Die Organisation der Rohstoffversorgung | Page 5

Walther Rathenau
auf. Wenn bei einem Metallindustriellen die Metalle beschlagnahmt waren, durfte er nicht mehr Friedensarbeit leisten, er war auf Kriegsauftr?ge angewiesen; er mu?te seine Anlagen und Maschinen, seine Arbeitsmethoden und Produkte auf Kriegsarbeit umstellen, er mu?te ein neues wirtschaftliches Leben anfangen. Es war eine furchtbare Belastungsprobe f��r die Industrien, vor allem der metallurgischen, der chemischen und der Textilproduktion.
In jenen schweren Wochen Ende letzten Jahres, als die Verf��gungen erlassen waren, kamen meine Kollegen von der AEG zu mir und sagten: ?Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Das kann f��r uns 60?000 brotlose Arbeiter bedeuten.?
Es ist gegangen. Zwei Monate lang haben wir der Industrie noch gewisse Freigaben zugestanden, wenn auch schweren Herzens; denn wer konnte wissen, ob nicht die Tonne Salpeter, die hier freigegeben wurde, bei einer belagerten Festung oder bei einer Schlacht einen Ausschlag geben w��rde. Irgendwo mu? man Verantwortungen ��bernehmen, und wir haben es getan.
Nach zwei Monaten war die Umstellung unserer Industrie vollzogen. Die deutsche Industrie hat diese Neugestaltung bewirkt, ohne davon zu reden, ohne einen Zusammenbruch, schweigend, gro?z��gig, selbstbewu?t, mit h?chster Tatkraft und Schaffenslust. Das, meine Herren, ist ein Ruhmesblatt der deutschen Industrie, das niemals vergessen werden darf! Weder Frankreich, noch England, noch die Vereinigten Staaten, noch irgendeine der feindlichen und halbfeindlichen Nationen macht das nach.
Das war der Begriff der Beschlagnahme; ihre Wirkung war die wirtschaftliche Umstellung. Und nun komme ich zum zweiten Werkzeug.
Wir wu?ten, da? diese Wirtschaft neu geboren werden mu?te, wir wu?ten, da? sie nun in irgendwelcher neuen Form ihr Material verteilen und bereit halten mu?te. Wie sollte das geschehen?
Der Heeres- und Marineverwaltung mu?te die volle Freiheit gewahrt werden, ihre Auftr?ge dahin zu geben, wo sie wollten; wir konnten keiner Beh?rde sagen: wir schreiben euch vor, wo ihr eure Bestellungen zu machen habt. Auf der anderen Seite mu?te derjenige, der nun der Beauftragte der Beh?rde geworden war, das Material bekommen, das er brauchte. Es mu?ten Organismen geschaffen werden zum Aufsaugen, Aufspeichern und zum Verteilen dieses Warenstromes, der in einer neuen Bewegungsform und mit neuen Zufuhren durch die Adern des deutschen Verkehrs rollte. Da mu?te abermals ein neuer Begriff entstehen, der Begriff der Kriegswirtschafts-Gesellschaften. Heute ist das eine Sache, von der man wie von einer altererbten spricht. Viele dieser Kriegsgesellschaften sind in aller Munde; man kennt sie und empfindet sie als ein l?ngst Gegebenes. Aber das Paradox ihres Wesens schien so gro?, da? selbst in unserem engsten Kreise, der sonst in gro?er Einhelligkeit unsere Ma?nahmen durchdachte, eine Spaltung ��ber die M?glichkeit und Durchf��hrbarkeit dieser Sch?pfung entstand.
Auf der einen Seite war ein entschiedener Schritt zum Staatssozialismus geschehen; der G��terverkehr gehorchte nicht mehr dem freien Spiel der Kr?fte, sondern war zwangsl?ufig geworden. Auf der anderen Seite wurde eine Selbstverwaltung der Industrie, und zwar in gr??tem Umfang durch die neuen Organisationen angestrebt; wie sollten die gegenl?ufigen Grunds?tze sich vertragen?
Man hat denn auch hinterdrein mit gr??erem oder geringerem Wohlwollen uns gesagt, wie man es anders h?tte machen sollen: wir h?tten nicht die Gesellschaften gr��nden, sondern den beh?rdlichen Apparat vergr??ern sollen. Heute sind die Stimmen der Kritik verstummt. Wer indessen noch zweifelt, dem empfehle ich einen Besuch in der Kriegsmetall- oder Kriegschemikalien-Gesellschaft. Wenn er dort Tausende von Menschen an der Arbeit sieht, diesen Bienenkorb vor Augen hat, den Strom von Besuchern, Korrespondenzen, Transporten und Zahlungen verfolgt, so wird er sich sagen, in den Beh?rdenrahmen war diese Aufgabe nicht mehr hineinzupressen, sie mu?te den wirtschaftlichen Berufskr?ften und der Selbstverwaltung ��berlassen werden.
So entstand der Begriff der Kriegsgesellschaft aus dem Wesen der Selbstverwaltung und dennoch nicht der schrankenlosen Freiheit. Die Kriegsrohstoffgesellschaften wurden gegr��ndet mit straffer beh?rdlicher Aufsicht. Kommissare der Reichsbeh?rden und der Ministerien haben das unbeschr?nkte Veto; die Gesellschaften sind gemeinn��tzig, weder Dividenden noch Liquidationsgewinne d��rfen sie verteilen; sie haben neben den gew?hnlichen Organen der Aktiengesellschaften, Vorstand und Aufsichtsrat, noch ein weiteres Organ, eine unabh?ngige Kommission, die von Handelskammermitgliedern oder Beamten geleitet wird, die Sch?tzungs- und Verteilungskommission. Auf diese Weise stehen sie da als ein Mittelglied zwischen der Aktiengesellschaft, welche die freie wirtschaftlich-kapitalistische Form verk?rpert, und einem beh?rdlichen Organismus; eine Wirtschaftsform, die vielleicht in kommende Zeiten hin��berdeutet.
Ihre Aufgabe ist es, den Zuflu? der Rohstoffe in einer Hand zusammenzufassen und seine Bewegung so zu leiten, da? jede Produktionsst?tte nach Ma?gabe ihrer beh?rdlichen Auftr?ge zu festgesetzten Preisen und Bedingungen mit Material versorgt wird.
Auch von den Industriellen wurden die neuen Rohstoff-Gesellschaften nicht durchweg willkommen gehei?en.
Die Metallindustriellen waren einigerma?en willig. Sie fragten zwar: Wozu soll das, eine Aktiengesellschaft, die nichts verdient, was sollen wir damit anfangen? Wir haben bisher unsere Wirtschaft besorgt und k?nnen es auch weiter. Dennoch willigten sie ein, vielleicht zum Teil mir zu Gefallen, vielleicht auch, weil sie sich sagten, es ist nicht viel dabei verloren.
Schon anders war es mit den Chemikern. Das sind ganz gro?e Herren aus dem Rheinland, selbstbewu?t, Tr?ger gro?er Verantwortungen, Chefs ungez?hlter Arbeiterbataillone; denen war das neue Wesen anfangs nicht ganz geheuer. Ein einflu?reicher Herr fuhr im Rheinland herum und warnte vor den neuen
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