Die Menschen der Ehe | Page 9

John Henry Mackay
Seit so langer Zeit war er gewohnt, zu sprechen, wie er wirklich dachte, so da? er es verlernt hatte, seine Gedanken zu modeln nach dem Ohr seiner Zuh?rer.
Es h?tte ihn nicht zu verdrie?en brauchen. Denn er hatte zu tauben Ohren gesprochen.
"Verzeih," sagte er--er glaubte, sehr lange gesprochen zu haben-- "verzeih, da? ich so lange sprach. Ich m?chte nicht mi?verstanden werden in dem, was ich dir jetzt sagen mu?."
Wieder zwang er sie, ohne es zu wollen, zu err?ten. Er hatte bis jetzt kaum den Mund aufgetan, sie hatte unaufh?rlich geplappert--: er bat sie um Entschuldigung.
Sie begann ihn zu hassen.
Verstanden hatte sie kaum etwas von dem, was er gesagt hatte. Sie hatte ihm fast so wenig zugeh?rt, wie er ihr. Ihre Gedanken waren jetzt damit besch?ftigt, wie sie ihn auf die beste Manier loswerden k?nne.
Für sie gab es keine bedeutenden und unbedeutenden Menschen. Für sie gab es nur Menschen, die ihr zuh?rten. Und die M?nner zumal! Von denen war sie ja gar nichts anderes gewohnt, als da? sie ihr zu Fü?en lagen.
Daher beleidigten sie diese Ruhe und Sicherheit.
"Ach, ich bin sehr unglücklich!" rief sie und deckte mit den H?nden die Augen. "Ich wei? nicht, was ich tun soll . . ."
Es war ihr zweites Mittel, mit diesem Manne fertig zu werden. Ihr drittes und letztes waren die Tr?nen. Aber zu diesem wollte sie erst greifen, wenn alle anderen ersch?pft waren.
"Ja, Clara, wenn du nicht wei?t, was du tun sollst, wer soll es dann wissen?"
Sie sah ihn an mit ihren hellen Augen, wie ein hilfloses Kind.
"Du bist doch hergekommen, um mir zu helfen."
Er stand auf. Diese Frau verstand nichts, sie konnte und wollte nichts verstehen.
Er mu?te sie zwingen, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen, vor denen sie floh, feig, jammernd und haltlos.
Er blieb vor ihr stehen.
"Nach deinem Briefe mu?te ich annehmen, da? du den unwiderruflichen Entschlu? gefa?t hattest, dich von deinem Manne auf immer zu trennen, da du ein Weiterleben mit ihm als unm?glich erkannt hast. In der Ausführung dieses Entschlusses, dir zu helfen, bin ich hergekommen, nicht aber, um dich in deinen Entschlüssen zu beeinflussen. Und auch nicht, wie du dir vorhin glauben zu machen suchtest, um diese Stadt, die mir ganz uninteressant ist, und alte Bekannte, von denen ich nichts mehr wei?, und die nichts mehr von mir wissen wollen, wiederzusehen, oder auf eure B?lle und in eure Gesellschaften zu gehen, denn ich verkehre überhaupt nicht in bürgerlichen Kreisen.--Meine Zeit ist sehr bemessen--"
Er ging hastig umher. Sie fürchtete sich vor ihm.
"Aber du hast mich gerufen mit dem Schrei nach Hilfe. L??t man den Sinkenden vor seinen Augen untergehen, wenn man seine verzweifelnde Stimme vernimmt? Und wenn"--so unterbrach er sich unwillkürlich l?chelnd--"ich dich auch nicht auf dem offenen Meere k?mpfen sah, so sah ich dich doch ringen mit der trüben Flut dieses--Teiches."
Er wurde w?rmer.
"Deine verstorbene Mutter ist sehr gut gegen mich gewesen. Sie hat mir, dem Verwaisten, ein Dach und einen Tisch geboten viele Jahre lang. Und dann haben wir beide unsere Jugend nebeneinander verlebt, wenn auch nicht miteinander. Das vergi?t sich nicht so leicht. Darum bin ich gekommen, nur darum."
Er hatte eine Rose vom Strauch gerissen und zerstreute w?hrend des Sprechens ihre Bl?tter achtlos umher.
"Wie er die Blume behandelt!"--dachte sie. Sie hatte nur noch einen Wunsch: diese erbarmungslos klare und schneidende Stimme nicht mehr zu h?ren. Aber diese Stimme klang weiter.
"Ich komme hierher in dem festen Glauben, dich bereit zu finden, den entscheidenden Schritt zu tun. Ich finde dich v?llig schwankend, ohne jeden Entschlu?--sage mir doch, weshalb du mich eigentlich gerufen hast?"--
Sie sah sich bis auf den letzten Punkt gedr?ngt und verlie? ihn, um sich zu retten, indem sie zum Angriff überging.
"Du sprichst so viel", klagte sie, "von den Mi?st?nden in der Ehe. Willst du mir nicht sagen, wie du dir denn die Ehe denkst?--Wenn du etwas beseitigen willst, so mu?t du doch etwas anderes an dessen Stelle setzen k?nnen."
Diesen letzten Satz hatte sie einmal irgendwo geh?rt, und er d?uchte ihr gut und passend, um ihn jetzt anzuwenden. Kein Weib ist ganz ohne Schlauheit. Auch sie war es nicht.
Grach antwortete sofort.
"Ich kenne nur ein Verh?ltnis wie zwischen Mensch und Mensch, so zwischen Mann und Weib, das ich würdig nenne: das auf gegenseitiger Unabh?ngigkeit beruhende; denn es ist zugleich das einzige, das die gegenseitige Achtung erm?glicht. Der Herr verachtet den Knecht, und der Knecht ha?t den Herrn."
Mit verst?ndnislosen Augen sah sie vor sich hin.
"Und in der Ehe?"--fragte sie unsicher.
"Bemitleidet der Mann heimlich die Frau, w?hrend die Frau ihn heimlich bel?chelt."
Verstohlen blickte sie ihn von der Seite an.
Woher wei? er das?--war ihr erster Gedanke.
"Es gibt doch so viele glückliche Ehen--"
"Wie viele kennst du?"
"Nein--, aber--"
"Nun, ich leugne es. Es gibt verschwindend wenige. Was Glück genannt wird, ist Zufriedenheit. Und was Zufriedenheit scheint, ist nur Gew?hnung jene Gew?hnung der schw?chlichen Ohnmacht, die davor zurückschaudert, Ketten zu brechen, und in feiger Nachgiebigkeit Schritt für Schritt zurückweicht,
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