Die Menschen der Ehe | Page 7

John Henry Mackay
gewesen war, der die Knospe dieser Blüte mit dem ersten Kusse geweckt hatte.

X.
Ihre Sch?nheit hatte alles gehalten, was sie versprochen. Schon als Kind war sie gradezu auffallend gewesen, obwohl dieses Kind weder grazi?s und fein, noch von irgendwie eigenartigem Liebreiz gewesen war. Aber das blonde Haar konnte heute kaum reicher sein, als es damals gewesen war, und der feuchte Glanz dieser blauen Augen, der ihm heute nur ein Zeichen trübseliger Langeweile schien, war ihm und anderen--denn die halbe Klasse war in sie verliebt--damals schw?rmerische Idealit?t und echt weibliches Hingebungsbedürfnis gewesen.
Nicht für lange.
Aber es gab eine kurze Zeit in seiner Jugend--es war zwei Jahre vor ihrer Trennung--, da war ihm das st?ndige Zusammenleben mit seiner Halbschwester unter den blinden Augen der Mutter sehr gef?hrlich geworden.
Seine Sinne erwachten und verlangten nach ihr. Ihre best?ndige N?he brachte sie in Aufruhr und hielt sie wach.
Den ganzen Sommer hindurch verbrachte er in qualvoller Aufregung, in einem best?ndigen Zwiespalt, der seiner energischen Natur schwerer zu ertragen war als alles andere.
Sie war ihm gleichgültig. Alles, was sie sprach, lie? ihn kalt. Ihr Benehmen gegen ihre Mutter emp?rte ihn mehr als je, wenn er sich auch niemals t?tlich darum kümmerte, was zwischen diesen beiden Personen vorging. Ihr Kokettieren mit seinen Kameraden, die sich über das eitle M?dchen lustig machten, fand er l?cherlich--und doch besch?ftigte sie ihn. Er tr?umte von ihr. Er glaubte sie in den Armen zu halten. Er haschte nach ihrer Hand, wenn sie allein waren, und er war ruhiger, wenn sie ihm dieselbe nicht entzog. Er war ?fter um sie, als je zuvor. Die Mutter freute sich darüber, da? das sonst so kühle Verh?ltnis zwischen Schwester und Bruder sich besserte.
Eine unheimliche Glut ging von ihr aus, die ihn wahnsinnig machte. Tage konnten vergehen, ohne da? sie ihm gef?hrlich war, aber dann kam immer wieder eine Stunde, in der er von ihrer Seite aufspringen mu?te, weil er es nicht mehr ertragen konnte, sie zu sehen, ohne sie an sich zu rei?en.
Er fürchtete sich vor sich selbst; aber vor ihr graute ihm.
Ein sp?ter Abend brachte die Erl?sung. Sie sa?en zusammen in der Laube bei einer trübe brennenden Lampe. Die Mutter hatte sich g?hnend und seufzend zur Ruhe begeben.--Es war ein Abend voll wunderbarer Weichheit der Luft. Der Glanz der Sterne war feucht und tief.
Sie wagte es zu bleiben. Sie spielte mit dem Feuer in verzehrender Neugier.
Er las in einem Buche und hielt den Kopf gesenkt, um sie nicht ansehen zu müssen. Er hatte noch zu lernen und glaubte, sie würde gehen.
Sie aber ging nicht, sondern beugte sich noch weiter vor, mit ihrer weichen Stimme, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, eine gleichgültige Frage stellend.
Fast berührten sich ihre Stirnen. Da ri? er ihren Kopf mit einer j?hen Bewegung an sich und bedeckte ihr Gesicht mit unz?hligen Küssen: er kü?te ihre Augen, ihre Wangen, ihren Mund, ihren Hals.
Sie wehrte sich, aber nur schwach. W?hrend sie sich indessen--ein halb ernstliches, halb freudiges Erschrecken heimlich überwindend-- in der Ueberlegenheit der Frau fragte, ob sie ihn gew?hren lassen solle, fühlte sie, wie er sie pl?tzlich loslie? und von sich stie?.
Wenn sie oft nachher--nachdenklich über diese j?he Ver?nderung seines Wesens in dieser Minute--sich einbilden wollte, es sei ein moralischer Antrieb gewesen, der ihn so pl?tzlich von ihr gerissen, so irrte sie sich v?llig.
Ein Duft war von ihr ausgegangen, als er an ihren Lippen hing, und in ihren Haaren wühlte, der ihn pl?tzlich ernüchtert hatte. Derselbe Duft, der ihn bet?ubt hatte in der Ferne und ihn angezogen, stie? ihn ab, als er in n?chster N?he auf seine Sinne wirkte. Es war direkter Widerwille, der ihn erfa?te--unerkl?rlich, aber zwingend.
Eben noch über alles begehrenswert, war sie ihm jetzt so gleichgültig, wie nur je zuvor.
Hurtig raffte er seine Bücher zusammen und eilte mit einem schnellen "Gute Nacht!" in das Haus.
Sie sah ihm nach und verstand ihn nicht.
Ihr Zauber war v?llig gebrochen.
Sie merkte es sofort am n?chsten Tage.
Sie bot viel auf, um ihn wieder zu gewinnen. Aber nichts mehr gelang ihr.
Im Laufe der n?chsten beiden Jahre, in denen sie wieder nebeneinander herlebten, verga?en sie fast die Szene dieses Abends.
Auch er wurde ihr gleichgültig.
Sie dachte bereits an ihren zukünftigen Gatten, wenn sie die M?nner sah, die sich um ihre Sch?nheit dr?ngten.
Sie w?hlte sich einen der ?ltesten unter ihnen und fast den reichsten.
An ihren Halbbruder dachte sie erst wieder, als die Langeweile ihrer Tage sie nach neuen Sensationen suchen lie?, und die Neugierde neue Nahrung für ihre klatschhafte Zunge verlangte.

XI.
Der Zauber war gebrochen.
Sie war ihm nur noch eine Studie, wie sie dort vor ihm sa?--: die kleinen Fü?e in den eleganten Schuhen vorgestreckt, ermüdet durch Nichtstun, scherzend, lieb?ugelnd mit der Wohlhabenheit ihrer Umgebung, denn sie fand, da? er es doch wenig weit gebracht hatte, seiner einfachen, fast unmodernen Kleidung nach zu schlie?en.
Doch sie begann es zu merken, da? auch er sie beobachtete, obwohl er sie nicht ansah und offenbar nicht
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 22
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.