Die Leute von Seldwyla, vol 1 | Page 9

Gottfried Keller
niemals einen Widerspruch fand, und bis sie sich etwa widerhaarig oder neugierig zeigen wollten, war ich schon wieder weg. Da ich zugleich die St?dte vermied und meinen Arbeitsverkehr immer im freien Felde, auf Bergen und in W?ldern betrieb, wo nur ursprüngliche und einfache Menschen waren, so reisete ich wirklich wie zu der Zeit der Patriarchen. Ich sah nie eine Spur von dem Regiment der Staaten, über deren Boden ich hinlief, und mein einziges Denken war, über eben diesen Boden wegzukommen, ohne zu betteln oder für meine n?tige Leibesnahrung jemandem verpflichtet sein zu müssen, im übrigen aber zu tun, was ich wollte, und insbesondere zu ruhen, wenn es mir gefiel, und zu wandern, wenn es mir beliebte. Sp?ter habe ich freilich auch gelernt, mich an eine feste au?er mir liegende Ordnung und an eine regelm??ige Ausdauer zu halten, und wie ich erst urpl?tzlich arbeiten gelernt, lernte ich auch dies sogleich ohne weitere Anstrengung, sobald ich nur einmal eine erkleckliche Notwendigkeit einsah.
übrigens bekam mir dies Leben in der freien Luft, bei der steten Abwechslung von schwerer Arbeit, tüchtigem Essen und sorgloser Ruhe vortrefflich und meine Glieder wurden so geübt, da? ich als ein kr?ftiger und rühriger Kerl in der gro?en Handelsstadt Hamburg anlangte, wo ich alsbald dem Wasser zulief und mich unter die Seeleute mischte, welche sich da umtrieben und mit dem Befrachten ihrer Schiffe besch?ftigt waren. Da ich überall zugriff und ohne albernes Gaffen doch aufmerksam war, ohne ein Wort dabei zu sprechen, noch je den Mund zu verziehen, so duldeten die einsilbigen derben Gesellen mich bald unter sich und ich brachte eine Woche unter ihnen zu, worauf sie mich auf einem englischen Kauffahrer einschmuggelten, dessen Kapit?n mich aufnahm unter der Bedingung, da? ich ihm in seinem Privatgesch?fte helfe, das er w?hrend seiner Fahrten betrieb. Dieses bestand n?mlich im Zusammensetzen und Herstellen von allerhand Feuerwaffen und Pistolen aus alten abgenutzten Bestandteilen, die er in gro?er Menge zusammenkaufte, wenn er in der Alten Welt vor Anker ging. Es waren seltsame und fabelhafte Todeswerkzeuge, die er so mit schrecklicher Leidenschaft zusammenfügte und dann bei Gelegenheit an wilden Küsten gegen wertvolle Friedensprodukte und sanfte Naturgegenst?nde austauschte. Ich hielt mich still zu der Arbeit, übte mich ein und war bald über und über mit ?l, Schmirgel und Feilenstaub beschmiert als ein wilder Büchsenmacher, und wenn ein solches Pistolengeschütz notdürftig zusammenhielt, so wurde es mit einem starken Knall probiert; doch nie zum zweitenmal, dieses wurde dem roth?utigen oder schwarzen K?ufer überlassen auf den entlegenen Eilanden. Diesmal fuhr er aber nur nach Neuyork und von da nach England zurück, wo ich, der Büchsenmacherei nun genugsam kundig, mich von ihm entfernte und sogleich in ein Regiment anwerben lie?, das nach Ostindien abgehen sollte.
In Neuyork hatte ich zwar den Fu? an das Land gesetzt und auf einige Stunden dies amerikanische Leben gesehen, welches mir eigentlich nun recht h?tte zusagen müssen, da hier jeder tat, was er wollte, und sich g?nzlich nach Bedürfnis und Laune rührte von einer Besch?ftigung zur andern abspringend, wie es ihm eben besser schien, ohne sich irgendeiner Arbeit zu sch?men, oder die eine für edler zu halten als die andere. Doch wei? ich nicht wie es kam, da? ich mich schleunig wieder auf unser Schiff sputete und so, statt in der Neuen Welt zu bleiben, in den ?ltesten, tr?umerischen Teil unsrer Welt geriet, in das uralte hei?e Indien, und zwar in einem roten Rocke, als ein stiller englischer Soldat. Und ich kann nicht sagen, da? mir das neue Leben mi?fiel, das schon auf dem gro?en Linienschiffe begann, auf welchem das Regiment sich befand. Schon der Umstand, da? wir alle, so viel wir waren, mit der gr??ten Pünktlichkeit und Abgemessenheit ern?hrt wurden, indem jeder seine Ration so sicher bekam, wie die Sterne am Himmel gehen, keiner mehr noch minder als der andere, und ohne da? einer den andern beeintr?chtigen konnte, behagte mir au?erordentlich und um so mehr, als keiner dafür zu danken brauchte und alles nur unserm blo?en wohlgeordneten Dasein gebührte. Wenn wir Rekruten auch schon auf dem Schiffe eingeschult wurden und t?glich exerzieren mu?ten, so gefiel mir doch diese Besch?ftigung über die Ma?en, da wir nicht das Bajonett herumschwenken mu?ten, um etwa mit Gewandtheit eine Kartoffel daran zu spie?en, sondern es war lediglich eine reine übung, welche mit dem Essen zun?chst gar nicht zusammenhing, und man brauchte nichts als pünktlich und aufmerksam beim einen und dem andern zu sein und sich um weiter nichts zu kümmern. Schon am zweiten Tage unserer Fahrt sah ich einen Soldaten prügeln, der wider einen Vorgesetzten gemurrt, nachdem er schon verschiedene Unregelm??igkeiten begangen. Sogleich nahm ich mir vor, da? dies mir nie widerfahren solle, und nun kam mir mein Schmollwesen sehr gut zustatten, indem es mir eine vortreffliche lautlose Pünktlichkeit und Aufmerksamkeit erleichterte und es mir fortw?hrend m?glich machte, mir in keiner Weise etwas zu vergeben.
So wurde ich ein ganz ordentlicher

 / 113
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.