Verarbeitung
stillgestanden, bis eine neue Verteilung vorgenommen war. Und die
Überwachung und Verrechnung von Milliardenwerten unbekannter
Posten wäre uns zur Last gefallen.
Der Begriff der Beschlagnahme hat sich bewährt, und wird aus
unserem Kriegswirtschaftsleben nicht mehr verschwinden. Aber die
neue Rechtsform hat uns durch schwere Gefahren geführt. Denn in dem
Augenblick, wo eine Ware beschlagnahmt war, hörte die
Friedenswirtschaft auf. Wenn bei einem Metallindustriellen die Metalle
beschlagnahmt waren, durfte er nicht mehr Friedensarbeit leisten, er
war auf Kriegsaufträge angewiesen; er mußte seine Anlagen und
Maschinen, seine Arbeitsmethoden und Produkte auf Kriegsarbeit
umstellen, er mußte ein neues wirtschaftliches Leben anfangen. Es war
eine furchtbare Belastungsprobe für die Industrien, vor allem der
metallurgischen, der chemischen und der Textilproduktion.
In jenen schweren Wochen Ende letzten Jahres, als die Verfügungen
erlassen waren, kamen meine Kollegen von der AEG zu mir und sagten:
»Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Das kann für uns 60 000
brotlose Arbeiter bedeuten.«
Es ist gegangen. Zwei Monate lang haben wir der Industrie noch
gewisse Freigaben zugestanden, wenn auch schweren Herzens; denn
wer konnte wissen, ob nicht die Tonne Salpeter, die hier freigegeben
wurde, bei einer belagerten Festung oder bei einer Schlacht einen
Ausschlag geben würde. Irgendwo muß man Verantwortungen
übernehmen, und wir haben es getan.
Nach zwei Monaten war die Umstellung unserer Industrie vollzogen.
Die deutsche Industrie hat diese Neugestaltung bewirkt, ohne davon zu
reden, ohne einen Zusammenbruch, schweigend, großzügig,
selbstbewußt, mit höchster Tatkraft und Schaffenslust. Das, meine
Herren, ist ein Ruhmesblatt der deutschen Industrie, das niemals
vergessen werden darf! Weder Frankreich, noch England, noch die
Vereinigten Staaten, noch irgendeine der feindlichen und
halbfeindlichen Nationen macht das nach.
Das war der Begriff der Beschlagnahme; ihre Wirkung war die
wirtschaftliche Umstellung. Und nun komme ich zum zweiten
Werkzeug.
Wir wußten, daß diese Wirtschaft neu geboren werden mußte, wir
wußten, daß sie nun in irgendwelcher neuen Form ihr Material verteilen
und bereit halten mußte. Wie sollte das geschehen?
Der Heeres- und Marineverwaltung mußte die volle Freiheit gewahrt
werden, ihre Aufträge dahin zu geben, wo sie wollten; wir konnten
keiner Behörde sagen: wir schreiben euch vor, wo ihr eure
Bestellungen zu machen habt. Auf der anderen Seite mußte derjenige,
der nun der Beauftragte der Behörde geworden war, das Material
bekommen, das er brauchte. Es mußten Organismen geschaffen werden
zum Aufsaugen, Aufspeichern und zum Verteilen dieses Warenstromes,
der in einer neuen Bewegungsform und mit neuen Zufuhren durch die
Adern des deutschen Verkehrs rollte. Da mußte abermals ein neuer
Begriff entstehen, der Begriff der Kriegswirtschafts-Gesellschaften.
Heute ist das eine Sache, von der man wie von einer altererbten spricht.
Viele dieser Kriegsgesellschaften sind in aller Munde; man kennt sie
und empfindet sie als ein längst Gegebenes. Aber das Paradox ihres
Wesens schien so groß, daß selbst in unserem engsten Kreise, der sonst
in großer Einhelligkeit unsere Maßnahmen durchdachte, eine Spaltung
über die Möglichkeit und Durchführbarkeit dieser Schöpfung entstand.
Auf der einen Seite war ein entschiedener Schritt zum
Staatssozialismus geschehen; der Güterverkehr gehorchte nicht mehr
dem freien Spiel der Kräfte, sondern war zwangsläufig geworden. Auf
der anderen Seite wurde eine Selbstverwaltung der Industrie, und zwar
in größtem Umfang durch die neuen Organisationen angestrebt; wie
sollten die gegenläufigen Grundsätze sich vertragen?
Man hat denn auch hinterdrein mit größerem oder geringerem
Wohlwollen uns gesagt, wie man es anders hätte machen sollen: wir
hätten nicht die Gesellschaften gründen, sondern den behördlichen
Apparat vergrößern sollen. Heute sind die Stimmen der Kritik
verstummt. Wer indessen noch zweifelt, dem empfehle ich einen
Besuch in der Kriegsmetall- oder Kriegschemikalien-Gesellschaft.
Wenn er dort Tausende von Menschen an der Arbeit sieht, diesen
Bienenkorb vor Augen hat, den Strom von Besuchern,
Korrespondenzen, Transporten und Zahlungen verfolgt, so wird er sich
sagen, in den Behördenrahmen war diese Aufgabe nicht mehr
hineinzupressen, sie mußte den wirtschaftlichen Berufskräften und der
Selbstverwaltung überlassen werden.
So entstand der Begriff der Kriegsgesellschaft aus dem Wesen der
Selbstverwaltung und dennoch nicht der schrankenlosen Freiheit. Die
Kriegsrohstoffgesellschaften wurden gegründet mit straffer
behördlicher Aufsicht. Kommissare der Reichsbehörden und der
Ministerien haben das unbeschränkte Veto; die Gesellschaften sind
gemeinnützig, weder Dividenden noch Liquidationsgewinne dürfen sie
verteilen; sie haben neben den gewöhnlichen Organen der
Aktiengesellschaften, Vorstand und Aufsichtsrat, noch ein weiteres
Organ, eine unabhängige Kommission, die von
Handelskammermitgliedern oder Beamten geleitet wird, die
Schätzungs- und Verteilungskommission. Auf diese Weise stehen sie
da als ein Mittelglied zwischen der Aktiengesellschaft, welche die freie
wirtschaftlich-kapitalistische Form verkörpert, und einem behördlichen
Organismus; eine Wirtschaftsform, die vielleicht in kommende Zeiten
hinüberdeutet.
Ihre Aufgabe ist es, den Zufluß der Rohstoffe in einer Hand
zusammenzufassen und seine Bewegung so zu leiten, daß jede
Produktionsstätte nach Maßgabe ihrer behördlichen Aufträge zu
festgesetzten Preisen und Bedingungen mit Material versorgt wird.
Auch von den Industriellen wurden die neuen Rohstoff-Gesellschaften
nicht durchweg willkommen geheißen.
Die Metallindustriellen waren einigermaßen willig. Sie fragten zwar:
Wozu soll das, eine Aktiengesellschaft, die nichts verdient, was sollen
wir damit anfangen? Wir haben bisher unsere Wirtschaft besorgt
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