stimmt.
Da dämmerte plötzlich die Besorgnis auf: Wie ist das, wenn nun der
Krieg im Osten die gleichen Dimensionen annimmt wie im Westen?
Wenn der Krieg noch hartnäckiger und umfangreicher wird, als wir ihn
uns vorstellen können? Wie ist es dann mit der Stickstoffdeckung?
Darauf war keine Antwort.
Es war ein beklommener Vormittag, als ich dem Stellvertretenden
Kriegsminister diese Erwägung unterbreitete, und ihn um die Erlaubnis
bat, eine beliebige Zahl von chemischen Fabriken bauen zu lassen, und
nämlich so viele, als die Chemie leisten könne.
Der Kriegsminister, Exzellenz von Wandel, in seiner großzügigen,
ruhigen und entschlossenen Art gab sofort die Autorisation, mit der
chemischen Industrie zu verhandeln.
Technisch im höchsten Maße wertvolle Vorarbeiten waren geleistet
worden. Exzellenz Fischer und Geheimrat Haber hatten in sehr
dankenswerter Weise das Problem der Salpetergewinnung größten
Umfangs bearbeitet, und die chemische Industrie war durchaus nicht
überrascht, als sie vor die Frage gestellt wurde, diese Unternehmungen
zu schaffen.
Der Bau einer größeren Zahl von Fabriken wurde vereinbart, und die
Chemiker, kühn, selbstbewußt und vertrauensvoll, gingen auf die
Bedingung ein, daß die Fabriken unter Dach sein mußten, bevor ich in
der Lage war, ihnen den Vertrag vom Reichsschatzamt genehmigt
zuzuschicken. Die Fabriken waren unter Dach, noch bevor der Vertrag
unterschrieben war; das war ungefähr zu Weihnachten. Die
Stickstoffabrikation war eine deutsche Produktion geworden, ein
Weltproblem war gelöst, die schwerste technische Gefahr des Krieges
war abgewendet.
Aber während diese Fabriken aufstiegen, kamen die Nachrichten von
der Front: wir brauchen nicht mehr 10 Tonnen, sondern 16, nicht mehr
16, sondern 21, nicht mehr 21, sondern 27, und hier will ich, um auch
nicht Proportionen erkennen zu lassen, nicht sagen, bis zu welchem
Vielfachen die Forderungen der Front sich steigerten. So viel aber darf
angedeutet werden: daß die ursprüngliche Deckung sich auf einen
Bruchteil vermindert hatte. Hätten wir erst dann mit dem Bau begonnen,
als diese Verhältnisse greifbar geworden waren, also zwei oder drei
Monate später, so wäre eine bedenkliche Zwischenzeit eingetreten, und
zwar gerade damals, als der galizische Durchbruch einen gewaltigen
Munitionsaufwand forderte.
Waren und blieben auch die chemischen Fabrikationen, insbesondere
die Salpetersäureanlagen, die wichtigsten unserer neugeschaffenen
Gütererzeugungen, so haben doch noch eine Anzahl umfangreicher
Produktionsstätten sich ihnen zur Seite gestellt. Metallraffinationen und
Wiedergewinnungsanlagen wurden errichtet, die bergbauliche
Produktion wurde gehoben, elektrolytische und elektrothermische
Werke wurden erstellt und erweitert, teils durch unmittelbares
Eingreifen der Kriegsrohstoffabteilung, teils durch Vermittelung der
Rohstoffgesellschaften.
Inmitten dieser Tätigkeit wurde uns eine weitere Aufgabe zuteil, die
eigentlich mit der Wehrbarmachung des Landes nur mittelbar zu tun
hatte, die aber aus allgemein wirtschaftlichen Gründen sich nicht
abweisen ließ und die kaum anders als durch uns gelöst werden konnte.
Ich habe erwähnt, daß der Reichstag im November von uns etwa die
Vorstellung hatte, wir seien eine Stelle für Verbilligung der
Marktpreise, und eine Sitzung der großen gemischten Kommission war
für den beteiligten Zuhörer, der sich nicht verteidigen durfte, nicht sehr
angenehm. Mit Recht waren die Herren ungehalten über einzelne stark
gesteigerte Rohstoffpreise, die auch uns zu denken gaben. Man wußte
jedoch nicht, daß uns zunächst die weit dringendere Sorge obgelegen
hatte, die Gefahr des Mangels abzuwenden, bevor wir an die wichtige
und dennoch sekundäre Frage der Kosten herantreten konnten.
Sofortige Abhilfe wurde gefordert.
Wir hatten indessen bereits Mittel und Wege gefunden und waren mit
der Lösung fast zu Ende. Angefangen hatten wir mit der Festsetzung
der Höchstpreise für Metalle. Sie war nicht einfach, denn nicht nur die
Mehrzahl der wichtigeren Metalle war zu bedenken, sondern auch ihre
Legierungen, die Altmetalle und die vorverarbeiteten Produkte. Nach
langen Verhandlungen war eine Tabelle zustande gekommen, die zwar
nicht in allen Positionen der Industrie und vor allem dem Handel gefiel,
gegen die aber schließlich nicht mehr viel einzuwenden war, und die
vom Bundesrat angenommen wurde. Sodann wurden die Höchstpreise
für eine Gruppe bewältigt, die bei den Fachleuten als unüberwindlich
galt, die Wollen und Wollprodukte.
Hier handelte es sich um die Vielfältigkeit der Herkunft, multipliziert
mit der Zahl der Qualitäten; das Produkt dieser Größen abermals
multipliziert mit der Zahl der Verarbeitungsstadien. Das ergab eine
Mannigfaltigkeit, die nach Hunderten von Positionen zählte; aber
zuletzt kam auch hier ein Merkblatt zustande, das für die Besitzer nicht
allzugroße Härten enthielt und den Erfordernissen der Kriegswirtschaft
entsprach.
Näherte sich die Festsetzung von Höchstpreisen schon mehr einem
Ausflug auf allgemeinwirtschaftliches Gebiet, so war die Beschaffung
und Einführung von Ersatzstoffen und Surrogaten ein Teil unserer
eigensten Aufgaben.
Die preußische Uniformierung mußte in ihrer stofflichen
Zusammensetzung geändert werden. Die Gewebe wurden durch
Verwendung von Kammgarn und anderen Erzeugnissen gestreckt;
Helmbeschläge, Knöpfe und andere Zutaten lernten auf die
Verwendung von Sparmetallen verzichten. Im Munitionswesen wurde
manches seltnere Metall durch Zink und Stahl ersetzt; die
Elektrotechnik mußte einen Teil ihrer Leitungen und Fassungen aus
ungewohnten Metallen erstellen und erreichte es, daß manches
Erzeugnis sich verbilligte. In der chemischen Industrie entstanden
große Anlagen, die teils bekannte, teils neuerprobte Ersatzstoffe
lieferten. Selbst auf die Textilindustrie erstreckte
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.