Die Gründung des Deutschen Zollvereins | Page 8

Heinrich von Treitschke
Liberalen
verdächtig, weil er ein offenes Auge für die Eigenart des preußischen
Staates besaß.
Auch einer der tüchtigsten Kaufleute Deutschlands, E. W. Arnoldi in
Gotha(15), begrüßte das preußische Zollgesetz schon im Januar 1819
als den ersten Keim eines Vereins aller deutschen Staaten. Nur herzhaft
eingeschlagen in die dargebotene Hand: -- so sprach er sich im
Allgemeinen Anzeiger aus -- Preußen stellt ja den Grundsatz der
Gegenseitigkeit an die Spitze seines Gesetzes und erklärt sich bereit zu
Verträgen mit den Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einst in
Hamburg noch zu den Füßen des alten Büsch(16) gesessen und sich
dort eine freie Ansicht vom Welthandel gebildet, welche der
binnenländischen Kleinlebigkeit der Mehrzahl seiner Standesgenossen
noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche Unmündigkeit dieser
Geschäftswelt, die so gar nichts tat, um sich das Joch einer
widersinnigen Handelsgesetzgebung vom Nacken zu schütteln. Schon
seit Jahren trug er sich mit dem Gedanken eines Bundes der deutschen
Fabrikanten zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen. Dann stiftete

er in seiner Vaterstadt unter dem Namen Innungshalle eine
Handelskammer und eine rasch aufblühende Handelsschule. Endlich
fand er ein weites Gebiet fruchtbarer Tätigkeit in dem
Versicherungswesen, das noch ganz in der Botmäßigkeit des Auslandes
stand. Fast an allen größeren deutschen Plätzen unterhielt der mächtige
Londoner Phönix seine Agenturen und beutete die Deutschen durch
unbillige Prämien aus, da die kleinen heimischen
Versicherungsgesellschaften, die in einzelnen Städten des Nordens
bestanden, ihre Wirksamkeit auf die Vaterstadt beschränkten. Da
wendete sich Arnoldi (1819) an die Nation mit der Frage, wie lange sie
noch ihr Geld in die englische Sparbüchse legen wolle, und entwarf den
Plan für eine deutsche, das gesamte Vaterland umfassende, auf
Gegenseitigkeit beruhende Feuerversicherungsbank. Zwei Jahre darauf
trat diese Anstalt zu Gotha ins Leben, der erste Anfang der großartigen
Entwicklung unseres nationalen Versicherungswesens. Der allgemeine
Haß gegen Englands Handelsherrschaft kam dem kühnen Unternehmer
zustatten. Überall im Binnenlande schalt man auf England und die
Hansestädte, die den Süddeutschen nur als englische Kontore galten;
der wieder erwachende Napoleonskultus und die französischen
Sympathien der Liberalen des Südens wurden durch solche erregte
Stimmungen gefördert. Über die Waffen freilich, welche den deutschen
Gewerbefleiß vor einer erdrückenden ausländischen Mitwerbung
sichern konnten, hatten die wenigsten auch nur nachgedacht. Nur soviel
schien allen unzweifelhaft, daß sämtliche neu eingeführte Zölle sofort
wieder aufgehoben und die im Artikel 19 der Bundesakte verheißene
Verkehrsfreiheit durch den Bundestag angeordnet werden müsse.
Selbst jener hochherzige, geistvolle Agitator, der mit dem ganzen
Ungestüm seiner Tatkraft gegen die Binnenmauten auftrat, auch
Friedrich List, teilte den allgemeinen Irrtum. Wie Görres(17) einst im
Rheinischen Merkur die Idee der politischen Macht und Einheit des
Vaterlandes vertrat, so verfocht List die Idee der handelspolitischen
Einheit -- eine verwandte Natur, feurig, hochbegeistert, ein Meister der
bewegten Rede, voll tiefer und echter Leidenschaft, leicht hingerissen
zu phantastischen Verirrungen. Ein echter Reichsstädter, war er im
freiheitsstolzen Reutlingen aufgewachsen, unter ewigen Händeln mit
den württembergischen Schreibern; er zählte zu jenen geborenen

Kämpfern, denen das Schicksal immer neuen Hader sendet, auch wenn
sie den Streit nicht suchen. Seine Mutter, seinen einzigen Bruder sah er
plötzlich sterben infolge der Roheit brutaler Beamten; und als er dann
selber einige Jahre in der geisttötenden Scheintätigkeit der
württembergischen Schreibstuben verbracht hatte, da ward sein Haß
gegen die Herrschaft des rheinbündischen Beamtentums grenzenlos,
und er setzte sich zum Ziele seines Lebens, den Bürger und
Bauersmann zur Selbsttätigkeit zu erwecken, ihn aufzuklären über
seine nächsten Interessen, die Volkswirtschaftslehre von den Formeln
des Katheders zu befreien und sie die Sprache des Volkes reden zu
lassen. Schon durch die Geburt ein Deutscher schlechtweg, gleich dem
Reichsritter Stein, ging er mit seinen kühnen Entwürfen sogleich über
die Grenzen der schwäbischen Heimat hinaus, so daß er den
verschwiegerten und verschwägerten Württembergern bald als ein
wildfremder Störenfried verdächtig wurde: eine neue Zeit
handelspolitischer Größe, dauerhafter als einst die Herrlichkeit der
Hansa, sollte dem deutschen Vaterlande tagen. Eine seltene Kunst, die
Massen zu befeuern und zu erregen, stand ihm zu Gebote, ein
agitatorisches Talent, dessengleichen unsere an großen Demagogen so
arme Geschichte seither nur noch zweimal, in Robert Blum(18) und
Lassalle(19) gesehen hat. Im April 1819 stiftete List mit mehreren
Industriellen der Kleinstaaten, Miller aus Immenstadt, Schnell aus
Nürnberg, E. Weber aus Gera den Verein deutscher Kaufleute und
Fabrikanten, dem sich bald die Mehrzahl der großen Firmen in Süd-
und Mitteldeutschland anschloß, und legte rasch entschlossen seine
Tübinger Professur nieder, da die württembergische Regierung das Amt
eines Konsulenten des Handelsvereins als unverträglich mit der
Beamtenwürde betrachtete.
Der neue Handelsverein richtete sogleich an den Bundestag eine
Bittschrift um Ausführung des Artikels 19, Beseitigung aller
Binnenmauten und Erlaß eines deutschen Zollgesetzes, das den Zöllen
des Auslandes mit strengen Retorsionen begegnen sollte, bis sich ganz
Europa über allgemeine Handelsfreiheit verständigt hätte -- denn noch
bekannte sich List, gleich den meisten Süddeutschen jener Zeit, im
Grundsatz zu den Lehren des Freihandels. In Frankfurt abgewiesen,
bestürmte List sodann die Höfe, die Geschäftsmänner und wen nicht

sonst
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