. Sie führte die Verhandlungen mit den
Behörden, bearbeitete jede neue organisatorische Maßnahme und
Verfügung, bereitete die Vorträge beim Minister vor, verhandelte mit
industriellen Gruppen, Abgeordneten und Interessenten, prüfte
wirtschaftliche und juristische Fragen, ergänzte den Personalbestand,
faßte den Briefwechsel der Abteilung zusammen, verfaßte die
Vierteljahrsberichte und trug die Verantwortung für den Organismus.
Daneben erstreckte sich das Gebiet der verschiedenen Referate. Die
Referate bewältigten teils zusammenfassend, teils gesondert die
Gebiete der Einzelstoffe, und hinter ihnen standen ausführend und
mitwirkend die Meldestellen und Rohstoffgesellschaften mit ihren
Hilfsorganisationen und Tochterinstituten.
Es gab Referate für Metalle, Chemikalien, Baumwolle, Wolle, Jute,
Kautschuk, Leder, Häute, Hölzer, für organische Produkte. Dieses
Referatengebiet machte den eigentlichen Wirtschaftskörper unserer
Abteilung aus.
Daneben bestand die Beschlagnahmestelle, diejenige Stelle, die den
Strom der beschlagnahmten Stoffe regelte, die Gesetzgebung der
Beschlagnahmen und Belegscheine ausarbeitete, den Verkehr mit den
Besitzern der Ware führte und mit einem System von Revisoren die
Befolgung der Maßnahmen überwachte. Ursprünglich führte diese
Stelle auch die Statistik, die später abgespalten und auf eine Reihe von
Meldestellen übertragen wurde. Die Beschlagnahmestelle arbeitete mit
einem erheblichen Beamtenapparat; ihre Formulare und Drucksachen

gingen auf dem Wege über die Generalkommandos jeden Tag über
ganz Deutschland hinaus.
Das Warengeschäft erforderte eine gesonderte Speditions-,
Buchführungs-, und Überwachungsabteilung. Milliardenwerte waren
aus den okkupierten Gebieten abzutransportieren. Zehntausende von
Doppelladern rollten über unsere Schienen und füllten über 200
deutsche Lager. Die Lager mußten eingerichtet und überwacht werden,
die Waren mußten verfrachtet, den Lagern zugeführt, entladen,
kontrolliert, an die Rohstoffgesellschaften verteilt und verrechnet
werden.
Ein Speditionsamt sorgte für die Transporte und bediente sich einer
eigenen Treuhandgesellschaft zur Überwachung der Frachtsätze, eine
Abrechnungsstelle -- vielleicht eine der größten, die das deutsche
Warengeschäft aufwies -- führte Buch über jede Warensendung, die
Lille oder Roubaix oder Antwerpen verließ, über ihr Eintreffen auf den
Umladeplätzen Haspe, Frankfurt, Mannheim, über den Eingang in die
Lager, und über den Ausgang nach den weitverzweigten
Verbrauchsstellen.
Am 1. April 1915 konnte ich dem Preußischen Kriegsministerium die
Abteilung als ein gehendes, eingearbeitetes, fertiges Werk übergeben.
Ich habe die Freude, daß der größte Teil meiner Mitarbeiter bei der
Behörde geblieben ist. Unter der Leitung meines sehr verehrten
Nachfolgers, des Herrn Major Koeth, hat die Abteilung gewaltig an
Umfang gewonnen; sie hat zahlreiche neue Organisationen geschaffen,
sie hat sich behördlich vervollkommnet. An Personal, Flächenraum und
Arbeitsgebiet steht sie außer dem Kriegsministerium und
Eisenbahnministerium wohl keiner preußischen Behörde nach, obwohl
sie darin sich von allen anderen unterscheidet, daß sie in acht Monaten
entstanden ist. Das fünfte Hundert der Beamten im Hause dürfte dieser
Tage überschritten sein, und die Angestellten der
Rohstoffgesellschaften und ihrer Zweiganstalten sind auf mehrere
Tausend zu schätzen.
Als Exzellenz von Falkenhayn im Frühjahr nach Berlin kam und nach
dem Stande unserer Versorgung fragte, konnte ich ihm sagen: Wir sind

in allem Wesentlichen gedeckt, der Krieg ist von der
Rohstoffbeschaffung unabhängig.
Dem Reichstage hat der Kanzler dies bestätigt. Daß es ein Produkt gibt,
mit dem wir von der Hand in den Mund leben, wissen Sie alle. Die
Deckung der übrigen ist zum Teil eine absolute: es wird so viel
geschaffen, wie verbraucht wird; bei allen anderen reicht sie aus für
eine Kriegsdauer, deren Länge im Belieben unserer Gegner steht. Auf
einzelnen Gebieten haben wir überdies die Versorgung unserer
Bundesgenossen übernehmen können.
Die englische Blockade der Rohstoffe ist wirkungslos geworden. Noch
mehr als das; ihre Wirkung hat sich gegen England selbst gewendet.
Die schwerste Sorge hat England heute durch seine schrankenlose freie
Wirtschaft. England kann kaufen und kauft, und fürchtet jeden Kauf,
den einer seiner Untertanen im Auslande tätigt. Denn jeder Kauf -- ob
es Tee ist oder Salpeter -- verschlechtert die Zahlungsbilanz; jeder Kauf
erfordert Zahlungsmittel, und da die Zahlung nicht voll in Ware
geleistet werden kann, weil die Exportindustrie zum Teil auf
Munitionsarbeit umgestellt ist, so treibt jeder Kauf englische
Anlagewerte ins Ausland. Unsere erzwungene Binnenwirtschaft, mit
der wir uns abgefunden haben, hat manche Sorge gekostet und
manchen Nachteil gehabt, aber die Kraft hat sie uns gegeben, daß wir
nun auch den vollen Kreislauf der Mittel für uns in Anspruch nehmen
können. Unsere Güter erzeugt das Inland und das Inland verzehrt sie;
aus unseren Grenzen kommt nur das hinaus, was unsere Kanonen
hinausschleudern; das genügt, um unser Dasein merkbar zu machen.
Den Gegenwert seines Verzehrs zahlt der Staat bar; das bare Geld kehrt
zu ihm zurück als Darlehn und tritt von neuem in den Kreislauf ein.
Unsere Wirtschaft ist die geschlossene eines geschlossenen
Handelsstaates.
In die Zukunft werden unsere Methoden nach
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