Die Organisation der Rohstoffversorgung | Page 6

Walther Rathenau
Experimenten. Aber schlie?lich kam es doch im Hofmannhaus zu einer konstituierenden Versammlung; die verlief anfangs friedlich, gegen Ende aber wurde sie leidenschaftlich bewegt. Als die Herren sahen, den Salpeter kann man ihnen nicht unbeschr?nkt lassen, da wurden sie unzufrieden, und es gab eine Szene, die von ferne an das Ballhaus in Paris im Jahre 1789 erinnerte. Trotzdem kam die Gr��ndung zustande, und heute m��ssen wir ebenso tief und freudig den Chemikern danken f��r ihr Zusammenwirken wie f��r ihre Leistungen. Denn diese vorbildliche deutsche Industrie hat zwar mit den ersten Ma?nahmen vielleicht sich etwas schwerer abgefunden, daf��r hat sie an Initiative und Erfindungskraft, an K��hnheit und Nachhaltigkeit vielleicht die h?chste Stelle unserer wirtschaftlichen Kriegsf��hrung erreicht.
Fast jede Woche brachte neue Gr��ndungen. Mit Metall fing es an, dann kamen Chemikalien, dann kam Jute, Wolle, Kammwolle, Kautschuk, Baumwolle, Leder, H?ute, Flachs, Leinen, Ro?haar; teils Aktiengesellschaften, teils Abrechnungsstellen. Alle diese Sch?pfungen verlangten wochenlange Vorverhandlungen, Einigung unter den Industriellen, Verst?ndigungen ��ber die Bedingungen, Beschaffung von neuen Kr?ften, Direktoren, Prokuristen und Gesch?ftsr?umen, und alles das innerhalb einer Wirtschaft, in der verantwortliche Kr?fte immer sp?rlicher zur Verf��gung standen.
Heute z?hlt das Beamtenpersonal der Gesellschaften, Untergesellschaften und Zweigorganisationen nach Tausenden, ihr Umsatz nach Hunderten von Millionen.
So sa?en wir in tiefster Arbeit. Auf der einen Seite schwoll der Berg der beschlagnahmten Waren und machte dauernde Verhandlungen mit den Wirtschaftsleitern erforderlich; auf der anderen Seite entstanden unsere Organisationen und verlangten Einarbeitung, Aufsicht, Mitwirkung; zwischen beiden Aufgaben k?mpften wir um den Ausbau unserer Abteilung, um Raum, Menschen, Ordnung und Gesch?ftsgang -- und schon trat eine neue Aufgabe gewaltigen Umfangs, hei? ersehnt und hochwillkommen an uns heran.
Unsere siegreichen Heere waren vorgedrungen, Belgien und ein Teil von Frankreich war unterworfen, und auch in Ru?land wurde es heller.
Nun handelte es sich darum, den Rohstoffbesitz dieser drei Landgebiete auszusch��tten ��ber das vierte. Durch Kauf in neutralen Staaten hatten wir manches ins Land bekommen; doch bald sorgten die Engl?nder durch ihre Gegenorganisationen, durch ihren Terrorismus zu Lande und zur See daf��r, da? die Zufuhr nachlie?. Nun hatte die Gewalt der deutschen Waffen drei reiche Provinzen unserer Wirtschaft erschlossen; ein geographischer Gl��cksfall f��gte es, da? fast zu gleicher Zeit die gesamten Zentren des kontinentalen Wollhandels in unsere Hand fielen; betr?chtliche Vorr?te an Kautschuk und Salpeter traten hinzu. Nun hie? es, diese Sch?tze heben und nutzbar machen und dabei doch Recht und Gesetz wahren, ��bersicht behalten und die Wirtschaft der L?nder nicht mit einem Schlage vernichten.
Das war eine Aufgabe, die materiell umfassend und dennoch nicht so schwierig war wie die vorausgegangenen, denn sie lehnte sich an vorhandene Erfahrung an: ein Land mit Organisationen zu durchdringen, Filialen zu schaffen, und diese mit Zweiganstalten zu umgeben, L?ger durchforschen und aufnehmen zu lassen, Beschlagnahmen zu erwirken, Vereinbarungen ��ber Umladepl?tze, Verzollungswesen, einzur?umende Eisenbahngleise zu treffen, alles das waren Dinge, die Zeit und Menschen erforderten, die aber nicht mehr auf dem schwankenden Grunde unerforschter Wirtschafts- und Rechtsverh?ltnisse sich abspielten. Mit gewissen Ausnahmen; denn auch in Belgien war die Frage der ��bereignung eine nicht ganz einfache. ��ber die Frage der Entsch?digung stritten sich die Geister noch nach Monaten, nachdem wir die Substanz schon in unseren Besitz gebracht hatten. Aber immerhin: diese Aufgabe war im wesentlichen mit gegebenen Erfahrungen zu l?sen und sie wurde gel?st.
Jetzt war ein gewaltiges Warengesch?ft unserer Abteilung angegliedert, die schon damals auf den Umfang eines merkantilen Weltunternehmens angewachsen war; da traten von neuem schwere Gefahren auf. Und um diese Gefahren zu schildern, will ich gleich in das tiefste Fabrikationsproblem greifen und will etwas erz?hlen -- Zahlen werde ich nicht nennen -- von der Stickstoffaufgabe, die sich uns bot.
Sie wissen, da? die unentbehrlichen Explosivstoffe der Kriegsf��hrung auf der Grundlage der Salpeterverbindungen ruhen, da? Salpeter eine Stickstoffverbindung ist, und da? somit die Kriegsf��hrung in gewissem Sinne ein Stickstoffproblem darstellt.
Unsere Stickstoffrechnung am Anfang des Krieges war nicht ung��nstig. Ich will Zahlen fingieren, die falsch sind, aber Verh?ltnisse geben. Nehmen Sie an, es seien 90 Tonnen Stickstoff im Lande gewesen, und nehmen Sie an, 50 Tonnen h?tten wir mit Sicherheit erwartet in Ostende und Antwerpen, das w?ren zusammen 140 Tonnen. Bei einem monatlichen Verbrauch von 10 Tonnen h?tte das 14 Monate gelangt. Ich betone, es sind nur Verh?ltniszahlen.
Das Deckungsverh?ltnis sah somit ganz gut aus. Es wurde Anfang September und der Krieg entwickelte sich. Wir machten uns immer wieder unsere Rechnungen, verglichen immer wieder mit den Unterlagen, die uns die verbrauchenden Stellen boten. Immer wieder ergab sich die Antwort: diese Deckung stimmt.
Da d?mmerte pl?tzlich die Besorgnis auf: Wie ist das, wenn nun der Krieg im Osten die gleichen Dimensionen annimmt wie im Westen? Wenn der Krieg noch hartn?ckiger und umfangreicher wird, als wir ihn uns vorstellen k?nnen? Wie ist es dann mit der Stickstoffdeckung? Darauf war keine Antwort.
Es war ein beklommener Vormittag, als ich dem Stellvertretenden Kriegsminister diese Erw?gung unterbreitete, und ihn um die Erlaubnis bat, eine beliebige Zahl von chemischen Fabriken bauen zu lassen, und n?mlich so
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