Die Leute von Seldwyla, vol 1 | Page 4

Gottfried Keller
ihrem L?ffel und mit lachenden Augen in des Bruders gef��llte Grube. Alsdann warf er den L?ffel weg, lamentierte und schmollte, bis die gute Mutter die Sch��ssel zur Seite neigte und ihre eigene Br��he voll in das Labyrinth der Kan?le und D?mme ihrer Kinder str?men lie?. So lebte die kleine Familie einen Tag wie den andern, und indem dies immer so blieb, w?hrend doch die Kinder sich auswuchsen, ohne da? sich eine g��nstige Gelegenheit zeigte, die Welt zu erfassen und irgend etwas zu werden, f��hlten sich alle immer unbehaglicher und k��mmerlicher in ihrem Zusammensein. Pankraz, der Sohn, tat und lernte fortw?hrend nichts, als eine sehr ausgebildete und k��nstliche Art zu schmollen, mit welcher er seine Mutter, seine Schwester und sich selbst qu?lte. Es ward dies eine ordentliche und interessante Besch?ftigung f��r ihn, bei welcher er die m��?igen Seelenkr?fte flei?ig ��bte im Erfinden von hundert kleinen h?uslichen Trauerspielen, die er veranla?te und in welchen er behende und meisterlich den steten Unrechtleider zu spielen wu?te. Estherchen, die Schwester, wurde dadurch zu reichlichem Weinen gebracht, durch welches aber die Sonne ihrer Heiterkeit schnell wieder hervorstrahlte. Diese Oberfl?chlichkeit ?rgerte und kr?nkte dann den Pankraz so, da? er immer l?ngere Zeitr?ume hindurch schmollte und aus selbstgeschaffenem ?rger selbst heimlich weinte.
Doch nahm er bei dieser Lebensart merklich zu an Gesundheit und Kr?ften, und als er diese in seinen Gliedern anwachsen f��hlte, erweiterte er seinen Wirkungskreis und strich mit einer t��chtigen Baumwurzel oder einem Besenstiel in der Hand durch Feld und Wald, um zu sehen, wie er irgendwo ein t��chtiges Unrecht auftreiben und erleiden k?nne. Sobald sich ein solches zur Not dargestellt und entwickelt, pr��gelte er unverweilt seine Widersacher auf das j?mmerlichste durch, und er erwarb sich und bewies in dieser seltsamen T?tigkeit eine solche Gewandtheit, Energie und feine Taktik, sowohl im Aussp��ren und Aufbringen des Feindes, als im Kampfe, da? er sowohl einzelne ihm an St?rke weit ��berlegene J��nglinge als ganze Trupps derselben entweder besiegte, oder wenigstens einen ungestraften R��ckzug ausf��hrte.
War er von einem solchen wohlgelungenen Abenteuer zur��ckgekommen, so schmeckte ihm das Essen doppelt gut und die Seinigen erfreuten sich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages aber war es ihm doch begegnet, da? er, statt welche auszuteilen, betr?chtliche Schl?ge selbst geerntet hatte, und als er voll Scham, Verdru? und Wut nach Hause kam, hatte Estherchen, welche den ganzen Tag gesponnen, dem Gel��ste nicht widerstehen k?nnen und sich noch einmal ��ber das f��r Pankraz aufgehobene Essen hergemacht und davon einen Teil gegessen, und zwar, wie es ihm vorkam, den besten. Traurig und wehm��tig, mit kaum verhaltenen Tr?nen in den Augen, besah er das unansehnliche, kaltgewordene Restchen, w?hrend die schlimme Schwester, welche schon wieder am Spinnr?dchen sa?, unm??ig lachte. Das war zu viel und nun mu?te etwas Gr��ndliches geschehen. Ohne zu essen, ging Pankraz hungrig in seine Kammer, und als ihn am Morgen seine Mutter wecken wollte, da? er doch zum Fr��hst��ck k?me, war er verschwunden und nirgends zu finden. Der Tag verging, ohne da? er kam, und ebenso der zweite und dritte Tag. Die Mutter und Estherchen gerieten in gro?e Angst und Not; sie sahen wohl, da? er vors?tzlich davongegangen, indem er seine Habseligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klagten unaufh?rlich, wenn alle Bem��hungen fruchtlos blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und als nach Verlauf eines halben Jahres Pankrazius verschwunden war und blieb, ergaben sie sich mit trauriger Seele in ihr Schicksal, das ihnen nun doppelt einsam und arm erschien.
Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht wei?, wo diejenigen, die man liebt, jetzt stehn und gehn, wenn eine solche Stille dar��ber durch die Welt herrscht, hab allnirgends auch nur der leiseste Hauch von ihrem Namen ergeht, und man wei? doch, sie sind da und atmen irgendwo.
So erging es der Mutter und dem Estherlein f��nf Jahre, zehn Jahre und f��nfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und sie wu?ten nicht, ob ihr Pankrazius tot oder lebendig sei. Das war ein langes und gr��ndliches Schmollen, und Estherchen, welches eine sch?ne Jungfrau geworden, wurde dar��ber zu einer h��bschen und feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kindestreue bei der alternden Mutter blieb, sondern ebensowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu sein, wo der Bruder sich endlich zeigen w��rde, und zu sehen, wie die Sache eigentlich verlaufe. Denn sie war guter Dinge und glaubte fest, da? er eines Tages wiederk?me und da? es dann etwas Rechtes auszulachen g?be. ��brigens fiel es ihr nicht schwer, ledig zu bleiben, da sie klug war und wohl sah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahintersteckte an dauerhaftem Lebensgl��cke und sie dagegen mit ihrer Mutter unver?nderlich in einem kleinen Wohlst?ndchen lebte, ruhig und ohne Sorgen; denn sie hatten ja einen t��chtigen Esser weniger und brauchten f��r sich fast gar nichts.
Da war es einst ein heller sch?ner Sommernachmittag, mitten in der Woche, wo man so an gar nichts denkt
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