Die Menschen der Ehe | Page 8

John Henry Mackay
h?rte, was sie sagte.
Sie wurde unruhig.
"Aber du h?rst mir ja gar nicht zu, und ich sitze hier und erz?hle dir alle Neuigkeiten von Bedeutung, die seit zehn Jahren hier geschehen sind--"
Er sah auf. Und wieder err?tete sie unter seinem Blick.
Wieder suchte sie ihn abzulenken.
"Und n?chsten Mittwoch ist Harmonie-Abend im Kasino: Musik und Ball, da wirst du alle wieder sehen, die du kennst, unsere ganze Gesellschaft--"
Zum erstenmal sprach sie von ihrem Mann:
"Er hat mir zwar verboten, hinzugehen, ersagt, es sei zu viel für mich", sie stampfte mit dem Fu?e auf, "aber jetzt, wo du hier bist, mu? er es mir erlauben, mu? es, mu? es!"
Sie hielt einen Augenblick inne, etwas ersch?pft und erhitzt von dem langen Sprechen, aber schon ging es weiter.
"Oder besser noch, wir geben eine Gesellschaft, eine gro?e Gesellschaft dir zu Ehren--" sie klatschte in die H?nde vor Vergnügen und wartete offenbar auf einen ?hnlichen Ausbruch des Entzückens bei ihm.
Aber er erkannte jetzt, da? es die h?chste Zeit war, dieser Kom?die ein Ende zu machen.
Er rückte seinen Stuhl n?her und beugte sich etwas vor, so da? er gerade vor ihr sa?.
Sie fühlte, nun kam es.
Fast scherzend begann er.
"Ich glaube, du langweilst dich, Clara."
"Ach ja, ich langweile mich--" seufzte sie.
"Nun, so solltest du dir T?tigkeit suchen--"
Sie antwortete nicht. Er l?chelte unmerklich und fuhr fort: "Oder aber Zerstreuung--"
Da sah sie auf und richtete ihre schwimmenden Augen auf ihn.
"Zerstreuung--aber wie?--Was gibt es hier für Zerstreuung?"
"Reise."
"Reisen--ich kann ja nicht, er hat ja nie Zeit."
"Wer?"
"Nun, er, mein Mann."
"Daran dachte ich nicht. Ich meinte natürlich, du solltest allein reisen."
"Allein?!" wiederholte sie mit dem Ausdruck des Erstaunens, des Erschreckens. "Wie kann eine verheiratete Frau allein, ohne ihren Mann, reisen?"
"Weshalb kann denn eine verheiratete Frau nicht allein, ohne ihren Mann, reisen?" Unwillkürlich brauchte er dieselben Worte wie sie. Aber es geschah ganz ohne spottende Absicht.
Er wartete auf ihre Antwort. Sie wich ihm aus.
"Ja, ich wei?, da? du so seltsame Ansichten über die Ehe hast. Wie hei?t doch dein Buch darüber?--Eine Freundin--die Frau von Redlich, du kennst sie nicht, sie sind erst drei Jahre hier, der Mann ist Hauptmann--ja, sie hat es mir gesagt. Sie wollte mir auch das Buch leihen, sie hat es mir ganz fest versprochen, aber sie hat es mir immer noch nicht gebracht, denn sie mu? erst den Professor Hastrich vom Gymnasium fragen, dem geh?rt es . . ."
Grach hatte Mühe, nicht loszulachen.
Da? man ein Buch auch kaufen k?nne, war dieser Frau offenbar noch nicht bekannt, und sie, die gewohnt war, auf Damast zu schlafen und von silbernen Schüsseln zu speisen, scheute sich nicht, die schmutzigsten Leihbibliotheksb?nde durch ihre wei?en H?nde gleiten zu lassen. Auf dem Tische vor ihm lagen einige Exemplare dieser Art.
Die Sonne brannte durch die Bl?tter der Laube. Ihre Glut hatte die h?chste H?he erreicht. Ihn dürstete. Er bat um etwas Wein und Wasser. W?hrend der Diener es brachte, schwiegen sie. Da sie sah, da? er nicht antwortete, sagte sie: "K?nntest du mir nicht sagen, was du in deinem Buche geschrieben hast über die Ehe, nur ganz kurz --ich komme so selten dazu, ein Buch zu lesen--"
Er beugte sich wieder zu ihr hin.
"Ich glaube, da? es so viel verschiedene Neigungen und Bedürfnisse gibt, als es Menschen gibt, und ich wünsche, da? jeder Mensch diesen seinen Neigungen ungest?rt nachlebe, aus dem einfachen Grunde, um selbst ungest?rt den meinen folgen zu k?nnen.
Ich ma?e mir nicht an, die Menschen zu verstehen. Wir verstehen überhaupt wenig von einander. Aber frech greifen wir t?glich und stündlich in das Leben unserer Mitmenschen ein, unter dem lügenhaften Vorgeben, ihnen helfen zu wollen. Ich m?chte, da? ein jeder nach seiner Fa?on glücklich werde hier auf der Erde.
So ungef?hr ist der Grundgedanke meines Buches. Du hast es nicht gelesen; ich mu?te ihn dir daher schnell herzeichnen.
Wovon man dir aber wahrscheinlich erz?hlt haben wird, das ist das Kapitel, welches ich 'Die Menschen der Ehe' betitelt habe. Ohne irgendwie zu klassifizieren oder zu schematisieren, habe ich in ihm die Frage gestellt, ob es nicht einen gr??eren Teil Menschen g?be in unserer Zeit, auf welche diese Bezeichnung mit Recht sich anwenden lie?e; Menschen der Enge im Gegensatz zu den Menschen der Weite; Menschen, die nie in Konflikt kommen mit ihrer Umgebung, da sie alle Geschicke--alle, die aus der Menschen H?nde kommen--als von Gott ihnen auferlegt betrachten; Menschen der kleinen Zufriedenheit, die ihr Glück finden in den Winkeln des Tages, immer an dem einen Tische und immer an derselben Brust: Menschen, die nicht wissen, was es hei?t, ein Versprechen auf Lebenszeit zu geben, weil sie nicht wissen, was es hei?t: zu leben; Menschen der Stagnation, nicht Menschen der Bewegung; Nummern, aber Nummern, welche zu Zahlen werden, und welche ich deshalb hasse!--
Menschen der Gew?hnlichkeit!--Menschen der Ehe!--"
Er hatte fast langsam, mit Ruhe und ohne ?u?ere Leidenschaft gesprochen.
Aber w?hrend er sprach, hatte er vergessen, zu wem er sprach.
Als er geendet hatte und es merkte, verdro? es ihn.
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