Die Jungfrau von Orleans | Page 8

Friedrich von Schiller
ist das Schicksal und Gesetz der
Welt. Der Franke weiß es nicht und wills nicht anders. Nichtswürdig ist
die Nation, die nicht Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.
KARL (zu den Ratsherren). Erwartet keinen anderen Bescheid. Gott
schütz euch. Ich kann nicht mehr.
DUNOIS. Nun so kehre Der Siegesgott auf ewig dir den Rücken, Wie
du dem väterlichen Reich. Du hast Dich selbst verlassen, so verlaß ich
dich. Nicht Englands und Burgunds vereinte Macht, Dich stürzt der
eigne Kleinmut von dem Thron. Die Könige Frankreichs sind geborne
Helden, Du aber bist unkriegerisch gezeugt. (Zu den Ratsherren) Der
König gibt euch auf. Ich aber will In Orleans, meines Vaters Stadt,
mich werfen, Und unter ihren Trümmern mich begraben. (Er will gehen.
Agnes Sorel hält ihn auf)
SOREL (zum König). O laß ihn nicht im Zorne von dir gehn! Sein
Mund spricht rauhe Worte, doch sein Herz Ist treu wie Gold, es ist
derselbe doch, Der warm dich liebt und oft für dich geblutet. Kommt,
Dunois! Gesteht, daß Euch die Hitze Des edeln Zorns zu weit
geführt--Du aber Verzeih dem treuen Freund die heftge Rede! O
kommt, kommt! Laßt mich eure Herzen schnell Vereinigen, eh sich der
rasche Zorn Unlöschbar, der verderbliche, entflammt! (Dunois fixiert
den König und scheint eine Antwort zu erwarten)
KARL (zu Du Chatel). Wir gehen über die Loire. Laß mein Gerät zu

Schiffe bringen!
DUNOIS (schnell zur Sorel). Lebet wohl! (Wendet sich schnell und
geht, Ratsherren folgen) SOREL (ringt verzweifelt die Hände). O wenn
er geht, so sind wir ganz verlassen! --Folgt ihm, La Hire. O sucht ihn
zu begütgen.
(La Hire geht ab)

ERSTER AUFZUG
Sechster Auftritt
Karl. Sorel. Du Chatel
KARL. Ist denn die Krone ein so einzig Gut? Ist es so bitter schwer,
davon zu scheiden? Ich kenne was noch schwerer sich erträgt. Von
diesen trotzig herrischen Gemütern Sich meistern lassen, von der
Gnade leben Hochsinnig eigenwilliger Vasallen, Das ist das Harte für
ein edles Herz, Und bittrer als dem Schicksal unterliegen! (Zu Du
Chatel, der noch zaudert) Tu was ich dir befohlen!
DU CHATEL (wirft sich zu seinen Füßen). O mein König!
KARL. Es ist beschlossen. Keine Worte weiter!
DU CHATEL. Mach Frieden mit dem Herzog von Burgund, Sonst seh
ich keine Rettung mehr für dich.
KARL. Du rätst mir dieses, und dein Blut ist es, Womit ich diesen
Frieden soll versiegeln?
DU CHATEL. Hier ist mein Haupt. Ich hab es oft für dich Gewagt in
Schlachten und ich leg es jetzt Für dich mit Freuden auf das
Blutgerüste. Befriedige den Herzog. Überliefre mich Der ganzen
Strenge seines Zorns und laß Mein fließend Blut den alten Haß
versöhnen!

KARL (blickt ihn eine Zeitlang gerührt und schweigend an). Ist es denn
wahr? Steht es so schlimm mit mir, Daß meine Freunde, die mein Herz
durchschauen, Den Weg der Schande mir zur Rettung zeigen? Ja, jetzt
erkenn ich meinen tiefen Fall, Denn das Vertraun ist hin auf meine
Ehre.
DU CHATEL. Bedenk--
KARL. Kein Wort mehr! Bringe mich nicht auf! Müßt ich zehn Reiche
mit dem Rücken schauen, Ich rette mich nicht mit des Freundes Leben.
--Tu was ich dir befohlen. Geh und laß Mein Heergerät einschiffen.
DU CHATEL. Es wird schnell Getan sein.
(Steht auf und geht, Agnes Sorel weint heftig)

ERSTER AUFZUG
Siebenter Auftritt
Karl und Agnes Sorel
KARL (ihre Hand fassend). Sei nicht traurig, meine Agnes. Auch
jenseits der Loire liegt noch ein Frankreich, Wir gehen in ein
glücklicheres Land. Da lacht ein milder niebewölkter Himmel Und
leichtre Lüfte wehn, und sanftre Sitten Empfangen uns, da wohnen die
Gesänge Und schöner blüht das Leben und die Liebe.
SOREL. O muß ich diesen Tag des Jammers schauen! Der König muß
in die Verbannung gehn, Der Sohn auswandern aus des Vaters Hause
Und seine Wiege mit dem Rücken schauen. O angenehmes Land, das
wir verlassen, Nie werden wir dich freudig mehr betreten.

ERSTER AUFZUG
Achter Auftritt

La Hire kommt zurück. Karl und Sorel
SOREL. Ihr kommt allein. Ihr bringt ihn nicht zurück? (Indem sie ihn
näher ansieht) La Hire! Was gibts? Was sagt mir Euer Blick? Ein neues
Unglück ist geschehn!
LA HIRE. Das Unglück Hat sich erschöpft und Sonnenschein ist
wieder!
SOREL. Was ists? Ich bitt Euch.
LA HIRE (zum König).Ruf die Abgesandten Von Orleans zurück!
KARL. Warum? Was gibts?
LA HIRE. Ruf sie zurück. Dein Glück hat sich gewendet, Ein Treffen
ist geschehn, du hast gesiegt.
SOREL. Gesiegt! O himmlische Musik des Wortes!
KARL. La Hire! Dich täuscht ein fabelhaft Gerücht. Gesiegt! Ich glaub
an keine Siege mehr.
LA HIRE. O du wirst bald noch größre Wunder glauben. --Da kommt
der Erzbischof. Er führt den Bastard In deinen Arm zurück--
SOREL. O schöne Blume des Siegs, die gleich die edeln
Himmelsfrüchte, Fried und Versöhnung trägt!

ERSTER AUFZUG
Neunter Auftritt
Erzbischof von Reims. Dunois. Du Chatel mit Raoul, einem
geharnischten Ritter, zu
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