Die Last | Page 8

Georg Engel
neue Pflegerin hatte sofort erklärt, es sei nicht zweckmäßig, einer
Leidenden etwas vorzutragen, was diese beinahe auswendig wisse und
zudem auch ihre Gedanken stets auf Tod und Vergänglichkeit hinweise.
-- Nein, etwas Neues, Heitres müsse gewählt werden, und sofort war
sie in ihr Dachstübchen hinaufgeeilt, um das Versprochene zu bringen.
-- Als sie nach einiger Zeit zurückkehrte, hatte sie auch die Kleidung
gewechselt. -- Ein schwarzes Gewand legte sich einfach und straff um
den schlanken Körper und ließ sie noch kräftiger und selbstbewußter
als bisher erscheinen. Lächelnd setzte sie sich an das Lager und begann
vorzulesen. Es war die von einem modernen, schwedischen Satyriker
verfaßte Geschichte eines jungen Mädchens, das mit zwei Liebhabern
zugleich tändelt, um schließlich eine Geldheirat einzugehen, in die sie
als einzige Aussteuer die beiden Verlassenen als Hausfreunde mit
hineinbringt.
Else verstand die Anspielungen wohl nicht recht. -- Sie hatte sich in
ihren Kissen aufgerichtet und folgte den feinen Spöttereien mit

befriedigter Verwunderung. Zuweilen huschte sogar ein schwaches
Lächeln über ihr blasses Gesicht.
Wie lange hatte Wilms solch ein freundliches Zeichen herbeigesehnt,
und jetzt schien die Ärmste ihr Leiden beinahe vergessen zu haben.
Unwillkürlich verfing sich auch der Landmann in den liebenswürdigen
Worten, die von Hedwigs Lippen so frisch und hell hinabströmten. Er
stützte das Haupt und sah aufmerksam zu ihr hinüber. -- Und doch --
während er mit Behagen auf ihren lebendigen Vortrag hörte, nagte sich
leise wieder jene unerklärliche Abneigung gegen das Mädchen in sein
ehrliches Gemüt hinein, die er nicht bannen konnte, die ihn förmlich
verfolgte.
Schon wie sie dasaß, tief in ihren Stuhl zurückgelehnt, daß alle Formen
des jugendfrischen Leibes einen Kampf gegen das einengende Gewand
führten, so ungebunden, so ohne Rücksicht auf ihn, als ob er gar nicht
vorhanden wäre, den Kopf zur Seite geneigt und auf ihren Zügen all
jenen wechselnden, prickelnden Spott, wie wenn sich auf dem feinen
Gesicht der Inhalt des Buches wiederspiegele, -- das gehörte alles nicht
hierher, nicht in die pommersche Krankenstube hinein, das war etwas
Unreines, Unerträgliches. -- Und jetzt empfand er auch, wie frech und
unpassend das war, was sie las.
Die Röte stieg ihm in die Stirn. Schwerfällig erhob er sich, ging
mehrmals im Zimmer auf und ab, und räusperte sich endlich stark:
»Wollen wir jetzt nicht mit Lesen aufhören?« Und da geschah das
Unerwartete.
»Nein,« -- Else fröstelte und schüttelte unwillig den Kopf: »Du mußt
auch immer stören,« beklagte sie sich. -- »Laß uns doch unser
Vergnügen. Ich bin ja so froh, daß ich endlich ein wenig Abwechslung
finde.« -- Und wieder drückte sie der Schwester die Hand.
Das auch noch.
Etwas Unverständliches murmelte der Pächter vor sich hin, heftig

wollte er erwidern, aber die Gewohnheit, sein Weib unter allen
Umständen zu schonen, war stärker. Mühsam bezwang er den
aufsteigenden Zorn und verließ mit starken Schritten das Zimmer.
Als er die Tür schloß, hörte er das Mädchen wieder laut und fröhlich
weiterlesen.
Ein paar Stunden lief er draußen in der Dunkelheit umher, immer die
gerade Chaussee entlang, und suchte seinen Unmut abzuschütteln.
Gleich am ersten Tage brachte sie ihm Unruhe und Unfrieden ins Haus.
Er hatte es ja voraus gewußt. -- Das Mädchen paßte eben nicht in den
beschränkten Kreis. Ob es nicht das beste wäre, sie wieder zum Gehen
zu veranlassen? -- Er seufzte -- -- das durfte man leider nicht wagen. --
Und dann, wie gleichgültig und verächtlich sie ihn selbst behandelte.
Das Achselzucken und das über ihn Fortsprechen. Er galt dem Fräulein
eben nur als »Bauer«.
»Ha -- ha!« Unvermittelt blieb der Pächter stehen und atmete tief auf. --
Ihn bedrückten ja ganz andere Sorgen, als dieses fremde Mädchen. Wie
konnte er es nur einen Augenblick vergessen?
Die Schuldenlast -- die entsetzliche Schuld. Acht Tage Frist hatte er, in
dieser Zeit mußte er 1200 Taler schaffen, sonst gehörte sein ganzes
Inventar dem Juden. Aber woher? -- woher?
Laut stöhnte er auf, und so heftig packte ihn wieder die Verzweiflung,
daß er eine Pappel der Chaussee umklammerte und den starken Stamm
schüttelte und stieß, bis eine Wolke dürrer Blätter auf ihn herunter
raschelte.
Ein kalter Nachtwind strich durch die Zweige, alles war dunkel und
still. Nur die raschen Blätter dort oben begannen wieder durcheinander
zu rauschen.
War das nicht, als ob ein Mensch spräche?
Hedwigs Stimme -- deutlich vernahm er sie wieder in der Höhe lesen,

lachen und kichern.
Der Einsame zuckte zusammen und horchte um sich. -- Ja, es war
etwas krank in ihm, es schmerzte ihn in der Brust. Und blitzartig
durchfuhr ihn das Bewußtsein, daß die kranke Frau zu Hause, die er so
leidenschaftlich, so tief, so gramerfüllt liebte, ihn zum Schwächling
gemacht, daß dieses blasse, abgezehrte Weib seine Kraft gestohlen, daß
es täglich sein Blut aussauge, um davon selbst das Dasein zu fristen,
genau wie jener gespenstische Vogel, von dem er als Knabe gelernt,
daß er den Verfallenen die Adern
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