und die zur
Deckung der Staatsausgaben notwendigen Opfer überschlagen; bevor
man hierüber ins Klare gekommen, konnte man sich von einer
gemeinsamen Beratung keinen Erfolg versprechen, am wenigsten von
einer Beratung für ganz Deutschland am Bundestag.
Wie die Dinge lagen, mußte Preußen selbständig vorgehen, ohne jede
schonende Rücksicht für die deutschen Nachbarn. Unter den
gemütlichen Leuten herrschte die Ansicht vor, Preußen solle die
Binnengrenzen gegen Deutschland offen halten und allein an den
Grenzen gegen das Ausland Zölle erheben. Der kindische Vorschlag
hätte, ausgeführt, jede Grenzbewachung unmöglich gemacht, die
finanziellen wie die volkswirtschaftlichen Zwecke der Zollreform
völlig vereitelt. Selbst eine mildere Besteuerung deutscher Produkte
war unausführbar. Gerade die deutschen Kleinstaaten mit ihren
verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten Grenzen mußten der
preußischen Staatskasse als die gefährlichsten Gegner erscheinen.
Ursprungszeugnisse, von solchen Behörden ausgestellt, boten den
genauen Rechnern der Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit.
Jede Erleichterung, die an diesen Grenzen eintrat, ermutigte den
Unterschleif, so lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den
kleinen Nachbarstaaten bestand. Noch mehr: gewährte Preußen den
deutschen Staaten Begünstigungen, so griff das Ausland unfehlbar zu
Retorsionen(9), und der Staat wurde allmählich in ein
Differentialzollsystem hineingetrieben, das den Absichten seiner
Staatsmänner schnurstracks zuwiderlief. Differentialzölle erschienen
dem Finanzministerium noch weit bedenklicher als Schutzzölle, da
diese den Verkehr belasteten zugunsten der einheimischen, jene zum
Vorteil der ausländischen Produzenten.
Es war nicht anders: sollte das neue Zollsystem überhaupt ins Leben
treten, so mußten alle nichtpreußischen Waren zuvörderst auf gleichem
Fuß behandelt werden. Allerdings wurden dadurch die deutschen
Nachbarn sehr hart getroffen. Sie waren gewohnt, einen schwunghaften
Schmuggelhandel nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die strenge
Grenzbewachung dazwischen. Die Zollinien an den Grenzen der neuen
Provinzen störten vielfach altgewohnten Verkehr. Das Königreich
Sachsen litt schwer, als die preußischen Zollschranken dicht vor den
Toren Leipzigs aufgerichtet wurden. Die kleinen rheinischen Lande
sahen nahe vor Augen das beginnende Erstarken der preußischen
Volkswirtschaft; was drüben ein Segen, ward hüben zur Last.
Begreiflich genug, daß gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft
Preußens die Mißstimmung überhand nahm. Auch die Einrichtung der
Gewichtszölle war für die deutschen Nachbarstaaten unverhältnismäßig
lästig, da das Ausland zumeist feinere, Deutschland gröbere Waren in
Preußen einzuführen pflegte.
Indes, wenn es nicht anging, den Kleinstaaten sofort Begünstigungen
zu gewähren, so war doch die Zollreform von Haus aus darauf
berechnet, die deutschen Nachbarn nach und nach in den preußischen
Zollverband hineinzuziehen. »Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für
den ganzen Bund erkennend, suchte Preußen durch Separatverträge
sich diesem Ziele zu nähern« -- mit diesen kurzen und erschöpfenden
Worten hat Eichhorn zehn Jahre später den Grundgedanken der
preußischen Handelspolitik bezeichnet. Die Zerstückelung seines
Gebietes zwang den Staat, deutsche Politik zu treiben, machte ihm auf
die Dauer unmöglich, sich selbst genügsam abzuschließen, seine
Verwaltung zu ordnen ohne Verständigung mit den deutschen
Nachbarlanden. Ein großer Teil der thüringischen Besitzungen
Preußens, 41 Geviertmeilen, mußte vorderhand aus der Zollinie
ausgeschlossen bleiben. Es war eine unabweisbare Notwendigkeit, die
Zollschranken mindestens so weit hinauszuschieben, daß das gesamte
Staatsgebiet gleichmäßig besteuert werden konnte. In dem Zollgesetz
selber (§ 5) war die Absicht erklärt, durch Handelsverträge den
wechselseitigen Verkehr zu befördern. Die harte Besteuerung der
Durchfuhr gab diesem Winke fühlbaren Nachdruck. Noch bestimmter
sprach sich Hardenberg über die Absicht des Gesetzes aus, schon ehe
es in Kraft trat. Als die Fabrikanten von Rheidt und anderen
rheinischen Plätzen den Staatskanzler um Beseitigung der deutschen
Binnenzölle baten, gab er die Antwort (3. Juni 1818): die Vorteile,
welche aus der Vereinigung mehrerer deutscher Staaten zu einem
gemeinschaftlichen Fabrik- und Handelssystem hervorgehen können,
seien der Regierung nicht unbekannt; mit steter Rücksicht hierauf sei
der Plan des Königs zur Reife gediehen. »Es liegt ganz im Geiste
dieses Planes, ebensowohl auswärtige Beschränkungen des Handels zu
erwidern, als Willfährigkeit zu vergelten und nachbarliches
Anschließen an ein gemeinsames Interesse zu befördern«. Ebenso
erklärte er den Elberfeldern: die preußischen Zollinien sollten dazu
dienen, »eine allgemeine Ausdehnung oder sonstige Vereinigung
vorzubereiten«.
Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der seit langem das
Schwert des alten Kaisertums führte, jetzt auch die handelspolitischen
Reformgedanken der Reichspolitik des sechzehnten Jahrhunderts
wieder aufnahm und bereit war, der Nation nach und nach die Einheit
des wirtschaftlichen Lebens zu schaffen, welche ihr im ganzen
Verlaufe ihrer Geschichte immer gefehlt hatte. Er dachte dies Ziel, das
sich nicht mit einem Sprunge erjagen ließ, schrittweis, in bedachtsamer
Annäherung, durch Verträge von Staat zu Staat zu erreichen. Mars und
Merkur sind die Gestirne, welche in diesem Jahrhundert der Arbeit das
Geschick der Staaten vornehmlich bestimmen. Das Heerwesen und die
Handelspolitik der Hohenzollern bildeten fortan die beiden Rechtstitel,
auf denen Preußens Führerstellung in Deutschland ruhte. Und diese
Handelspolitik war ausschließlich das Werk der Krone und ihres
Beamtentums. Sie begegnete, auch als ihre letzten Ziele sich späterhin
völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten Widerstande der Nation.
Im Zeitalter der Reformation war die wirtschaftliche Einigung unseres
Vaterlandes an dem Widerstande der Reichsstädte gescheitert; im 19.
Jahrhundert ward sie recht eigentlich gegen den Willen der
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