Die Gründung des Deutschen Zollvereins | Page 7

Heinrich von Treitschke
und begann die deutschen Nachbarlande in seine
Zollgemeinschaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem Maße
der Gegenwart fast lächerlicher Erfolg, aber der unscheinbare Beginn
einer Staatskunst, welche die deutschen Staaten durch das Band
wirtschaftlicher Interessen unlösbar an Preußen ketten und die
Befreiung von Österreich vorbereiten sollte.
Seit das preußische Zollgesetz in Kraft gesetzt und den kleinen
Nachbarn zunächst nur durch seine Härten fühlbar wurde, erhob sich
überall mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller
Binnenmauten, und es begann eine leidenschaftliche Agitation für die
deutsche Handelseinheit, der Vorläufer und das Vorbild der späteren
Kämpfe um die politische Einheit. Die ganze Nation schien einig in
einem großen Gedanken; gleichwohl gingen die Ansichten über die
Mittel und Wege nach allen Richtungen auseinander, und das einzige,
was retten konnte, der Anschluß an die schon vorhandene Einheit des
preußischen Marktgebietes, ward in unseliger Verblendung so lange
verschmäht, bis schließlich nur die bittere Not das Unvermeidliche
erzwang.
Gleich nach dem Frieden begann eine regelmäßige Einwanderung in
das verarmte Preußen einzuströmen, etwa halb so stark als der
Überschuß der Geburten; sie bestand überwiegend aus jungen Leuten
der deutschen Nachbarschaft, die in dem Lande der sozialen Freiheit ihr
Glück suchten. Als nunmehr die Binnenzölle in der Monarchie
hinwegfielen, da ließen sich die Vorteile, welche der preußische
Geschäftsmann aus seinem ausgedehnten freien Markt zog, zumal an
den Grenzplätzen bald mit Händen greifen: so siedelte ein Teil der
Bingener Weinhändler auf das preußische Ufer der Nahe über, da die
Preise in Preußen oft dreimal höher standen als auf dem überfüllten
hessischen Markte. Das Beamtentum der kleinen Höfe war noch
gewöhnt an das Zunftwesen, an die Erschwerung der Niederlassung
und der Heiraten, an die tausend Quälereien einer kleinlichen sozialen
Gesetzgebung; von der Überlegenheit der preußischen Handelspolitik
ahnte man hier noch gar nichts. Manchem wohlmeinenden Beamten in

Sachsen und Thüringen erschienen die preußischen Steuergesetze als
eine überflüssige fiskalische Härte, weil sein eigener Staat für das
Heerwesen nur Geringes leistete, also mit bescheidenen Einnahmen
auskommen konnte. So entstand unter dem Schutze der kleinen Höfe
an den preußischen Binnengrenzen ein Krieg aller gegen alle, ein
heilloser Zustand, von dem wir heute kaum noch eine Vorstellung
haben. Das Volk verwilderte durch das schlechte Handwerk des
Schwärzens. In die zollfreien Packhöfe, welche überall dem
preußischen Gebiete nahe lagen, traten alltäglich handfeste braune
Gesellen, die Jacken auf Rücken und Schultern ganz glatt gescheuert,
manch einem schaute das Messer aus dem Gürtel; dann packten sie die
schweren Warenballen auf, ein landesfürstlicher Mautwächter gab
ihnen das Geleite bis zur Grenze und ein Helf Gott mit auf den bösen
Weg. Der kleine Mann hörte sich nicht satt an den wilden Abenteuern
verwegener Schmuggler, die das heutige Geschlecht nur noch aus
altmodischen Romanen und Jugendschriften kennt. Also gewöhnte sich
unser treues Volk die Gesetze zu mißachten. Jener wüste Radikalismus,
der allmählich in den Kleinstaaten überhand nahm, ward von den
kleinen Höfen selber gepflegt: durch die Sünden der Demagogenjagd
wie durch die Frivolität dieser Handelspolitik.
Als die Urheber solchen Unheils galten allgemein nicht die
Kleinstaaten, die den Schmuggel begünstigten, sondern Preußen, das
ihn ernsthaft verfolgte; nicht jene Höfe, die an ihren unsauberen
fiskalischen Kniffen, ihren veralteten unbrauchbaren Zollordnungen
träge festhielten, sondern Preußen, das sein Steuersystem neu gestaltet
und gemildert hatte. Unfähig, die Lebensbedingungen eines großen
Staates zu verstehen, stellten die kleinen Höfe alles Ernstes die
Forderung, Preußen müsse jene reiflich erwogene, in alle Zweige des
Gemeinwesens tief einschneidende Reform sofort wieder rückgängig
machen, noch bevor sie die Probe der Erfahrung bestanden hatte -- und
halb Deutschland stimmte dem törichten Ansinnen zu.
Außerhalb der preußischen Beamtenkreise wagten in diesen ersten
Jahren nur zwei namhafte Schriftsteller das Werk Maaßens unbedingt
zu verteidigen. Der unermüdliche Benzenberg(13) bewährte in seinem
Buche »über Preußens Geldhaushalt und neues Steuersystem« wieder

einmal seinen praktischen Takt. Im Verkehr mit Hardenberg hatte er
gelernt, den Staatshaushalt von oben, vom Standpunkt der Regierenden
zu betrachten. Er wußte, daß jede ernsthafte Kritik eines Steuersystems
beginnen muß mit der Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich
seien? -- einer Frage, die von den meisten Publizisten jener Zeit gar
nicht berührt wurde. So gelingt ihm nachzuweisen, daß Preußen seiner
Zolleinkünfte nicht entbehren könne. Er scheut sich nicht, das
Wehrgesetz und die neuen Steuergesetze als die größten Wohltaten der
jüngsten Epoche Friedrich Wilhelms *III.* zu loben; er verlangt, daß
man sie gegen jeden Widerstand aufrecht halte, fordert die
Nachbarstaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und mit
Preußen wegen gegenseitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem
Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an F.
List(14) (August 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der
Bundestag, »der keine Art von Legislation hat«, eine solche Reform
schaffen oder gar die Zollverwaltung leiten solle? und sei denn die
Aufhebung der Binnenmauten möglich ohne gleichmäßige Besteuerung
des inneren Konsums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in
dem allgemeinen Toben; war er doch längst schon den
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