Die Organisation der Rohstoffversorgung | Page 3

Walther Rathenau
so und so sieht die Deckung im Lande aus, und
allmählich trat die Aufgabe in ihrem ganzen Umrisse, freilich noch
nicht ihre Lösung hervor.
Vier Wege waren möglich und mußten beschritten werden, um die
Wirtschaft im Lande umzugestalten, um das Verteidigungsverhältnis zu
erzwingen.
Erstens: alle Rohstoffe des Landes mußten zwangsläufig werden, nichts
mehr durfte eigenem Willen und eigener Willkür folgen. Jeder Stoff,
jedes Halbprodukt mußte so fließen, daß nichts in die Wege des Luxus
oder des nebensächlichen Bedarfes gelangte; ihr Weg mußte gewaltsam
eingedämmt werden, so daß sie selbsttätig in diejenigen Endprodukte
und Verwendungsformen mündeten, die das Heer brauchte. Das war
die erste und schwerste Aufgabe.
Zweitens: wir mußten alle verfügbaren Stoffe jenseits der Grenzen ins
Land hineinzwingen, soweit sie zu zwingen waren, sei es durch Kauf
im neutralen, sei es durch Beitreibung im okkupierten Ausland. Durch
Kauf ist manches hereingeflossen; späterhin, durch Beitreibung im
okkupierten Auslande sehr viel und unentbehrliches; davon werde ich
später reden.
Die dritte Möglichkeit, die sich uns erschloß, war die Fabrikation. Wir
mußten Bedacht darauf nehmen, daß alles das im Inland erzeugt wurde,
was unentbehrlich und unerhältlich war. Wir mußten auch darauf
Bedacht nehmen, daß neue Erzeugungsmethoden gefunden und
entwickelt wurden, wo die alte Technik nicht ausreichte.

Und nun der vierte Weg: es mußten schwer erhältliche Stoffe durch
andere, leichter beschaffbare ersetzt werden. Wo steht es geschrieben,
daß diese oder jene Sache aus Kupfer oder Aluminium gemacht werden
muß; sie kann auch aus etwas anderem gemacht werden. Surrogate
müssen herhalten, altgewohnte Fabrikate müssen aus neuen Stoffen
geschaffen werden. Wenn die alten sich störrisch zeigen hinsichtlich
ihres Stoffverbrauches, so muß dieser Eigensinn gebrochen werden,
und es müssen solche Fabrikate erstehen, die weniger wählerisch sind
hinsichtlich ihrer Erzeugungsmittel.
Das waren die Methoden, die sich unserem Blick erschlossen hatten;
nicht die Lösungen zwar, doch die Wege, die Möglichkeiten, die
Hoffnungen.
Auf der anderen Seite aber lagen unübersehbar die Widerstände.
Die kriegswirtschaftliche Gesetzgebung stand etwa auf der Stufe
friderizianischer Wirtschaft. Was das Kriegsleistungsgesetz uns
freistellte, war, wenn man es seines theoretischen Ausdrucks entkleidet,
ungefähr soviel, wie wenn ich sage: Kommt ein Rittmeister in ein Dorf,
so kann er sich vom Ortsvorsteher Hafer geben lassen, und macht ihm
der Ortsvorsteher Schwierigkeiten durch Säumigkeit, so darf er in
gewissen Ausnahmefällen sich den Hafer selbst nehmen. Das war
ungefähr der Inbegriff der Gesetzgebung, wie wir sie fanden.
Es gab aber noch andere Schwierigkeiten.
Zur Lösung der Aufgabe, die uns auferlegt war, bedurften wir der
Mitarbeit vieler Behörden. In den ersten Tagen war es gelungen, die
drei außerpreußischen Kriegsministerien zu einer sehr
entgegenkommenden Erklärung zu bewegen, daß sie nämlich Preußen
es überlassen würden, die Organisation zu schaffen. Das hat eine große
Vereinfachung herbeigeführt. Aber mit vielen anderen Behörden war
daneben zu verhandeln und zu arbeiten.
Schon dadurch mußten Schwierigkeiten erstehen, daß das Problem
nirgends bekannt war. Noch heute ist ja das deutsche Volk der Ansicht,
daß die Rohstoffversorgung ganz von selbst geht. Über Nahrungsmittel

wird den ganzen Tag gesprochen, das Problem der Rohstoffe, das geht
so nebenher. Aber wie es am Anfang des Krieges lag, das müssen wir
uns jetzt erst wieder mühsam vergegenwärtigen. Die ersten sechs
Monate hatte niemand eine Ahnung davon, wofür wir eigentlich da
waren. Der Reichstag, der im November 1914 zusammentrat,
betrachtete uns als eine Art Handelsstelle, die dafür zu sorgen hatte,
daß das Sohlenleder und die Wolle billiger würden; daß es sich um
Fragen handelte, von denen Krieg und Frieden, Sieg und Niederlage
abhingen, war niemandem geläufig und ist es bis zum heutigen Tage
noch nicht allen. Unter diesen Verhältnissen hatten wir zu leiden. Um
die Requisitionen in Belgien mußten wir kämpfen, denn es gab eine
Auffassung, die theoretische Bedenken geltend machte. Unsere
Umfragen bei der Industrie wurden an manchen Stellen als eine
unzulässige Beunruhigung der Wirtschaft empfunden. Noch
entschiedener wurde die Störung einzelner Friedensindustrien uns
verübelt.
Schritt für Schritt hatten wir unseren Weg zu bahnen. Doch kann ich
sagen: in letzter Linie haben alle Behörden uns unterstützt, in letzter
Linie haben wir doch überall Verständnis errungen und gesehen, daß
unsere öffentliche Organisation geeignet ist, auf jedes noch so
schwierige Problem einzugehen und es mit neuen Mitteln zu lösen.
Aber die Anfänge waren schwer.
Nun kommen die Schwierigkeiten, die in uns selbst lagen.
Zu fünft hatten wir angefangen. Menschen wurden gesucht; die
Personalbestände der Wirtschaft waren ausgeleert. Alles war an der
Front, ging an die Front. Fabriken und Banken habe ich bestürmt: gebt
mir Menschen. Ja, es wurden mir manchmal Menschen gegeben, die
liefen nach zwei Tagen weg, denen paßte es nicht, von morgens 9 bis
abends 12 zu arbeiten, und zwar umsonst und in einer Sache, von der
sie nicht genau wußten, wozu sie diente, wohin sie führte. Andere
blieben und fanden Gefallen, und so hat doch schließlich ein Kreis sich
gebildet, eine Freischar sich zusammengefunden, die in ihrem
Zusammenwirken vorbildlich war, und die ich mit schwerem Herzen
verlassen
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