Die Leute von Seldwyla, vol 1 | Page 8

Gottfried Keller
nach und nach meine Erlebnisse im einzelnen vorsagen werde. Für heute will ich euch aber nur einige Umrisse angeben, soviel als n?tig ist, um auf den Schlu? zu kommen, n?mlich auf meine Wiederkehr und die Art, wie diese veranla?t wurde, da sie eigentlich das rechte Seitenstück bildet zu meiner ehemaligen Flucht und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich damals auf so schn?de Weise entwich, war ich von einem unvertilgbaren Groll und Weh erfüllt; doch nicht gegen euch, sondern gegen mich selbst, gegen diese Gegend hier, diese unnütze Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies ist mir seither erst deutlich geworden. Wenn ich haupts?chlich immer des Essens wegen b?s wurde und schmollte, so war der geheime Grund hiervon das nagende Gefühl, da? ich mein Essen nicht verdiente, weil ich nichts lernte und nichts tat, ja weil mich gar nichts reizte zu irgendeiner Besch?ftigung und also keine Hoffnung war, da? es je anders würde; denn alles was ich andere tun sah, kam mir erb?rmlich und albern vor; selbst euer ewiges Spinnen war mir unertr?glich und machte mir Kopfweh, obgleich es mich Mü?igen erhielt. So rannte ich davon in einer Nacht in der bittersten Herzensqual und lief bis zum Morgen, wohl sieben Stunden weit von hier. Wie die Sonne aufging, sah ich Leute, die auf einer gro?en Wiese Heu machten; ohne ein Wort zu sagen oder zu fragen, legte ich mein Bündel an den Rand, ergriff einen Rechen oder eine Heugabel und arbeitete wie ein Besessener mit den Leuten und mit der gr??ten Geschicklichkeit; denn ich hatte mir w?hrend meines Herumlungerns hier alle Handgriffe und übungen derjenigen, welche arbeiteten, wohlgemerkt, sogar ?fter dabei gedacht, wie sie dies und jenes ungeschickt in die Hand n?hmen und wie man eigentlich die H?nde ganz anders mü?te fliegen lassen, wenn man erst einmal ein Arbeiter hei?en wolle.
?Die Leute sahen mir erstaunt zu und niemand hinderte mich an meiner Arbeit; als sie das Morgenbrot a?en, wurde ich dazu eingeladen; dieses hatte ich bezweckt und so arbeitete ich weiter, bis das Mittagessen kam, welches ich ebenfalls mit gro?em Appetit verzehrte. Doch nun erstaunten die Bauersleute noch viel mehr und sandten mir ein verdutztes Gel?chter nach, als ich, anstatt die Heugabel wieder zu ergreifen, pl?tzlich den Mund wischte, mein Bündelchen wieder ergriff und ohne ein Wort weiter zu verlieren, meines Weges weiterzog. In einem dichten kühlen Buchenw?ldchen legte ich mich hin und schlief bis zur Abendd?mmerung; dann sprang ich auf, ging aus dem W?ldchen hervor und guckte am Himmel hin und her, an welchem die Sterne hervorzutreten begannen. Die Stellung der Sterne geh?rte auch zu den wenigen Dingen, die ich w?hrend meines Mü?igganges gemerkt, und da ich darin eine gro?e Ordnung und Pünktlichkeit gefunden, so hatte sie mir immer wohlgefallen, und zwar um so mehr, als diese gl?nzenden Gesch?pfe solche Pünktlichkeit nicht um Taglohn und um eine Portion Kartoffelsuppe zu üben schienen, sondern damit nur taten, was sie nicht lassen konnten, wie zu ihrem Vergnügen, und dabei wohl bestanden. Da ich nun durch das allm?hliche Auswendiglernen unsres Geographiebuches, so einfach dieses war, auch auf dem Erdboden Bescheid wu?te, so verstand ich meine Richtung wohl zu nehmen und beschlo? in diesem Augenblick, nordw?rts durch ganz Deutschland zu laufen, bis ich das Meer erreichte. Also lief ich die Nacht hindurch wieder acht gute Stunden und kam mit der Morgensonne an eine wilde und entlegene Stelle am Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korns?cken beladenes Schiff an einer Untiefe aufstie?, indessen doch das Wasser über einen Teil der Ladung wegstr?mte. Da sich nur drei M?nner bei dem Schiffe befanden und weit und breit in dieser Frühe und in dieser Wildnis niemand zu ersehen war, so kam ich sehr willkommen, als ich sogleich Hand anlegte und den Schiffern die schwere Ladung ans Ufer bringen und das Fahrzeug wieder flottmachen half. Was von dem Korne na?geworden, schütteten wir auf Bretter, die wir an die Sonne legten, und wandten es flei?ig um, und zuletzt beluden wir das Schiff wieder. Doch nahm dies alles den gr??ten Teil des Tages weg, und ich fand dabei Gelegenheit, mit den Schiffsleuten unterschiedliche tüchtige Mahlzeiten zu teilen; ja, als wir fertig waren, gaben sie mir sogar noch etwas Geld und setzten mich auf mein Verlangen an das andere Ufer über mittelst des kleinen K?hnchens, das sie hinter dem gro?en Kahne angebunden hatten.
Drüben befand ich mich in einem gro?en Bergwald und schlief sofort bis es Nacht wurde, worauf ich mich abermals auf die Fü?e machte und bis zum Tagesanbruch lief. Mit wenig Worten zu sagen: auf diese n?mliche Art gelangte ich in wenig mehr als zwei Monaten nach Hamburg, indem ich, ohne je viel mit den Leuten zu sprechen, überall des Tages zugriff, wo sich eine Arbeit zeigte, und davonging, sobald ich ges?ttigt war, um die Nacht hindurch wiederum zu wandern. Meine Art überraschte die Leute immer, so da? ich

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