Die Leute von Seldwyla, vol 1 | Page 3

Gottfried Keller
und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Mit dem Spinnrocken verdiente sie Milch und Butter, um die Kartoffeln zu kochen, die sie pflanzte, und ein kleiner Witwengehalt, den der Armenpfleger j?hrlich auszahlte, nachdem er ihn jedesmal einige Wochen ��ber den Termin hinaus in seinem Gesch?fte benutzt, reichte gerade zu dem Kleiderbedarf und einigen anderen kleinen Ausgaben hin. Dieses Geld wurde immer mit Schmerzen erwartet, indem die ?rmlichen Gew?nder der Kinder gerade um jene verl?ngerten Wochen zu fr��h g?nzlich schadhaft waren und der Buttertopf ��berall seinen Grund durchblicken lie?. Dieses Durchblicken des gr��nen Topfbodens war eine so regelm??ige j?hrliche Erscheinung, wie irgendeine am Himmel, und verwandelte ebenso regelm??ig eine Zeitlang die k��hle, k��mmerlich- stille Zufriedenheit der Familie in eine wirkliche Unzufriedenheit. Die Kinder plagten die Mutter um besseres und reichlicheres Essen; denn sie hielten sie in ihrem Unverstande f��r m?chtig genug dazu, weil sie ihr ein und alles, ihr einziger Schutz und ihre einzige Oberbeh?rde war. Die Mutter war unzufrieden, da? die Kinder nicht entweder mehr Verstand, oder mehr zu essen, oder beides zusammen erhielten.
Besagte Kinder aber zeigten verschiedene Eigenschaften. Der Sohn war ein unansehnlicher Knabe von vierzehn Jahren, mit grauen Augen und ernsthaften Gesichtsz��gen, welcher des Morgens lang im Bette lag, dann ein wenig in einem zerrissenen Geschichts- und Geographiebuche las, und alle Abend, Sommers wie Winters, auf den Berg lief, um dem Sonnenuntergang beizuwohnen, welches die einzige gl?nzende und pomphafte Begebenheit war, welche sich f��r ihn zutrug. Sie schien f��r ihn etwa das zu sein, was f��r die Kaufleute der Mittag auf der B?rse; wenigstens kam er mit ebenso abwechselnder Stimmung von diesem Vorgang zur��ck, und wenn es recht rotes und gelbes Gew?lk gegeben, welches gleich gro?en Schlachtheeren in Blut und Feuer gestanden und majest?tisch man?vriert hatte, so war er eigentlich vergn��gt zu nennen.
Dann und wann, jedoch nur selten, beschrieb er ein Blatt Papier mit seltsamen Listen und Zahlen, welches er dann zu einem kleinen B��ndel legte, das durch ein Endchen alte Goldtresse zusammengehalten wurde. In diesem B��ndelchen stak haupts?chlich ein kleines Heft, aus einem zusammengefalteten Bogen Goldpapier gefertigt, dessen wei?e R��ckseiten mit allerlei Linien, Figuren und aufgereihten Punkten, dazwischen Rauchwolken und fliegende Bomben, gef��llt und beschrieben waren. Dies B��chlein betrachtete er oft mit gro?er Befriedigung und brachte neue Zeichnungen darin an, meistens um die Zeit, wenn das Kartoffelfeld in voller Bl��te stand. Er lag dann im bl��henden Kraut unter dem blauen Himmel, und wenn er eine wei?e beschriebene Seite betrachtet hatte, so schaute er dreimal so lange in das gegen��berstehende gl?nzende Goldblatt, in welchem sich die Sonne brach. Im ��brigen war es ein eigensinniger und zum Schmollen geneigter Junge, welcher nie lachte und auf Gottes lieber Welt nichts tat oder lernte.
Seine Schwester war zw?lf Jahre alt und ein bildsch?nes Kind mit langem und dickem braunen Haar, gro?en braunen Augen und der allerwei?esten Hautfarbe. Dies M?dchen war sanft und still, lie? sich vieles gefallen und murrte weit seltener als sein Bruder. Es besa? eine helle Stimme und sang gleich einer Nachtigall; doch obgleich es mit alle diesem freundlicher und lieblicher war, als der Knabe, so gab die Mutter doch diesem scheinbar den Vorzug und beg��nstigte ihn in seinem Wesen, weil sie Erbarmen mit ihm hatte, da er nichts lernen und es ihm wahrscheinlicherweise einmal recht schlecht ergehen konnte, w?hrend nach ihrer Ansicht das M?dchen nicht viel brauchte und schon deshalb unterkommen w��rde.
Dieses mu?te daher unaufh?rlich spinnen, damit das S?hnlein desto mehr zu essen bek?me und recht mit Mu?e sein einstiges Unheil erwarten k?nne. Der Junge nahm dies ohne weiteres an und geb?rdete sich wie ein kleiner Indianer, der die Weiber arbeiten l??t, und auch seine Schwester empfand hiervon keinen Verdru? und glaubte, das m��sse so sein.
Die einzige Entsch?digung und Rache nahm sie sich durch eine allerdings arge Unzuk?mmlichkeit, welche sie sich beim Essen mit List oder Gewalt immer wieder erlaubte. Die Mutter kochte n?mlich jeden Mittag einen dicken Kartoffelbrei, ��ber welchen sie eine fette Milch oder eine Br��he von sch?ner brauner Butter go?. Diesen Kartoffelbrei a?en sie alle zusammen aus der Sch��ssel mit ihren Blechl?ffeln, indem jeder vor sich eine Vertiefung in das feste Kartoffelgebirge heineingrub. Das S?hnlein, welches bei aller Seltsamkeit in E?angelegenheiten einen strengen Sinn f��r milit?rische Regelm??igkeit beurkundete und streng daraufhielt, da? jeder nicht mehr noch weniger nahm, als was ihm zukomme, sah stets darauf, da? die Milch oder die gelbe Butter, welche am Rande der Sch��ssel umherflo?, gleichm??ig in die abgeteilten Gruben laufe; das Schwesterchen hingegen, welches viel harmloser war, suchte, sobald ihre Quellen versiegt waren, durch allerhand k��nstliche Stollen und Abzugsgr?ben die wohlschmeckenden B?chlein auf ihre Seite zu leiten, und wie sehr sich auch der Bruder dem widersetzte und ebenso k��nstliche D?mme aufbaute und ��berall verstopfte, wo sich ein verd?chtiges Loch zeigen wollte, so wu?te sie doch immer wieder eine geheime Ader des Breies zu er?ffnen oder langte kurzweg in offenem Friedensbruch mit
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