Die Leiden des jungen Werther, vol 2 | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
ihr's! Und da? du nicht wieder sagst, meine überspannten Ideen verdürben alles, so hast du hier, lieber Herr, eine Erz?hlung, plan und nett, wie ein Chronikenschreiber das aufzeichnen würde.
Der Graf von C... liebt mich, distinguiert mich, das ist bekannt, das habe ich dir schon hundertmal gesagt. Nun war ich gestern bei ihm zu Tafel, eben an dem Tage, da abends die noble Gesellschaft von Herren und Frauen bei ihm zusammenkommt, an die ich nie gedacht habe, auch mir nie aufgefallen ist, da? wir Subalternen nicht hineingeh?ren. Gut. Ich speise bei dem Grafen, und nach Tische gehn wir in dem gro?en Saal auf und ab, ich rede mit ihm, mit dem Obristen B..., der dazu kommt, und so rückt die Stunde der Gesellschaft heran. Ich denke, Gott wei?, an nichts. Da tritt herein die übergn?dige Dame von S... mit ihrem Herrn Gemahl und wohl ausgebrüteten G?nslein Tochter mit der flachen Brust und niedlichem Schnürleibe, machen en passant ihre hergebrachten, hochadeligen Augen und Nasl?cher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider ist, wollte ich mich eben empfehlen und wartete nur, bis der Graf vom garstigen Gew?sche frei w?re, als meine Fr?ulein B. hereintrat. Da mir das Herz immer ein bi?chen aufgeht, wenn ich sie sehe, blieb ich eben, stellte mich hinter ihren Stuhl und bemerkte erst nach einiger Zeit, da? sie mit weniger Offenheit als sonst, mit einiger Verlegenheit mit mir redete. Das fiel mir auf. Ist sie auch wie all das Volk, dacht' ich, und war angestochen und wollte gehen, und doch blieb ich, weil ich sie gerne entschuldigt h?tte und es nicht glaubte und noch ein gut Wort von ihr hoffte und--was du willst. Unterdessen füllte sich die Gesellschaft. Der Baron F. mit der ganzen Garderobe von den Kr?nungszeiten Franz des Ersten her, der Hofrat R..., hier aber in qualitate Herr von R... genannt, mit seiner tauben Frau etc., den übel fournierten J... nicht zu vergessen, der die Lücken seiner altfr?nkischen Garderobe mit neumodischen Lappen ausflickt, das kommt zu Hauf, und ich rede mit einigen meiner Bekanntschaft, die alle sehr lakonisch sind. Ich dachte--und gab nur auf meine B... acht. Ich merkte nicht, da? die Weiber am Ende des Saales sich in die Ohren flüsterten, da? es auf die M?nner zirkulierte, da? Frau von S. mit dem Grafen redete (das alles hat mir Fr?ulein B. nachher erz?hlt), bis endlich der Graf auf mich losging und mich in ein Fenster nahm.--"Sie wissen", sagt' er, "unsere wunderbaren Verh?ltnisse; die Gesellschaft ist unzufrieden, merkte ich, Sie hier zu sehn. Ich wollte nicht um alles"--"Ihro Exzellenz," fiel ich ein, "ich bitte tausendmal um Verzeihung; ich h?tte eher dran denken sollen, und ich wei?, Sie vergeben mir diese Inkonsequenz; ich wollte schon vorhin mich empfehlen. Ein b?ser Genius hat mich zurückgehalten." Setzte ich l?chelnd hinzu, indem ich mich neigte. --Der Graf drückte meine H?nde mit einer Empfindung, die alles sagte. Ich strich mich sacht aus der vornehmen Gesellschaft, ging, setzte mich in ein Kabriolett und fuhr nach M., dort vom Hügel die Sonne untergehen zu sehen und dabei in meinem Homer den herrlichen Gesang zu lesen, wie Uly? von dem trefflichen Schweinehirten bewirtet wird. Das war alles gut.
Des Abends komm' ich zurück zu Tische, es waren noch wenige in der Gaststube; die würfelten auf einer Ecke, hatten das Tischtuch zurückgeschlagen. Da kommt der ehrliche Adelin hinein, legt seinen Hut nieder, indem er mich ansieht, tritt zu mir und sagt leise:"du hast Verdru? gehabt?"--"Ich?" sagt' ich.--"Der Graf hat dich aus der Gesellschaft gewiesen."--"Hol' sie der Teufel!" sagt' ich, "mir war's lieb, da? ich in die freie Luft kam."--"Gut," sagt' er, "da? du's auf die leichte Achsel nimmst. Nur verdrie?t mich's, es ist schon überall herum."--Da fing mich das Ding erst an zu wurmen. Alle, die zu Tisch kamen und mich ansahen, dachte ich, die sehen dich darum an! Das gab b?ses Blut.
Und da man nun heute gar, wo ich hintrete, mich bedauert, da ich h?re, da? meine Neider nun triumphieren und sagen: da s?he man's, wo es mit den übermütigen hinausginge, die sich ihres bi?chen Kopfs überh?ben und glaubten, sich darum über alle Verh?ltnisse hinaussetzen zu dürfen, und was des Hundegeschw?tzes mehr ist--da m?chte man sich ein Messer ins Herz bohren; denn man rede von Selbst?ndigkeit was man will, den will ich sehen, der dulden kann, da? Schurken über ihn reden, wenn sie einen Vorteil über ihn haben; wenn ihr Geschw?tze leer ist, ach da kann man sie leicht lassen.
Am 16. M?rz
Es hetzt mich alles. Heut' treff' ich die Fr?ulein B... in der Allee, ich konnte mich nicht enthalten, sie anzureden und ihr, sobald wir etwas entfernt von der Gesellschaft waren, meine Empfindlichkeit über ihr neuliches Betragen zu zeigen.--"O Werther," sagte sie mit einem innigen Tone, "konnten Sie meine Verwirrung so auslegen, da Sie mein Herz kennen? Was ich gelitten habe um Ihretwillen, von dem
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