habe. Kernhafte Menschen, begeisterungsfähig, freudig und
arbeitskräftig, die aus den verschiedensten Berufen stammten, und
schließlich alle zum gleichen Ziel hinstrebten. Da war es merkwürdig,
wie wir alle fiskalisch wurden; denn das ist eine Eigenschaft des
Deutschen, daß da, wo man ihn hinstellt, er mit seiner Aufgabe
verwächst und sein ganzes früheres Dasein vergißt. Unsere
Industriellen in diesen Stellungen waren bald so fiskalisch geworden,
daß wir manches vorwurfsvolle Wort von unseren eigenen Industrien
zu hören bekamen.
Da war ein Elektrotechniker, der hatte das ganze Lederwesen unter
seiner Obhut, da war ein Metallurge, der hatte die chemischen
Industrien, da war ein Nationalökonom, der hatte Textilien; nur der
Kautschukindustrie war als Verweser ein Fachgenosse beschieden.
Fast jeden Tag mußten neue Kräfte eingestellt werden. Denn unter
jedem Dezernat wuchs nach abwärts eine hierarchische Pyramide;
Zweigorganisationen entstanden, Einzelaufgaben wuchsen zu
mächtigen Arbeitsgebieten aus; in wenig Monaten war der Umfang
einer normalen Behörde überschritten und noch immer dehnte sich der
Kreis der Verantwortungen.
Alle diese Menschen mußten geworben und angelernt werden. Es
verging Zeit und kostete Arbeit, bis diese Kaufleute und Techniker zu
Beamten umgeschaffen waren, bis sie die Gewohnheiten des
behördlichen Verkehrs, der klippenreichen Geschäftsordnung, des
amtlichen Schriftwesens, und vor allem die Aufgaben ihres eigenen,
neugeschaffenen Wirkungskreises sich angeeignet hatten.
Die größten Schwierigkeiten aber lagen in Raum und Zeit.
Im Raum. Vier Zimmer hatte das Kriegsministerium uns anfänglich zur
Verfügung gestellt, und das war nichts geringes, denn das
Kriegsministerium war in härtester Arbeitsanspannung. Wir verlangten
20 Räume; sie wurden bewilligt. Da gab es schon Umzüge, die
schwierig waren und Wochen dauerten. Dann brauchten wir 60 Räume.
Da mußten Abteilungen das Feld räumen, die seit Jahrzehnten
unbewegt geblieben waren, und die mit 60 000 Aktenstücken
aufbrachen. Das war eine Sache von Monaten. Während dieser Zeit
waren unsere Korridore schwarz von Menschen, die Vormittage lang
auf Abfertigung warteten. Die Einstellung neuer Kräfte war
vorübergehend gehemmt; es entstanden Verzögerungen in der
Abwicklung der Geschäfte, die uns zu ersticken drohten. Zuletzt blieb
uns nichts anderes übrig: wir mußten unter eigener Verantwortung
Wohnungen in der Wilhelmstraße mieten, einrichten und besetzen, die
nachträglich als Amtsräume des Ministeriums genehmigt wurden.
Heute hat die Abteilung eine ganze Straßenfront in der Verlängerten
Hedemannstraße und wird die nächste vielleicht bald dazu haben.
Und nun die Zeit.
Es galt, Organisationen täglich und stündlich neu zu schaffen,
Verfügungen zu entwerfen, umzuarbeiten und anzupassen,
Verhandlungen mit Industriellen zu führen, Versammlungen
einzuberufen, eine Korrespondenz von zweitausend täglichen
Nummern zu bewältigen, daneben mit den Behörden die Fühlung
aufrecht zu erhalten, die neu eingetretenen Menschen anzulernen, dem
Strom der Besucher, den Fragenden und Wünschenden standzuhalten --
das verlangte einen Tag von 48 Stunden. Eins aber kam uns zugute. Ich
habe von der allgemeinen Verkennung unserer Aufgabe gesprochen, als
von einem Nachteil. Sie war aber auch von Nutzen, denn die
öffentliche Kritik, die heute in das Ernährungsproblem eingreift, ließ
uns ziemlich ungestört. Was wir machten, wurde zwar als eine Art von
unliebsamer und unnötiger Behelligung der Industrie angesehen, aber
man machte uns doch schließlich wenig Schwierigkeiten.
Es kamen ab und zu Professoren, die sagten, es wäre alles falsch, wir
müßten alles von vorn anfangen. Es kamen auch Abgeordnete, die
sagten, es wäre allerdings falsch, und was die Professoren gesagt hätten,
wäre auch falsch; es müßte nochmals geändert werden. Abgesehen von
einer grauenhaften Schreibarbeit hat es uns nichts geschadet.
Nun kommen wir zu der Lösung.
Bei der Lösung handelte es sich zunächst darum, Rechtsbegriffe neu zu
schaffen. Von der Unvollständigkeit und Unvollkommenheit unserer
juristischen Grundlage habe ich Ihnen schon erzählt. Es mußte der
Grundbegriff gefunden werden, der es uns ermöglichte, den
wirtschaftlichen Kreislauf umzugestalten. Wir schufen einen neuen
Begriff der Beschlagnahme; mit etwas Willkür zwar, aber das
Belagerungsgesetz stand uns zur Seite, und später ist alles auch
unabhängig vom Belagerungszustand gesetzlich sanktioniert worden.
Dieser Begriff der Beschlagnahme bedeutet nicht, daß eine Ware in
Staatseigentum übergeht, sondern nur, daß ihr eine Beschränkung
anhaftet, daß sie nicht mehr machen kann, was sie oder ihr Besitzer,
sondern was eine höhere Kraft will. Diese Ware darf nur noch für
Kriegszwecke verwendet werden; man darf sie verkaufen, verarbeiten,
transportieren, in jede beliebige Form bringen, aber was sie auch erlebt:
immer bleibt sie mit dem Gesetz behaftet, daß sie nur der Kriegführung
dienen kann.
Zu Anfang hat man sich schwer mit diesem Begriff abgefunden und
uns oft gesagt, das wäre nicht richtig gewesen, wir hätten alles
konfiszieren sollen. Ich erwähne das nicht, um nochmals zu widerlegen,
denn die Behauptung fällt in sich zusammen. Hätten wir die Güter auch
nur eines einzigen Wirtschaftskreises, etwa der Metalle, requiriert, also
alles Kupfer, Zinn, Nickel, Aluminium, Antimon, Wolfram, Chrom, so
wären wir Besitzer geworden von Millionen einzelner Warenposten,
und jeden Tag wären ungezählte Anfragen gekommen: Was soll mit
diesem und jenem Warenposten gemacht werden? Darf er gewalzt,
gezogen, gegossen werden? Wer soll ihn bekommen? Er wird dringend
gebraucht. Und auf der anderen Seite hätte die ganze
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