Die Leute von Seldwyla, vol 1 | Page 2

Gottfried Keller
dahinter her sind, sich die Mittelchen zu einem guten St��ckchen Fleisch von ehedem zu erwerben. Holz haben alle B��rger die F��lle und die Gemeinde verkauft j?hrlich noch einen guten Teil, woraus die gro?e Armut unterst��tzt und gen?hrt wird, und so steht das alte St?dtchen in unver?nderlichem Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer sind sie im ganzen zufrieden und munter, und wenn je ein Schatten ihre Seele tr��bt, wenn etwa eine allzu hartn?ckige Geldklemme ��ber der Stadt weilt, so vertreiben sie sich die Zeit und ermuntern sich durch ihre gro?e politische Beweglichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der Seldwyler ist. Sie sind n?mlich leidenschaftliche Parteileute, Verfassungsrevisoren und Antragsteller, und wenn sie eine recht verr��ckte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Gro?ratsmitglied stellen lassen, oder wenn der Ruf nach Verfassungs?nderung in Seldwyla ausgeht, so wei? man im Lande, da? im Augenblicke dort kein Geld zirkuliert. Dabei lieben sie die Abwechselung der Meinungen und Grunds?tze und sind stets den Tag darauf, nachdem eine Regierung gew?hlt ist, in der Opposition gegen dieselbe. Ist es ein radikales Regiment, so scharen sie sich, um es zu ?rgern, um den konservativen fr?mmlichen Stadtpfarrer, den sie noch gestern geh?nselt, und machen ihm den Hof, indem sie sich mit verstellter Begeisterung in seine Kirche dr?ngen, seine Predigten preisen und mit gro?em Ger?usch seine gedruckten Trakt?tchen und Berichte der Baseler Missionsgesellschaft umherbieten, nat��rlich ohne ihm einen Pfennig beizusteuern. Ist aber ein Regiment am Ruder, welches nur halbwegs konservativ aussieht, stracks dr?ngen sie sich um die Schullehrer der Stadt und der Pfarrer hat genug an den Glaser zu zahlen f��r eingeworfene Scheiben. Besteht hingegen die Regierung aus liberalen Juristen, die viel auf die Form halten, und aus h?cklichen Geldm?nnern, so laufen sie flugs dem n?chstwohnenden Sozialisten zu und ?rgern die Regierung, indem sie denselben in den Rat w?hlen mit dem Feldgeschrei: Es sei nun genug des politischen Formenwesens und die materiellen Interessen seien es, welche allein das Volk noch k��mmern k?nnten. Heute wollen sie das Veto haben und sogar die unmittelbarste Selbstregierung mit permanenter Volksversammlung, wozu freilich die Seldwyler am meisten Zeit h?tten, morgen stellen sie sich ��berm��det und blasiert in ?ffentlichen Dingen und lassen ein halbes Dutzend alte Stillst?nder, die vor drei?ig Jahren falliert und sich seither stillschweigend rehabilitiert haben, die Wahlen besorgen; alsdann sehen sie behaglich hinter den Wirtshausfenstern hervor die Stillst?nder in die Kirche schleichen und lachen sich in die Faust, wie jener Knabe, welcher sagte: Es geschieht meinem Vater schon recht, wenn ich mir die H?nde verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe! Gestern schw?rmten sie allein f��r das eidgen?ssische Bundesleben und waren h?chlich emp?rt, da? man Anno achtundvierzig nicht g?nzliche Einheit hergestellt habe; heute sind sie ganz versessen auf die Kantonalsouver?nit?t und haben nicht mehr in den Nationalrat gew?hlt.
Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Motionen der Landesmehrheit st?rend und unbequem wird, so schickt ihnen die Regierung gew?hnlich als Beruhigungsmittel eine Untersuchungskommission auf den Hals, welche die Verwaltung des Seldwyler Gemeindegutes regulieren soll; dann haben sie vollauf mit sich selbst zu tun und die Gefahr ist abgeleitet.
Alles dies macht ihnen gro?en Spa?, der nur ��berboten wird, wenn sie allherbstlich ihren jungen Wein trinken, den g?renden Most, den sie Sauser nennen; wenn er gut ist, so ist man des Lebens nicht sicher unter ihnen, und sie machen einen H?llenl?rm; die ganze Stadt duftet nach jungem Wein und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts. Je weniger aber ein Seldwyler zu Hause was taugt, um so besser h?lt er sich sonderbarerweise, wenn er ausr��ckt, und ob sie einzeln oder in Kompanie ausziehen, wie z.B. in fr��heren Kriegen, so haben sie sich doch immer gut gehalten. Auch als Spekulant und Gesch?ftsmann hat schon mancher sich r��stig umgetan, wenn er nur erst aus dem warmen sonnigen Tale herauskam, wo er nicht gedieh.
In einer so lustigen und seltsamen Stadt kann es an allerhand seltsamen Geschichten und Lebensl?ufen nicht fehlen, da M��?iggang aller Laster Anfang ist. Doch nicht solche Geschichten, wie sie in dem beschriebenen Charakter von Seldwyla liegen, will ich eigentlich in diesem B��chlein erz?hlen, sondern einige sonderbare Abf?llsel, die so zwischendurch passierten, gewisserma?en ausnahmsweise, und doch auch gerade nur zu Seldwyla vor sich gehen konnten.
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PANKRAZ, DER SCHMOLLER
Auf einem stillen Seitenpl?tzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die Witwe eines Seldwylers, der schon lange fertig geworden und unter dem Boden lag. Dieser war keiner von den schlimmsten gewesen, vielmehr f��hlte er eine so starke Sehnsucht, ein ordentlicher und fester Mann zu sein, da? ihn der herrschende Ton, dem er als junger Mensch nicht entgehen konnte, angriff; und als seine Glanzzeit vor��bergegangen und er der Sitte gem?? abtreten mu?te von dem Schauplatz der Taten, da erschien ihm alles wie ein w��ster Traum und wie ein Betrug um das Leben, und er bekam davon die Auszehrung und starb unverweilt.
Er hinterlie? seiner Witwe ein kleines bauf?lliges H?uschen, einen Kartoffelacker vor dem Tore
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