Die Menschen der Ehe | Page 5

John Henry Mackay
ungek?mmten und ungewaschenen Weibe.
Grach lie? seine Blicke überall hin gehen. Eigentümlich ver?ndert schien ihm alles--: fremd und doch bekannt. Aber alles war kleiner geworden, zusammengeschrumpft und, wie alte Leute, in sich zusammengesunken.
Gr??er sieht das Kind die Welt, kleiner sieht sie der Mann.
Vor den L?den lungerten die Kommis, an den Brunnen standen die M?gde und schrieen sich an. Warum schrieen sie so laut? Stritten sie sich? Nein, es war nur eine "gemütliche Unterhaltung". Aber dieser Dialekt war breit, geeignet nur zu einem lauten Sprechen, und schwer verst?ndlich für den Fremden. Grach bemühte sich, Worte und S?tze der Vorübergehenden aufzufangen und verstand meist, was sie sagten. Hatte er selbst früher so gesprochen?
Und wie die Menschen sich grü?ten! Mit be?ngstigender Sorgfalt übersp?hten sie die Stra?e, knickten, den Arm nach ausw?rts in einem spitzen Winkel und zogen oder rissen dann den Hut herab, entweder steil in die Luft hinaus oder hinunter bis fast auf den Boden. "Ihr Diener", sagten sie dabei, "Ihr Diener"--und ein langer Titel folgte.
Die unverhüllte Neugier, mit der die Menschen ihn an- und ihm nachsahen, begann Grach zu ?rgern. Ihre Blicke wurden ihm l?stig, und er bildete sich ein, von ihnen erkannt werden zu müssen. Er hatte vergessen, da? kein Fremder diesen Blicken entging.
Er ging schneller. Diese Nebenstra?e mu?te über die Brücke nach dem jenseitigen Ufer führen. Er schlug sie ein.
Eine junge Dame kam ihm entgegen. Sittsam die Blicke zu Boden gesenkt, den Schirm in der L?nge einer kleinen Ulanenlanze gegen die Brust gedrückt, eingeschnürt und aufgeputzt mit B?ndern und Bauschen, trippelte sie daher, und gegen seinen Willen mu?te er lachen, erst heimlich, dann herzlich und offen.
So war, genau so war schon damals alles gewesen: diese ?ngstliche Unsicherheit im Verkehr, diese feige Rücksichtnahme auf tausend und abertausend in Watte sorgsam gehegter Vorurteile, diese engbrüstige Steifheit, die pappedeckelne Würde--wie kannte er das alles, wie erkannte er das alles wieder!
Und über all dies lachte er, hatte er gelernt zu lachen.
Und abermals lachte er, als er über die Brücke ging, die alte Brücke, und sah, da? alle Scheiben in den Gaslaternen heil und unverletzt waren.
Wie, wurden sie nicht mehr geschlagen, die Schlachten der Ehre?-- War Waffenstillstand zwischen den ersch?pften Schwestern geschlossen?--Oder aber--war Vers?hnung--Friede--aber nein, es war ja Wahnsinn, daran zu denken! . . .
Eine komische Stadt! Eine komische, kleine Stadt! murmelte Grach vor sich hin.

VII.
Auf hohen Terrassen erhob sich vor ihm das "Schlo?", ein massives, altes Geb?ude mit vielen Anbauten aus neuerer Zeit. Uralter Efeu hing an den Mauern nieder, von einem Garten in den anderen, bis er die D?cher der H?user an ihrem Fu?e fast berührte.
Das Schlo? hatte keine Bestimmung mehr. Seine einzelnen Stockwerke mit ihren vielen Flügeln und unz?hligen Zimmern waren an einige Familien vermietet, an die reichsten der "Alldahiesigen" und "Hiesigen", welche keine eigenen H?user besa?en.
Der Fremde, der hier nicht fremd war, stieg langsam den steilen Weg hinauf, der an der alten, düsteren Kirche--sie stand in seltsamen unterirdischen G?ngen, die l?ngst verschüttet waren, mit dem Schlosse in Verbindung--zu dem weiten, totenstillen Platze hinauf, der die Flügel des Schlosses gleichsam bis an die R?nder der Anh?he auseinandergedehnt hatte. Gras, das eine glühende Sonne gelb sengte, wucherte hier zwischen den plumpen, unregelm??igen Pflastersteinen; nie spielte hier die Jugend der Stadt, auf diesem weiten Platze, der wie geschaffen war zum Umhertummeln. Zuweilen nur bewegte sich eine der wei?en Gardinen hinter den hohen Fenstern, und ein behaubter Kopf lugte zwischen ihnen durch, um bald wieder zu verschwinden, denn die leere Oede dieses weiten Raumes wurde selten unterbrochen durch eine Gestalt, die ihren Weg über ihn hinweg nahm, um die andere Seite zu erreichen. Die meisten gingen an den langen Fluchten entlang, um pl?tzlich in einer der Türen zu verschwinden, ?fter w?hrend des Tages, in den Nachmittagsstunden geschah es, da? Wagen-- moderne, elegante Geschirre mit vortrefflichen Pferden--an den Toren hielten.
Und wieder mu?te Grach l?cheln, als er diesen weiten, toten Platz überschritt, auf dem die Sonne ungest?rt die Spiele ihrer Schatten trieb, den er als Kind nie betreten hatte und von dem er nie geglaubt h?tte, da? er ihn je betreten würde.
Aber hier mu?te sie--der Adresse in ihrem Briefe nach--jetzt wohnen.
Er ging langsam. Und doch war er neugierig geworden auf das Wiedersehen. So lange war es her, da? er keine Blicke mehr in das Heimwesen deutschen Bürgertums getan hatte. Er ein Fremder--und alles ihm fremd geworden, was von dorther kam . . .

VIII.
Er klingelte an der Tür, von welcher er glaubte, da? es die richtige sei.
Schrill hallte der Klang der Glocke. Dann kamen schlürfende Schritte, und ein Diener in Livree, aber mit vorgebundener blauer Schürze, ?ffnete. Es war keine Besuchsstunde. Aber das war dem Fragenden jetzt natürlich ganz gleichgültig.
"Ist Frau Boehmer zu Hause?"
"Wen darf ich melden?"
"Ist Frau Boehmer zu Hause?" wiederholte er noch einmal.
"Ja--aber--ich wei? nicht--gn?dige Frau--"
"Sagen Sie ihr, ein Herr wünsche sie zu sprechen."
"Gn?dige Frau sind im Garten. Ich werde ihr melden--"
Der Diener war v?llig au?er
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