Die Menschen der Ehe | Page 6

John Henry Mackay
Fassung und Würde gebracht durch den energischen Ton des Besuchers.
"Dann werde ich Frau Boehmer selbst im Garten aufsuchen. Wo ist der Garten?"
Der Diener wagte keine Einwendung mehr. Er warf seine Schürze fort und ging voran.
"Hier, bitte."
Sie durchschritten hohe und kühle G?nge, über gro?e Steinfliesen hin, mit denen der Boden belegt war, vorbei an breiten und vornehmen alten Treppen, deren Stufen niedrig und deren Gel?nder mit wei?er, sauberer Oelfarbe gestrichen waren.
Dann ?ffneten sich die Terrassen der G?rten vor ihnen, die da lagen: still, wie im Schlummer, in der brütenden Nachmittagssonne, weite Blicke in das Tal nach Osten und Westen er?ffnend, wo die Schlote qualmten und das Leben h?mmerte.
Von wohlgepflegten, üppigen Beeten stiegen die Düfte von reifen Blüten empor. Der Kies der geharkten Wege war so fein, da? er die Tritte der Hinschreitenden lautlos aufnahm.
"Ich habe mich anders besonnen," sagte der Fremde pl?tzlich, "gehen Sie voran und melden Sie Frau Boehmer, ein Herr wünsche sie zu sprechen."
Der Diener versagte es sich jetzt nicht, mit den Achseln zu zucken, aber er ging.
Vor einem Tulpenbeet blieb Grach z?gernd stehen und sah nachdenkend in die purpurnen, weitge?ffneten Kelche nieder.

IX.
Der Diener kam zurück.
"Gn?dige Frau lassen bitten--" schnarrte er.
Aus einer Laube im Hintergründe des Gartens schimmerte ein wei?es Kleid.
Dort, in einem Modejournal bl?tternd, das sie sichtlich unlustig bei Seite warf, lag in einen Schaukelstuhl hingestreckt eine junge Frau von ungew?hnlicher Sch?nheit.
Sie blinzelte dem N?hertretenden zu, aber sie machte keine Miene, sich zu erheben.
Erst als er ihr die Hand hinstreckte und l?chelnd sagte: "Ich habe deinen Brief erhalten, Clara, und bin selbst gekommen, ihn zu beantworten"--sprang sie mit einem Ruf der Ueberraschung in sichtlicher Verlegenheit auf.
"Nein, wie du dich ver?ndert hast, Franz!" rief sie ein paar Mal; dann aber, nachdem sie sich gesetzt hatten, und w?hrend sie ihn mit jener prüfenden Neugier, die nur der Frau eigen ist, musterte, folgte ein Schwall von Fragen, deren Antworten nicht abgewartet wurden, weil sie gestellt waren, ohne da? der Verstand sich etwas bei ihnen dachte und das Herz das Geringste bei ihnen fühlte.
Bei dem ersten Wort, das sie gesprochen, merkte er, da? diese Frau geistig um keinen Schritt weitergerückt war und--ganz wie früher-- h?rte er gutmütig und geduldig eine Zeit lang ihrer Neugierde zu, beantwortete kaum etwas, und begnügte sich damit, hier und da mit einem Ja oder Nein, oder h?chstens einem kurzen Wort sein Schweigen zu unterbrechen.
So kam es, da? sie ihn nach einer halben Stunde nach allem gefragt, aber nichts von ihm erfahren hatte. Sp?ter pflegte sie sich dann darüber zu beklagen, da? sie allen Menschen alles, keiner aber ihr etwas erz?hle.
Dann fiel ihr ein, da? sie noch nicht wu?te, wo er abgestiegen war --:
"Du wirst doch bei uns wohnen, Franz?--gewi?, nicht wahr?"
Sie hatte bisher vermieden, ihn voll anzusehen, nun aber begegneten sich ihre Augen. Sie err?tete leicht, als sie seine Antwort vernahm.
"Unter diesen Umst?nden?"--sagte er ernst und fragend zugleich.
Als sie nun, die H?nde erst abwehrend von sich streckend, dann sie vor dem Gesicht zusammenschlagend in gemachtem Schmerze, in ihren Schaukelstuhl zurücksank, h?tte er hundert gegen eins wetten m?gen, da? sie sich erst in diesem Augenblicke genauer dessen erinnerte, was sie ihm geschrieben . . .
Sie kam nicht auf ihre Frage zurück. Ihre Gedanken weilten bereits bei anderem.
"O la? uns jetzt noch nicht davon sprechen, von meinem Unglück--du bleibst doch l?nger hier, nicht wahr?--Einige Tage, einige Wochen . . . Du mu?t doch alle wiedersehen, deine alten Freunde und Schulkameraden, denke dir, die kleine Ehrling, neben der ich in der Schule sa? und die so oft zu uns kam--du mu?t dich doch erinnern?-- hat einen Landgerichtsrat geheiratet und schon drei Kinder, und dein dicker Freund Rempe, der mit den vielen Schmissen--doch das wei?t du nicht, du kanntest ihn ja nur auf der Schule, und da schl?gt man sich noch nicht, ja, was wollte ich sagen . . . ja, der dicke Rempe hat die reiche Krüger gekriegt, die mit den Simpelfranzen und den seidenen Kleidern. Ach ja, es hat sich viel ver?ndert hier--"
Sie scheute sich, ihn wieder zu fragen, denn sie fürchtete seinen Blick, seine ernste, fast harte Stimme, mit welcher er eben gesagt hatte: "Unter diesen Umst?nden?"--
Und so sprach sie weiter: Von dem langen Lenz, der sich "--ach ja, das war es ja, was ich sagen wollte--" wegen einer Frau habe schie?en müssen und eine Kugel in den Unterleib bekommen habe; von den Schicksalen der gro?en Familie Neuhaus, wo so viele S?hne gewesen seien--einer habe sich vergiftet, und der andere sei nach Amerika, denn der Vater sei so hart, aber es sei doch ein rechtes Elend, wenn die S?hne ihren Eltern nicht folgten; und von--und von --und immer so weiter, ein seichtes, unerquickliches Geschw?tz, das den Zuh?rer bet?ubte, ?ngstigte und seine Nerven folterte.
Der h?rte zuletzt überhaupt nicht mehr hin. W?hrend sie so vor ihm sa?, in der üppigen Sch?nheit einer reiferen Frau, dachte er daran, da? er es
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