Die Leiden des jungen Werther, vol 2 | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Augenblicke an, da ich in den Saal trat! Ich sah alles voraus, hundertmal sa? mir's auf der Zunge, es Ihnen zu sagen. Ich wu?te, da? die von S... und T... mit ihren M?nnern eher aufbrechen würden, als in Ihrer Gesellschaft zu bleiben; ich wu?te, da? der Graf es mit ihnen nicht verderben darf,--und jetzt der L?rm!"--"wie, Fr?ulein?" sagt' ich und verbarg meinen Schrecken; denn alles, was Adelin mir ehegestern gesagt hatte, lief mir wie siedend Wasser durch die Adern in diesem Augenblicke.--"Was hat mich es schon gekostet!" sagte das sü?e Gesch?pf, indem ihr die Tr?nen in den Augen standen. --Ich war nicht Herr mehr von mir selbst, war im Begriffe, mich ihr zu Fü?en zu werfen.--"Erkl?ren Sie sich!" rief ich.--Die Tr?nen liefen ihr die Wangen herunter. Ich war au?er mir. Sie trocknete sie ab, ohne sie verbergen zu wollen.--"Meine Tante kennen Sie," fing sie an, "sie war gegenw?rtig und hat--o, mit was für Augen hat sie das angesehen! Werther, ich habe gestern nacht ausgestanden und heute früh eine Predigt über meinen Umgang mit Ihnen, und ich habe müssen zuh?ren Sie herabsetzen, erniedrigen, und konnte und durfte Sie nur halb verteidigen." Jedes Wort, das sie sprach, ging mir wie ein Schwert durchs Herz. Sie fühlte nicht, welche Barmherzigkeit es gewesen w?re, mir das alles zu verschweigen, und nun fügte sie noch hinzu, was weiter würde getr?tscht werden, was eine Art Menschen darüber triumphieren würde.
Wie man sich nunmehr über die Strafe meines übermuts und meiner Geringsch?tzung anderer, die sie mir schon lange vorwerfen, kitzeln und freuen würde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu h?ren, mit der Stimme der wahrsten Teilnehmung--ich war zerst?rt und bin noch wütend in mir. Ich wollte, da? sich einer unterstünde, mir's vorzuwerfen, da? ich ihm den Degen durch den Leib sto?en k?nnte; wenn ich Blut s?he, würde mir's besser werden. Ach, ich hab' hundertmal ein Messer ergriffen, um diesem gedr?ngten Herzen Luft zu machen. Man erz?hlt von einer edlen Art Pferde, die, wenn sie schrecklich erhitzt und aufgejagt sind, sich selbst aus Instinkt eine Ader aufbei?en, um sich zum Atem zu helfen. So ist mir's oft, ich m?chte mir eine Ader ?ffnen, die mir die ewige Freiheit schaffte.

Am 24. M?rz
Ich habe meine Entlassung vom Hofe verlangt und werde sie, hoffe ich, erhalten, und ihr werdet mir verzeihen, da? ich nicht erst Erlaubnis dazu bei euch geholt habe. Ich mu?te nun einmal fort, und was ihr zu sagen hattet, um mir das Bleiben einzureden, wei? ich alles, und also--bringe das meiner Mutter in einem S?ftchen bei, ich kann mir selbst nicht helfen, und sie mag sich gefallen lassen, wenn ich ihr auch nicht helfen kann. Freilich mu? es ihr wehe tun. Den sch?nen Lauf, den ihr Sohn gerade zum Geheimenrat und Gesandten ansetzte, so auf einmal Halte zu sehen, und rückw?rts mit dem Tierchen in den Stall! Macht nun daraus, was ihr wollt, und kombiniert die m?glichen F?lle, unter denen ich h?tte bleiben k?nnen und sollen; genug, ich gehe, und damit ihr wi?t, wo ich hinkomme, so ist hier der Fürst **, der vielen Geschmack an meiner Gesellschaft findet; der hat mich gebeten, da er von meiner Absicht h?rte, mit ihm auf seine Güter zu gehen und den sch?nen Frühling da zuzubringen. Ich soll ganz mir selbst gelassen sein, hat er mir versprochen, und da wir uns zusammen bis auf einen gewissen Punkt verstehn, so will ich es denn auf gut Glück wagen und mit ihm gehen.

Zur Nachricht
Am 19. April
Danke für deine beiden Briefe. Ich antwortete nicht, weil ich dieses Blatt liegen lie?, bis mein Abschied vom Hofe da w?re; ich fürchtete, meine Mutter m?chte sich an den Minister wenden und mir mein Vorhaben erschweren. Nun aber ist es geschehen, mein Abschied ist da. Ich mag euch nicht sagen, wie ungern man mir ihn gegeben hat, und was mir der Minister schreibt--ihr würdet in neue Lamentationen ausbrechen. Der Erbprinz hat mir zum Abschiede fünfundzwanzig Dukaten geschickt, mit einem Wort, das mich bis zu Tr?nen gerührt hat; also brauche ich von der Mutter das Geld nicht, um das ich neulich schrieb.
Am 5. Mai
Morgen gehe ich von hier ab, und weil mein Geburtsort nur sechs Meilen vom Wege liegt, so will ich den auch wiedersehen, will mich der alten, glücklich vertr?umten Tage erinnern. Zu eben dem Tore will ich hinein gehn, aus dem meine Mutter mit mir heraus fuhr, als sie nach dem Tode meines Vaters den lieben, vertraulichen Ort verlie?, um sich in ihre unertr?gliche Stadt einzusperren. Adieu, Wilhelm, du sollst von meinem Zuge h?ren.

Am 9. Mai
Ich habe die Wallfahrt nach meiner Heimat mit aller Andacht eines Pilgrims vollendet, und manche unerwarteten Gefühle haben mich ergriffen. An der gro?en Linde, die eine Viertelstunde vor der Stadt nach S... zu steht, lie? ich halten, stieg aus und hie? den Postillon fortfahren, um zu Fu?e jede Erinnerung ganz neu, lebhaft, nach meinem
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