umzukleiden. Ich wohnte nicht
im Schlosse selbst, sondern in einem alten weißen Hause, das quer
daneben lag, und das man das »Kavalierhaus« nannte.
Als ich dann zum Schloß hinüberschritt, stand Komteß Anna mit ihrer
Freundin auf der Terrasse. Die Komteß hatte ein weißes Tuch um die
Schultern und rote Monatsrosen auf der Brust. Die Freundin war
kleiner von Gestalt. Ich wußte, daß sie auch siebzehnjährig war. Sie
hatte ein bordeauxrotes Tuchkleid an, das Haar lag ihr üppig im
Nacken. Ich schritt die Stufen zur Terrasse hinauf, Komteß Anna stellte
vor: »Herr Konrad Tedrahn, Kunstmaler von Beruf, Fräulein Leonore
Helfinger aus Lübeck.«
»Ah, Lübeck!« sagte ich sofort, »ich kenne die Stadt und liebe sie. Wie
lebt man dort eigentlich? Haben Sie viel Verkehr? Gehen Sie viel aus?«
In dieser Weise fragte ich sie. Es geschah etwas lässig, sie war ja
siebzehn Jahre alt, also ein Kind.
»Nein«, entgegnete sie in gleichgültigem Ton, »ich gehe nicht viel
aus.«
Sie wendete sich wieder an die Komteß und plauderte mit ihr, als ob
ich nicht vorhanden sei.
'Etwas eigensinnig', dachte ich, -- 'aber schön, mit allen Reizen der
Jugend, feingliedrig und stolz, vielleicht etwas hochmütig. Hier ist
etwas zu tun, Tedrahn, etwas zu schaffen ist hier! Diesen ernsten Kopf
mit dem schwarzen Haar und den Augen des erwachenden Mai, -- wo
bringe ich ihn hin? Vor einen Rosenbusch am Morgen oder direkt vor
den blauen Himmel, der von dünnen, weißen, wehenden Wolken
bewegt ist? Ich möchte sie tanzen sehen, ich möchte auch sehen, wie
sie läuft. Ich möchte die Bewegungen ihres Körpers sehen, die Art ihrer
Schritte, und wie sie die Arme wirft, beim Tennisspiel oder beim
Reifenschlagen.'
Durch meinen Kopf schwirrten zahllose lockende Malereien. Ich
verwünschte es im stillen, daß Leonore Helfinger nach Carnin
gekommen war, denn ich fühlte, sie würde mich malerisch beschäftigen,
ich würde Bilder der Phantasie komponieren, während ich mit meinen
wirklichen Bildern während dieser letzten Tage noch gerade genug zu
tun hatte. Denn in drei Tagen mußte ich reisen, also wozu diese
unnütze Verwirrung in meiner Arbeit.
Ein Diener erschien in der Glastür und bat zu Tisch. Wir gingen hinein,
die andern waren schon in dem blauen Vorsaal versammelt. Der Graf
machte mich mit dem Assessor bekannt. Man begab sich in das schöne
Eßzimmer, in dem schon die Lichter brannten und die Gardinen gegen
den Park zu herabgelassen waren. Ich hatte meinen alten Platz neben
der Gräfin, Leonore Helfinger saß mir schräg gegenüber. Der Graf
begrüßte sie und den Assessor, indem er sein Glas erhob. Es wurde
Champagner getrunken, wie immer, wenn ein neuer Gast aus Carnin
einzog.
Ich sagte leise zur Gräfin: »Die kleine Helfinger ist ja wundervoll.
Durch meinen Kopf schwirren Bilder auf Bilder, wie ich sie malen
möchte.«
»Ich kenne sie kaum«, sagte die Gräfin, »nur aus Annas Erzählungen.
Die Mädchen haben die Pensionszeit zusammen verlebt. Ich finde, sie
ist schön zu nennen.«
Nach Tisch warfen wir die Mäntel über und gingen auf die Terrasse.
Die Herren rauchten englische Zigaretten. Auch Komteß Anna zündete
sich eine Zigarette an, lehnte sich in einen Korbstuhl zurück und stieß
kleine Wölkchen in die Luft. Leonore stand am weißen Geländer der
Terrasse und sah in den Abend. Es war ein schöner Abend, im Dorf
Carnin sangen die Mädchen wieder, der Mond stand am Himmel. Der
Graf und der Assessor kamen in ein Gespräch über Brahms. Sie
begaben sich in das Musikzimmer, und man hörte, wie zuweilen auf
dem Klavier ein Thema angeschlagen wurde. Charlotte stand neben mir
und hatte ihren Arm vertraulich unter meinen geschoben.
»Heute steht der Mond schon über dem Kavalierhaus«, sagte sie,
»gestern stand er noch über den gescheckten Ulmen.«
Jetzt sah alles den Mond an. Leonore sah mit fast strengem Mund
hinauf, -- aber so streng dieser Mund erschien, es lag etwas
Schwärmerisches um ihn her. Es war wunderbar zu sehen, wie sich das
Mondlicht auf den feuchten jungen Lippen brach. Der Mond stand über
dem Dach des Kavalierhauses und wandelte dem riesigen Wipfel einer
Kastanie zu. Nicht die mindeste Bewegung lag in der Luft. Der
Hauslehrer, der an der geöffneten Glastür lehnte, sagte etwas von allzu
lauen Frühlingsnächten, es würde einen regnerischen Sommer geben.
»Wir sollten eine Gondelfahrt machen«, schlug die Gräfin vor.
Alles stimmte ein, Charlotte war ganz entflammt, aber gerade sie mußte
zurückbleiben, da ihre Mutter meinte, es sei auf dem Wasser zu kühl
für sie. Wir verließen die Terrasse: die Gräfin, Komteß Anna, Leonore
und ich. Wir schritten um das Schloß herum und durch den dunklen
Park hinab zum Teich.
Die Gräfin setzte sich an das Steuer des Bootes, ich nahm die Ruder.
Wir trieben sacht dahin. Mitunter hörten wir am Ufer ein Plumpsen, es
waren aufgeschreckte Frösche, die in das Wasser sprangen. Leonore
und Komteß Anna saßen dicht vor mir, der Mond schien in ihre
Gesichter. Ich spürte den Duft dieser frischen, jugendlichen Gestalten.
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