und
können es auch weiter. Dennoch willigten sie ein, vielleicht zum Teil
mir zu Gefallen, vielleicht auch, weil sie sich sagten, es ist nicht viel
dabei verloren.
Schon anders war es mit den Chemikern. Das sind ganz große Herren
aus dem Rheinland, selbstbewußt, Träger großer Verantwortungen,
Chefs ungezählter Arbeiterbataillone; denen war das neue Wesen
anfangs nicht ganz geheuer. Ein einflußreicher Herr fuhr im Rheinland
herum und warnte vor den neuen Experimenten. Aber schließlich kam
es doch im Hofmannhaus zu einer konstituierenden Versammlung; die
verlief anfangs friedlich, gegen Ende aber wurde sie leidenschaftlich
bewegt. Als die Herren sahen, den Salpeter kann man ihnen nicht
unbeschränkt lassen, da wurden sie unzufrieden, und es gab eine Szene,
die von ferne an das Ballhaus in Paris im Jahre 1789 erinnerte.
Trotzdem kam die Gründung zustande, und heute müssen wir ebenso
tief und freudig den Chemikern danken für ihr Zusammenwirken wie
für ihre Leistungen. Denn diese vorbildliche deutsche Industrie hat
zwar mit den ersten Maßnahmen vielleicht sich etwas schwerer
abgefunden, dafür hat sie an Initiative und Erfindungskraft, an
Kühnheit und Nachhaltigkeit vielleicht die höchste Stelle unserer
wirtschaftlichen Kriegsführung erreicht.
Fast jede Woche brachte neue Gründungen. Mit Metall fing es an, dann
kamen Chemikalien, dann kam Jute, Wolle, Kammwolle, Kautschuk,
Baumwolle, Leder, Häute, Flachs, Leinen, Roßhaar; teils
Aktiengesellschaften, teils Abrechnungsstellen. Alle diese
Schöpfungen verlangten wochenlange Vorverhandlungen, Einigung
unter den Industriellen, Verständigungen über die Bedingungen,
Beschaffung von neuen Kräften, Direktoren, Prokuristen und
Geschäftsräumen, und alles das innerhalb einer Wirtschaft, in der
verantwortliche Kräfte immer spärlicher zur Verfügung standen.
Heute zählt das Beamtenpersonal der Gesellschaften,
Untergesellschaften und Zweigorganisationen nach Tausenden, ihr
Umsatz nach Hunderten von Millionen.
So saßen wir in tiefster Arbeit. Auf der einen Seite schwoll der Berg
der beschlagnahmten Waren und machte dauernde Verhandlungen mit
den Wirtschaftsleitern erforderlich; auf der anderen Seite entstanden
unsere Organisationen und verlangten Einarbeitung, Aufsicht,
Mitwirkung; zwischen beiden Aufgaben kämpften wir um den Ausbau
unserer Abteilung, um Raum, Menschen, Ordnung und Geschäftsgang
-- und schon trat eine neue Aufgabe gewaltigen Umfangs, heiß ersehnt
und hochwillkommen an uns heran.
Unsere siegreichen Heere waren vorgedrungen, Belgien und ein Teil
von Frankreich war unterworfen, und auch in Rußland wurde es heller.
Nun handelte es sich darum, den Rohstoffbesitz dieser drei Landgebiete
auszuschütten über das vierte. Durch Kauf in neutralen Staaten hatten
wir manches ins Land bekommen; doch bald sorgten die Engländer
durch ihre Gegenorganisationen, durch ihren Terrorismus zu Lande und
zur See dafür, daß die Zufuhr nachließ. Nun hatte die Gewalt der
deutschen Waffen drei reiche Provinzen unserer Wirtschaft erschlossen;
ein geographischer Glücksfall fügte es, daß fast zu gleicher Zeit die
gesamten Zentren des kontinentalen Wollhandels in unsere Hand fielen;
beträchtliche Vorräte an Kautschuk und Salpeter traten hinzu. Nun hieß
es, diese Schätze heben und nutzbar machen und dabei doch Recht und
Gesetz wahren, Übersicht behalten und die Wirtschaft der Länder nicht
mit einem Schlage vernichten.
Das war eine Aufgabe, die materiell umfassend und dennoch nicht so
schwierig war wie die vorausgegangenen, denn sie lehnte sich an
vorhandene Erfahrung an: ein Land mit Organisationen zu
durchdringen, Filialen zu schaffen, und diese mit Zweiganstalten zu
umgeben, Läger durchforschen und aufnehmen zu lassen,
Beschlagnahmen zu erwirken, Vereinbarungen über Umladeplätze,
Verzollungswesen, einzuräumende Eisenbahngleise zu treffen, alles das
waren Dinge, die Zeit und Menschen erforderten, die aber nicht mehr
auf dem schwankenden Grunde unerforschter Wirtschafts- und
Rechtsverhältnisse sich abspielten. Mit gewissen Ausnahmen; denn
auch in Belgien war die Frage der Übereignung eine nicht ganz
einfache. Über die Frage der Entschädigung stritten sich die Geister
noch nach Monaten, nachdem wir die Substanz schon in unseren Besitz
gebracht hatten. Aber immerhin: diese Aufgabe war im wesentlichen
mit gegebenen Erfahrungen zu lösen und sie wurde gelöst.
Jetzt war ein gewaltiges Warengeschäft unserer Abteilung angegliedert,
die schon damals auf den Umfang eines merkantilen Weltunternehmens
angewachsen war; da traten von neuem schwere Gefahren auf. Und um
diese Gefahren zu schildern, will ich gleich in das tiefste
Fabrikationsproblem greifen und will etwas erzählen -- Zahlen werde
ich nicht nennen -- von der Stickstoffaufgabe, die sich uns bot.
Sie wissen, daß die unentbehrlichen Explosivstoffe der Kriegsführung
auf der Grundlage der Salpeterverbindungen ruhen, daß Salpeter eine
Stickstoffverbindung ist, und daß somit die Kriegsführung in gewissem
Sinne ein Stickstoffproblem darstellt.
Unsere Stickstoffrechnung am Anfang des Krieges war nicht ungünstig.
Ich will Zahlen fingieren, die falsch sind, aber Verhältnisse geben.
Nehmen Sie an, es seien 90 Tonnen Stickstoff im Lande gewesen, und
nehmen Sie an, 50 Tonnen hätten wir mit Sicherheit erwartet in
Ostende und Antwerpen, das wären zusammen 140 Tonnen. Bei einem
monatlichen Verbrauch von 10 Tonnen hätte das 14 Monate gelangt.
Ich betone, es sind nur Verhältniszahlen.
Das Deckungsverhältnis sah somit ganz gut aus. Es wurde Anfang
September und der Krieg entwickelte sich. Wir machten uns immer
wieder unsere Rechnungen, verglichen immer wieder mit den
Unterlagen, die uns die verbrauchenden Stellen boten. Immer wieder
ergab sich die Antwort: diese Deckung
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