Die Organisation der Rohstoffversorgung | Page 4

Walther Rathenau
ganzes fr��heres Dasein vergi?t. Unsere Industriellen in diesen Stellungen waren bald so fiskalisch geworden, da? wir manches vorwurfsvolle Wort von unseren eigenen Industrien zu h?ren bekamen.
Da war ein Elektrotechniker, der hatte das ganze Lederwesen unter seiner Obhut, da war ein Metallurge, der hatte die chemischen Industrien, da war ein National?konom, der hatte Textilien; nur der Kautschukindustrie war als Verweser ein Fachgenosse beschieden.
Fast jeden Tag mu?ten neue Kr?fte eingestellt werden. Denn unter jedem Dezernat wuchs nach abw?rts eine hierarchische Pyramide; Zweigorganisationen entstanden, Einzelaufgaben wuchsen zu m?chtigen Arbeitsgebieten aus; in wenig Monaten war der Umfang einer normalen Beh?rde ��berschritten und noch immer dehnte sich der Kreis der Verantwortungen.
Alle diese Menschen mu?ten geworben und angelernt werden. Es verging Zeit und kostete Arbeit, bis diese Kaufleute und Techniker zu Beamten umgeschaffen waren, bis sie die Gewohnheiten des beh?rdlichen Verkehrs, der klippenreichen Gesch?ftsordnung, des amtlichen Schriftwesens, und vor allem die Aufgaben ihres eigenen, neugeschaffenen Wirkungskreises sich angeeignet hatten.
Die gr??ten Schwierigkeiten aber lagen in Raum und Zeit.
Im Raum. Vier Zimmer hatte das Kriegsministerium uns anf?nglich zur Verf��gung gestellt, und das war nichts geringes, denn das Kriegsministerium war in h?rtester Arbeitsanspannung. Wir verlangten 20 R?ume; sie wurden bewilligt. Da gab es schon Umz��ge, die schwierig waren und Wochen dauerten. Dann brauchten wir 60 R?ume. Da mu?ten Abteilungen das Feld r?umen, die seit Jahrzehnten unbewegt geblieben waren, und die mit 60?000 Aktenst��cken aufbrachen. Das war eine Sache von Monaten. W?hrend dieser Zeit waren unsere Korridore schwarz von Menschen, die Vormittage lang auf Abfertigung warteten. Die Einstellung neuer Kr?fte war vor��bergehend gehemmt; es entstanden Verz?gerungen in der Abwicklung der Gesch?fte, die uns zu ersticken drohten. Zuletzt blieb uns nichts anderes ��brig: wir mu?ten unter eigener Verantwortung Wohnungen in der Wilhelmstra?e mieten, einrichten und besetzen, die nachtr?glich als Amtsr?ume des Ministeriums genehmigt wurden. Heute hat die Abteilung eine ganze Stra?enfront in der Verl?ngerten Hedemannstra?e und wird die n?chste vielleicht bald dazu haben.
Und nun die Zeit.
Es galt, Organisationen t?glich und st��ndlich neu zu schaffen, Verf��gungen zu entwerfen, umzuarbeiten und anzupassen, Verhandlungen mit Industriellen zu f��hren, Versammlungen einzuberufen, eine Korrespondenz von zweitausend t?glichen Nummern zu bew?ltigen, daneben mit den Beh?rden die F��hlung aufrecht zu erhalten, die neu eingetretenen Menschen anzulernen, dem Strom der Besucher, den Fragenden und W��nschenden standzuhalten -- das verlangte einen Tag von 48 Stunden. Eins aber kam uns zugute. Ich habe von der allgemeinen Verkennung unserer Aufgabe gesprochen, als von einem Nachteil. Sie war aber auch von Nutzen, denn die ?ffentliche Kritik, die heute in das Ern?hrungsproblem eingreift, lie? uns ziemlich ungest?rt. Was wir machten, wurde zwar als eine Art von unliebsamer und unn?tiger Behelligung der Industrie angesehen, aber man machte uns doch schlie?lich wenig Schwierigkeiten.
Es kamen ab und zu Professoren, die sagten, es w?re alles falsch, wir m��?ten alles von vorn anfangen. Es kamen auch Abgeordnete, die sagten, es w?re allerdings falsch, und was die Professoren gesagt h?tten, w?re auch falsch; es m��?te nochmals ge?ndert werden. Abgesehen von einer grauenhaften Schreibarbeit hat es uns nichts geschadet.
Nun kommen wir zu der L?sung.
Bei der L?sung handelte es sich zun?chst darum, Rechtsbegriffe neu zu schaffen. Von der Unvollst?ndigkeit und Unvollkommenheit unserer juristischen Grundlage habe ich Ihnen schon erz?hlt. Es mu?te der Grundbegriff gefunden werden, der es uns erm?glichte, den wirtschaftlichen Kreislauf umzugestalten. Wir schufen einen neuen Begriff der Beschlagnahme; mit etwas Willk��r zwar, aber das Belagerungsgesetz stand uns zur Seite, und sp?ter ist alles auch unabh?ngig vom Belagerungszustand gesetzlich sanktioniert worden. Dieser Begriff der Beschlagnahme bedeutet nicht, da? eine Ware in Staatseigentum ��bergeht, sondern nur, da? ihr eine Beschr?nkung anhaftet, da? sie nicht mehr machen kann, was sie oder ihr Besitzer, sondern was eine h?here Kraft will. Diese Ware darf nur noch f��r Kriegszwecke verwendet werden; man darf sie verkaufen, verarbeiten, transportieren, in jede beliebige Form bringen, aber was sie auch erlebt: immer bleibt sie mit dem Gesetz behaftet, da? sie nur der Kriegf��hrung dienen kann.
Zu Anfang hat man sich schwer mit diesem Begriff abgefunden und uns oft gesagt, das w?re nicht richtig gewesen, wir h?tten alles konfiszieren sollen. Ich erw?hne das nicht, um nochmals zu widerlegen, denn die Behauptung f?llt in sich zusammen. H?tten wir die G��ter auch nur eines einzigen Wirtschaftskreises, etwa der Metalle, requiriert, also alles Kupfer, Zinn, Nickel, Aluminium, Antimon, Wolfram, Chrom, so w?ren wir Besitzer geworden von Millionen einzelner Warenposten, und jeden Tag w?ren ungez?hlte Anfragen gekommen: Was soll mit diesem und jenem Warenposten gemacht werden? Darf er gewalzt, gezogen, gegossen werden? Wer soll ihn bekommen? Er wird dringend gebraucht. Und auf der anderen Seite h?tte die ganze Verarbeitung stillgestanden, bis eine neue Verteilung vorgenommen war. Und die ��berwachung und Verrechnung von Milliardenwerten unbekannter Posten w?re uns zur Last gefallen.
Der Begriff der Beschlagnahme hat sich bew?hrt, und wird aus unserem Kriegswirtschaftsleben nicht mehr verschwinden. Aber die neue Rechtsform hat uns durch schwere Gefahren gef��hrt. Denn in dem Augenblick, wo eine Ware beschlagnahmt war, h?rte die Friedenswirtschaft
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