den Vorigen
ERZBISCHOF (führt den Bastard zu dem König und legt ihre Hände
ineinander). Umarmt euch, Prinzen! Laßt allen Groll und Hader jetzo
schwinden, Da sich der Himmel selbst für uns erklärt. (Dunois umarmt
den König)
KARL. Reißt mich aus meinem Zweifel und Erstaunen. Was kündigt
dieser feierliche Ernst mir an? Was wirkte diesen schnellen Wechsel?
ERZBISCHOF (führt den Ritter hervor und stellt ihn vor den König).
Redet!
RAOUL: Wir hatten sechzehn Fähnlein aufgebracht Lothringisch Volk,
zu deinem Heer zu stoßen, Und Ritter Baudricour aus Vaucouleurs War
unser Führer. Als wir nun die Höhen Bei Vermanton erreicht und in das
Tal, Das die Yonne durchströmt, herunterstiegen, Da stand in weiter
Ebene vor uns der Feind, Und Waffen blitzten, da wir rückwärts sahn.
Umrungen sahn wir uns von beiden Heeren. Nicht Hoffnung war zu
siegen noch zu fliehn, Da sank dem Tapfersten das Herz und alles,
Verzweiflungsvoll, will schon die Waffen strecken. Als nun die Führer
miteinander noch Rat suchten und nicht fanden--sich da stellte sich Ein
seltsam Wunder unsern Augen dar! Denn aus der Tiefe des Gehölzes
plötzlich Trat eine Jungfrau, mit behelmtem Haupt Wie eine
Kriegesgöttin, schön zugleich Und schrecklich anzusehn, um ihren
Nacken In dunkeln Ringen fiel das Haar, ein Glanz Vom Himmel
schien die Hohe zu umleuchten, Als sie die Stimm erhub und also
sprach: "Was zagt ihr, tapfre Franken! Auf den Feind! Und wären sein
mehr denn des Sands im Meere, Gott und die heilge Jungfrau führt
euch an!" Und schnell dem Fahnenträger aus der Hand Riß sie die Fahn
und vor dem Zuge her Mit kühnem Anstand schritt die Mächtige. Wir,
stumm vor Staunen, selbst nicht wollend, folgen Der hohen Fahn und
ihrer Trägerin, Und auf den Feind gerad an stürmen wir. Der,
hochbetroffen, steht bewegungslos Mit weitgeöffnet starrem Blick das
Wunder Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt-- Doch schnell, als
hätten Gottes Schrecken ihn Ergriffen, wendet er sich um Zur Flucht,
und Wehr und Waben von sich werdend Entschart das ganze Heer sich
im Gefilde, Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf, Vor
Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun, Stürzt Mann und Roß sich in
des Flusses Bette, Und läßt sich würgen ohne Widerstand, Ein
Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen! Zweitausend Feinde
deckten das Gefild, Die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang, Und
von den Unsern ward kein Mann vermißt.
KARL. Seltsam bei Gott! höchst wunderbar und seltsam!
SOREL. Und eine Jungfrau wirkte dieses Wunder? Wo kam sie her?
Wer ist sie?
RAOUL. Wer sie sei, Will sie allein dem König offenbaren. Sie nennt
sich eine Seherin und Gotts Gesendete Prophetin, und verspricht
Orleans zu retten, eh der Mond noch wechselt. Ihr glaubt das Volk und
dürstet nach Gefechten. Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst
hiersein. (Man hört Glocken und Geklirr von Waffen, die
aneinandergeschlagen werden) Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der
Glocken? Sie ists, das Volk begrüßt die Gottgesandte.
KARL (zu Du Chatel). Führt sie herein-- (zum Erzbischof) Was soll ich
davon denken! Ein Mädchen bringt mir Sieg und eben jetzt, Da nur ein
Götterarm mich retten kann! Das ist nicht in dem Laufe der Natur, Und
darf ich--Bischof, darf ich Wunder glauben?
VIELE STIMMEN (hinter der Szene). Heil, Heil der Jungfrau, der
Erretterin!
KARL. Sie kommt! (Zu Dunois) Nehmt meinen Platz ein, Dunois! Wir
wollen dieses Wundermädchen prüfen, Ist sie begeistert und von Gott
gesandt, Wird sie den König zu entdecken wissen.
(Dunois setzt sich, der König steht zu seiner Rechten, neben ihm Agnes
Sorel, der Erzbischof mit den übrigen gegenüber, daß der mittlere
Raum leer bleibt)
ERSTER AUFZUG
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Johanna begleitet von den Ratsherren und vielen Rittern,
welche den Hintergrund der Szene anfüllen; mit edelm Anstand tritt sie
vorwärts, und schaut die Umstehenden der Reihe nach an
DUNOIS (nach einer tiefen feierlichen Stille). Bist du es, wunderbares
Mädchen--
JOHANNA (unterbricht ihn, mit Klarheit und Hoheit ihn anschauend).
Bastard von Orleans! Du willst Gott versuchen! Steh auf von diesem
Platz, der dir nicht ziemt, An diesen Größeren bin ich gesendet. (Sie
geht mit entschiedenem Schritt auf den König zu, beugt ein Knie vor
ihm und steht sogleich wieder auf, zurücktretend. Alle Anwesenden
drücken ihr Erstaunen aus. Dunois verläßt seinen Sitz und es wird
Raum vor dem König)
KARL. Du siehst mein Antlitz heut zum erstenmal, Von wannen
kommt dir diese Wissenschaft?
JOHANNA. Ich sah dich, wo dich niemand sah als Gott. (Sie nähert
sich dem König und spricht geheimnisvoll) In jüngst verwichner Nacht,
besinne dich! Als alles um dich her in tiefem Schlaf Begraben lag, da
standst du auf von deinem Lager, Und tatst ein brünstiges Gebet zu
Gott. Laß die hinausgehn und ich nenne dir Den Inhalt des Gebets.
KARL. Was ich dem Himmel Vertraut, brauch ich vor Menschen nicht
zu bergen. Entdecke mir den Inhalt meines Flehns, So zweifl ich nicht
mehr, daß dich Gott begeistert.
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