Mehrzahl
der Deutschen von neuem begonnen und vollendet.
Im Kampfe gegen das preußische Zollgesetz hielten alle deutschen
Parteien zusammen, Kotzebues Wochenblatt so gut wie Ludens
Nemesis. Vergeblich widerlegte J. G. Hoffmann(10) in der Preußischen
Staatszeitung mit überlegener Sachkenntnis das fast durchweg wertlose
nationalökonomische Gerede der Presse. Dieselben Schutzzöllner, die
um Hilfe riefen für die deutsche Industrie, schalten zugleich über die
unerschwinglichen Sätze des preußischen Tarifs, der doch jenen Schutz
gewährte. Dieselben Liberalen, die den Bundestag als einen völlig
unbrauchbaren Körper verspotteten, forderten von dieser Behörde eine
schöpferische handelspolitische Tat. Wenn Hoffmann nachwies, daß
das neue Gesetz eine Wohltat für Deutschland sei, so erwiderten Pölitz,
Krug und andere sächsische Publizisten, kein Staat habe das Recht,
seinen Nachbarn Wohltaten aufzudrängen. Alberne Jagdgeschichten
wurden mit der höchsten Bestimmtheit wiederholt und von der
Unwissenheit der Leser begierig geglaubt. Da hatte ein armer Höker
aus dem Reußischen, als er seinen Schubkarren voll Gemüse zum
Leipziger Wochenmarkt fuhr, einen Taler Durchfuhrzoll an die
preußische Maut zahlen müssen -- nur schade, daß Preußen von solchen
Waren gar keinen Zoll erhob. Auch die Sentimentalität ward gegen
Preußen ins Feld geführt; sie findet sich ja bei den Deutschen immer
ein, wenn ihnen die Gedanken ausgehen. Da war gleich am ersten Tage,
als das unselige Gesetz in Kraft trat, ein Zollbeamter zu Langensalza
von einem gothaischen Patrioten im Rausche heiligen Zornes erstochen
worden; der Mann hatte sich aber selbst entleibt. Da hieß es wehmütig,
König Friedrich Wilhelm hege wohl menschenfreundliche Absichten,
aber »finanzielle Rücksichten vergiften die besten Maßregeln«; für die
harte Notwendigkeit dieser finanziellen Rücksichten hatte man kein
Auge. Die ersehnte Einheit des deutschen Marktes -- darüber bestand
unter den liberalen Patrioten kein Streit -- konnte nur gelingen, wenn
die bereits vollzogene Einigung der Hälfte Deutschlands wieder
zerstört wurde.
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten
Jahrhundert. *II*, 211 ff. -- Die Anmerkungen sind vom Herausgeber
beigefügt.
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1 Geb. 23. August 1769, gest. 2. November 1834.
2 Adam Smith, geb. 1723, gest. 1790, ist als der Begründer der neueren
Nationalökonomie zu betrachten; er vertrat die Lehre, daß es in
wirtschaftlichen Dingen Aufgabe des Staates sei, das freie Spiel der
wirtschaftlichen Kräfte durch Beseitigung entgegenstehender
Hemmnisse zu fördern.
3 Geb. 11. März 1770, gest. am 15. September 1830 an den schweren
Verletzungen, die er sich bei Eröffnung der zwischen Liverpool und
Manchester erbauten Eisenbahn dadurch zuzog, daß er beim Einsteigen
unter die Räder fiel. Im Ministerium Canning war er Staatssekretär für
die Kolonien.
4 Die Navigationsakte vom 9. Oktober 1651 gestattete die Einfuhr von
Waren aus Afrika, Asien und Amerika nur unter englischer Flagge, die
Einfuhr von europäischen Waren nur durch englische Schiffe oder
Schiffe des erzeugenden Landes. Damit wurde der holländische
Zwischenhandel ausgeschaltet. Erst 1849 wurde die Akte aufgehoben.
5 Edmund Burke, geb. 1729, gest. 9. Juli 1797, hervorragender
englischer Politiker und Staatsmann.
6 Adam Smith war von 1751 ab eine Reihe von Jahren als Professor
der Logik und der Moral an der Universität zu Glasgow tätig.
7 Karl August, Fürst von Hardenberg, geb. 31. Mai 1750, gest. 26. Nov.
1822, seit Juni 1810 bis an seinen Tod preußischer Staatskanzler.
8 Joh. Albrecht Friedrich Eichhorn, geb. 2. März 1779, gest. 16. Januar
1856, war als Direktor der zweiten Abteilung des Ministeriums des
Äußeren besonders für die Entwicklung des Zollvereins tätig. Von
1840-48 kämpfte er als Kultusminister für die Erhaltung der
kirchlichen Rechtgläubigkeit gegen die freiheitlichen Bestrebungen der
Lichtfreunde.
9 Zwangsmaßregeln.
10 Joh. Gottfr. Hoffmann, geb. 19. Juli 1765, gest. 12. November 1847,
hervorragender Nationalökonom und Begründer der wissenschaftlichen
Statistik.
2. Der Kampf gegen das preußische Zollgesetz und der erste preußische
Zollvertrag.
Alles historische Werden entspringt der beständigen Wechselwirkung
zwischen dem bewußten Menschenwillen und den gegebenen
Zuständen. Wie die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die
Willenskraft eines großen, die Zeichen der Zeit verstehenden Mannes
verwirklicht werden kann, so finden auch die Sünden und Irrtümer der
Politiker ihre Schranke an dem Charakter der Staaten, an der Macht der
Ideen, die sich im Verlauf der Geschichte angesammelt haben. Schwer
hatte die Krone Preußen gefehlt, als sie in Karlsbad(11) sich den
lebendigen Kräften des jungen Jahrhunderts entgegenstemmte; und
doch war dieser Staat modern von Grund aus, er konnte sich der neuen
Zeit nicht gänzlich entfremden und begann eben jetzt eine Reform
seines Haushalts, welche ihn befähigte, in seiner wirtschaftlichen
Entwicklung alle anderen deutschen Staaten zu überflügeln.
Nachgiebig bis zur Selbstvergessenheit war Hardenberg in Teplitz(12)
allen Wünschen Österreichs entgegengekommen, der Glaube an die
unbedingte Interessengemeinschaft der beiden Großmächte beherrschte
ihn ganz und gar; und doch war der Gegensatz der beiden Mächte in
einer alten Geschichte begründet und, so lange die Machtfrage der
deutschen Zukunft ungelöst blieb, durch menschlichen Willen nicht
mehr beizulegen. Fast in dem nämlichen Augenblicke, da der Berliner
Hof sich gänzlich der Führung Österreichs zu überlassen schien, tat er
wieder einen Schritt vorwärts auf den Bahnen der friderizianischen
Politik
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