Die Last | Page 7

Georg Engel
dann schien er
plötzlich an der Unterhaltung keinen Gefallen mehr zu finden, denn er
sah sich, ohne auf das Mädchen weiter Rücksicht zu nehmen, nach
seinem Bedienten um, und forderte, indem er eine Zigarre in den Mund
steckte, mit undeutlichem Murmeln Feuer.
»Gut -- brennt schon -- na, auf Wiedersehen, Wilms -- (er vergaß
beiläufig das 'Herr') habe die Ehre, mein Fräulein -- heda, Hektor.« Er
pfiff dem Hunde, grüßte leichthin und sprang auf den Wagen, dessen
Zügel er ergriff. Hinter ihn setzte sich der Kutscher, und mit elegantem,
unhörbarem Rollen flog das Gefährt davon.

Da, wo die Chaussee in den Tannenschlag abbog, blickte sich der Jäger
noch einmal um und spähte scharf zurück. Hedwig, die bereits neben
Wilms auf dem Korbwagen Platz genommen hatte, bemerkte es, ein
keckes, spöttisches Lächeln flog um ihre frischen Lippen, immer
heimlich von dem Landmann beobachtet, der in sich gekehrt neben ihr
saß und kutschierte. Scheu blickte er manchmal von der Seite auf sie
hin. Wie kam das junge Mädchen zu solchen Bekanntschaften? -- Sie
schien den jungen Herrn doch besser zu kennen, als sie zugeben wollte?
Und weshalb behandelte sie ihn so von oben herab? Wilms seufzte tief
auf. Nein, das war nicht die Person, die er brauchte, damit sie Else
pflegen und ihm selbst in der Wirtschaft helfen sollte. Sein erster
instinktiver Widerwille war berechtigt gewesen. Wie sie jetzt neben
ihm saß, die schlanke Figur ein wenig vornüber geneigt, die großen,
braunen Augen durstig in die sonnige Ferne gerichtet, die Lippen
geöffnet, als tränke sie die einströmende Luft, so war sie ihm ein zu
feines, ein zu fremdes Wesen.
»Mein Gott, was wird Else dazu sagen?« dachte er bekümmert. »Und
was sie für einen Hut trägt, was für Handschuhe?«
Heftig schlug er auf die Pferde ein, wie einer, der etwas Unangenehmes
rasch zu Ende bringen will, und im scharfen Trab rollte das Gefährt
dahin, ohne daß Hedwig das eingetretene Stillschweigen unterbrochen
hätte.
Nur einmal fragte sie beinahe gleichgültig, immer die Augen in die
Weite gerichtet: »Ist Else noch so hübsch, wie sie war?«
Wilms biß sich auf die Lippen, die Zügel in seiner Hand lockerten sich
unwillkürlich.
Hatte er recht vernommen? Ihre frische, klare Stimme tönte genau so
kühl, so obenhin, so völlig uninteressiert, als hätte ihre Frage einer ganz
nebensächlichen Person gegolten.
Und das war die Schwester, die sich nach seinem armen gequälten
Weibe erkundigte?

»Ja,« fuhr er rauh heraus, »gerade noch so hübsch -- genau so -- --
allerdings spazieren gehen kann sie nicht mehr und sich putzen.«
Anklagend und beleidigt klangen die wenigen Worte, und Hedwig
richtete zum erstenmal ihren Blick forschend auf ihren Schwager. Sie
schien verwundert und warf ein wenig die Lippen auf. Und beinahe mit
absichtlicher Herbheit setzte sie hinzu: »Die lange Krankheit hat wohl
viel Geld gekostet?«
Wilms schwoll der Unmut bis an die Kehle. Wie ein Wütender hieb er
auf die Tiere ein, im gestreckten Galopp ging's weiter.
Die beiden sprachen nicht mehr miteinander. Im ungemütlichen
Schweigen durchfuhren sie das Dorf, bis sie endlich auf dem Pachthof
anlangten.
Verträumt, verfallen, lautlos wie immer lag er da. Und diese Todesstille
lockte Hedwig das erste Wort ab.
»Merkwürdig,« murmelte sie befangen, als Wilms ihr zum
Herabsteigen die Hand bot, »das hätt' ich mir anders gedacht. Ist es hier
immer so lautlos?«
»Ja, mein Kind, immer. Aus Rücksicht für Else. Und dann ist auch
heute Sonntag.«
»Ja, so -- so, so,« wiederholte sie in sich gekehrt. Wilms sah, daß sie
noch einmal mit einem ihrer langen, klaren Blicke das Anwesen
überflog. Dann strich sie sich über die Stirn und äußerte rasch und
dringend, als ob sie dem Anblick entfliehen wollte: »Komm -- gehen
wir zur Schwester.«

V.
Der Nachmittag war im Verdämmern. Auf dem Hof webten bereits
graue Schatten und krochen an den Wänden der Scheunen empor, aber
in dem Krankenzimmer brannte eine große schöne Stehlampe, ein

Hochzeitsgeschenk, das noch nie benutzt war, und das jetzt eine
strahlende, gemütliche Helle verbreitete.
»Hier muß es doppelt licht sein,« hatte die jüngere Schwester gemeint
und dann die Staatslampe einfach von der Glasservante
heruntergenommen und sie instand gesetzt.
Still und zufrieden lag die Kranke jetzt in ihrem Bett und sah mit
blinzelnden Augen in die Lichtstrahlen hinein, während sie die Hand
der Schwester, die neben dem Lager saß, mit ihren schmalen Fingern
fest umspannt hielt.
In der Mitte der Stube, vor dem großen Tisch, hatte Wilms Platz
genommen und beugte sich eifrig über ein Wirtschaftsbuch, das seit
vielen Monaten vernachlässigt war. Nur langsam und schwerfällig
vermochte der große Mann zu rechnen, aber es tat ihm schon unsäglich
wohl, endlich einmal Klarheit in seine Verhältnisse bringen zu können.
So mühte er sich fort, und nur von Zeit zu Zeit hob er das Haupt und
lauschte zu den beiden Frauen hinüber.
Dort drüben las Hedwig der Kranken vor. Seltsam, nicht aus der Bibel.
Die
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