Die Juden | Page 5

Gotthold Ephraim Lessing
Sie mich unter
dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein.
Gesetzt einen Augenblick, ich wäre Ihr Wohltäter: würde ich nicht zu
befürchten haben, daß Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame
Dankbarkeit wäre?
Der Baron. Sollte sich beides nicht verbinden lassen?
Der Reisende. Sehr schwer! Diese hält ein edles Gemüt für seine
Pflicht; jene erfodert lauter willkürliche Bewegungen der Seele.
Der Baron. Aber wie sollte ich--Ihr allzu zärtlicher Geschmack macht
mich ganz verwirrt.--
Der Reisende. Schätzen Sie mich nur nicht höher, als ich es verdiene.
Aufs höchste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit
Vergnügen getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner
Dankbarkeit wert. Daß ich sie aber mit Vergnügen getan habe, dafür
bin ich genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt.
Der Baron. Diese Großmut verwirrt mich nur noch mehr.--Aber ich bin
vielleicht zu verwegen.--Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen,
nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen.--Vielleicht biete ich
meine Freundschaft einem an, der--der sie zu verachten--
Der Reisende. Verzeihen Sie, mein Herr!--Sie--Sie machen sich--Sie
haben allzu große Gedanken von mir.
Der Baron (beiseite). Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine
Neugierde übelnehmen.
Der Reisende (beiseite). Wenn er mich fragt, was werde ich ihm
antworten?
Der Baron (beiseite). Frage ich ihn nicht, so kann er es als eine
Grobheit auslegen.
Der Reisende (beiseite). Soll ich ihm die Wahrheit sagen?
Der Baron (beiseite). Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich will
erst seinen Bedienten ausfragen lassen.
Der Reisende (beiseite). Könnte ich doch dieser Verwirrung überhoben
sein!--

Der Baron. Warum so nachdenkend?
Der Reisende. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein
Herr--
Der Baron. Ich weiß es, man vergißt sich dann und wann. Lassen Sie
uns von etwas andern reden--Sehen Sie, daß es wirkliche Juden
gewesen sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein
Schulze gesagt, daß er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstraße
angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben ähnlicher,
als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch daran
zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt wenig
darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder
Gewaltsamkeit erhält.--Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch
zu reden, zur Betrügerei gemacht zu sein. Höflich, frei, unternehmend,
verschwiegen, sind Eigenschaften, die es schätzbar machen würden,
wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglück anwendete--(Er hält
etwas inne.)--Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden
und Verdruß gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, ließ ich
mich bereden, einen Wechsel für einen meiner Bekannten mit zu
unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich
nicht allein dahin, daß ich ihn bezahlen, sondern, daß ich ihn sogar
zweimal bezahlen mußte.--Oh! es sind die allerboshaftesten,
niederträchtigsten Leute.--Was sagen sie dazu? Sie scheinen ganz
niedergeschlagen.
Der Reisende. Was soll ich sagen? Ich muß sagen, daß ich diese Klage
sehr oft gehört habe--
Der Baron. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich etwas,
das uns wider sie einnimmt? Das Tückische, das Ungewissenhafte, das
Eigennützige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus ihren
Augen zu lesen glauben.--Aber, warum kehren Sie sich von mir?
Der Reisende. Wie ich höre, mein Herr, so sind Sie ein großer Kenner
der Physiognomie, und ich besorge, daß die meinige--
Der Baron. Oh! Sie kränken mich. Wie können Sie auf dergleichen
Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muß
ich Ihnen sagen, daß ich nie eine so aufrichtige, großmütige und
gefällige Miene gefunden habe, als die Ihrige.
Der Reisende. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund
allgemeiner Urteile über ganze Völker--Sie werden meine Freiheit

nicht übelnehmen.--Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute
und böse Seelen geben könne. Und unter den Juden--

Siebenter Auftritt
Das Fräulein. Der Reisende. Der Baron.
Das Fräulein. Ach! Papa--
Der Baron. Nu, nu! fein wild, fein wild! Vorhin liefst du vor mir: was
sollte das bedeuten?-Das Fräulein. Vor Ihnen bin ich nicht gelaufen,
Papa: sondern nur vor Ihrem Verweise.
Der Baron. Der Unterscheid ist sehr subtil. Aber was war es denn, das
meinen Verweis verdiente?
Das Fräulein. Oh! Sie werden es schon wissen. Sie sahen es ja! Ich war
bei dem Herrn--
Der Baron. Nun? und-Das Fräulein. Und der Herr ist eine Mannsperson,
und mit den Mannspersonen, haben Sie befohlen, mir nicht allzuviel zu
tun zu machen.--
Der Baron. Daß dieser Herr eine Ausnahme sei, hättest du wohl merken
sollen. Ich wollte wünschen, daß er dich leiden könnte--Ich werde es
mit Vergnügen sehen, wenn du auch beständig um ihn bist.
Das Fräulein. Ach!--es wird wohl das erste- und letztemal gewesen sein.
Sein Diener packt schon auf--Und das wollte ich Ihnen eben sagen.
Der Baron. Was? wer? sein Diener?
Der Reisende. Ja, mein Herr, ich hab es ihm befohlen. Meine
Verrichtungen und die Besorgnis,
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